Experte Magnus Drewelies - Trump sei Dank: Jetzt kann Deutschland eine Milliardenindustrie dominieren

Europa steht vor großen Herausforderungen: Steigende Strompreise, staatlich subventionierte Konkurrenz und drohende neue Zölle verschärfen die geopolitischen Spannungen und setzen exportstarke europäische Industrien unter Druck. Gleichzeitig hat der US-Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen die globalen Klimaschutzbemühungen geschwächt – und Europas Verantwortung wachsen lassen, dieses Vakuum zu füllen.

Doch genau darin liegt eine strategische Chance: Die CO₂-Entnahme entwickelt sich zur Billionenindustrie – ein Zukunftsmarkt, in dem Europa jetzt die Führung übernehmen kann. Während die USA ihre Führungsposition in KI und Quantencomputing ausbaut, wo Europa bereits zurückliegt, bietet sich hier die Möglichkeit, eine Schlüsseltechnologie der grünen Transformation zu dominieren.

Magnus Drewelies ist CEO und Gründer von Ceezer, einer Plattform für den Kauf und das Management von negativen Emissionen.

Die Technologie, auf die es ankommt

Die Erderwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, bleibt trotz der aktuellen Unsicherheiten weiterhin ein globales Ziel. Um es zu erreichen, wird die Reduktion des CO₂-Ausstoßes allein nicht mehr ausreichen. Bestehendes CO₂ muss zusätzlich der Luft entnommen werden.

Die EU-Kommission rechnet mit einem Bedarf von mehreren hundert Millionen Tonnen CO₂-Entnahme pro Jahr bis 2050. Noch gibt es nicht alle notwendigen Technologien im richtigen Maßstab dafür. Aber wer sie jetzt entwickelt und skaliert, wird effektiven Klimaschutz ermöglichen – und wirtschaftlich profitieren.

Vorangehen oder hinterherlaufen?

Sollten die USA hier nicht eine führende Rolle ergreifen, bietet sich für Europa eine große Chance. Gerade die Industriestaaten, allen voran Deutschland, sind aufgrund ihres technischen Know-hows prädestiniert, die Führung in der Entwicklung innovativer Klima-Technologien zu übernehmen.

Europa steht vor der Wahl: Vorangehen oder hinterherlaufen. Die kommenden politischen Entscheidungen – insbesondere die Ergebnisse der Bundestagswahl – werden mitbestimmen, ob Deutschland und Europa ihre herausragenden Potenziale nutzen oder ins Hintertreffen geraten werden.

Der 940-Milliarden-Markt

Ob Netto-Null oder nicht – eine Wirtschaft der Zukunft muss mit den Folgen des Klimawandels umgehen, weltweit. Laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG) und des Deutschen Verbands für Negative Emissionen (DVNE) könnte die CO₂-Entnahme-Branche bis 2050 zu einer Industrie im Wert von 470 bis 940 Milliarden Euro heranwachsen. Europa hat das Potenzial, sich bis zu 220 Milliarden Euro davon zu sichern und bis zu 670.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.

In Zeiten, in denen Europa in vielen anderen Zukunftsthemen hinterherhinkt, sind die Ansätze für erfolgversprechende CO₂-Entnahme-Methoden bereits vorhanden. Etwa „Direct Air Carbon Capture and Storage“ (DACCS), wobei Kohlendioxid technisch aus der Luft entnommen, sicher vom Entnahmeort transportiert und langfristig am Lagerort gespeichert wird. Oder „Bio-energy with Carbon Capture and Storage“ (BECCS), bei dem das aus der Verbrennung von Biomasse (etwa für Öko-Strom) entstandene CO₂ eingefangen und unterirdisch gespeichert wird. Während erste industrielle Anlagen in Betrieb sind, befinden sich beide Technologien noch in der Skalierungsphase.

Deutschlands Know-How weit vorne

Vor allem Deutschland verfügt mit seiner leistungsstarken Maschinenbau-, Chemie- und Ingenieurbranche über das technologische Know-how und die industriellen Infrastrukturen, um CO₂-Entnahme-Technologien zu skalieren und global wettbewerbsfähig zu machen. Mit einer entschlossenen gesamteuropäischen Strategie und gezielten Investitionen könnten diese Technologien auch eine signifikante wirtschaftliche Rolle in der CO₂-Entnahme spielen. Und das global aus Europa heraus – denn CO₂-Entnahme wird global gehandelt und kann von Europa aus auch für andere Regionen erfolgen. 

Hinzu kommt, dass Europa nicht nur über das notwendige wissenschaftliche und industrielle Potenzial verfügt, sondern auch die politischen Mechanismen wie den europäischen Emissionshandel, um die CO₂-Entnahme als effektive Klimaschutz-Maßnahme und Wirtschaftsfaktor bewusst zu fördern - und als Industriezweig statt als Zwang aufzubauen.

Ein Kampf gegen die Zeit

Das passiert nicht von allein. Politik und Wirtschaft wären gut beraten, den enormen Mehrwert der CO₂-Entnahme so schnell wie möglich zu erkennen und entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die richtigen Rahmenbedingungen für CO₂-Entnahme müssen jetzt geschaffen werden – durch Marktmechanismen, regulatorische Sicherheit und gezielte Förderstrukturen. Erst wenn es klare gesetzliche Verpflichtungen gibt, kann ein wachsender CO₂-Entnahme-Markt entstehen.

Auch im Hinblick auf das Klima ist es ein Kampf gegen die Zeit. Die natürliche CO₂-Entnahme durch Wälder und Böden nimmt kontinuierlich ab. Und industrielle CO₂-Entnahme-Technologien sind noch nicht ausreichend skaliert. Ohne politische Unterstützung droht Europa, hier weit hinter die gesteckten Ziele zurückzufallen. Daher braucht es folgendes:

1. Klare Rahmenbedingungen für CO₂-Entnahme schaffen: Zunächst muss die CO₂-Entnahme explizit in die EU-Klimapolitik und nationale Netto-Null-Strategien aufgenommen werden. Die Bundestagswahl bietet Gelegenheit, eine klimapolitische Richtung einzuschlagen, die CO₂-Entnahme als industriepolitische Zukunftsstrategie versteht und das wirtschaftliche Potenzial realisiert. Die neue Bundesregierung sollte der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre mit einer ambitionierten Strategie klima- und wirtschaftspolitische Priorität einräumen.

2. CO₂-Infrastruktur fördern: Wir müssen nicht bei null anfangen. Beispiele zeigen, wie und wo notwendige Strukturmaßnahmen zu ergreifen sind. Norwegen hat mit dem Langskip-Projekt bereits ein Modell für den CO₂-Transport und die Offshore-Speicherung geschaffen. Die EU und Deutschland sollten ähnliche Projekte fördern.

3. Direkte Förderung und Investitionssicherheit gewährleisten: Die vorläufige Einigung der EU für einen EU-weiten freiwilligen Rahmen zur Zertifizierung hochwertiger CO₂-Entnahmen (CRCF) ist ein wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Es muss sichergestellt werden, dass CO₂-Entnahme explizit in bestehende Klimaziele einfließt und dadurch wirtschaftlich attraktiv wird.

4. Effektive Marktmechanismen etablieren: Die EU betreibt mit dem Emissionshandel, dem EU-ETS, den nach Handelsvolumen größten CO₂-Markt der Welt. Erträge aus dem EU-ETS können gezielt in Investitionen in CO₂-Entnahme-Technologien gelenkt werden, anstatt es primär in Strafzahlungen fließen zu lassen. Dafür müsste der Zertifizierungsrahmen schnellstmöglich um einen Integrationsmechanismus in der Zielerreichung ergänzt werden, sodass Unternehmen Investitionen in die CO₂-Entnahme parallel nutzen können, um ihre Klimaziele zu erreichen. So wird ein Teil der bereits anfallenden Dekarbonisierungskosten direkt zurück in eine wachsende Zukunftsindustrie gelenkt, statt in Fonds und Förderprogrammen zu landen.

Jetzt braucht es den Wettbewerb

Und was kann die Wirtschaft tun? Technologie- und Produktionskapazitäten ausbauen: Um die besten und kosteneffizientesten CO₂-Entnahme-Technologien zu skalieren, braucht es einen diversen, unvoreingenommenen Ansatz. Technologien wie Direct Air Carbon Capture and Storage sind vorhanden, aber noch in der Skalierung, teuer und nur für spezifische Anwendungsfälle geeignet.

Ein gesunder Wettbewerb zwischen verschiedenen Methoden kann Europa helfen, die skalierbarsten und wirtschaftlichsten Lösungen zu finden. Gerade jetzt, wo in den USA die Gelder und der Investitionshunger beim Thema CO₂ geringer werden könnten, hat Europa eine echte Chance, die globale Führung zu übernehmen.

Dafür sollte eine marktorientierte Integration der CO₂-Entnahme schnell vorangetrieben werden. Auch in Sachen Grundlagenforschung können Initiativen wie der EU-Innovationsfonds und das Forschungsprogramm Horizon Europe branchenübergreifende Projekte zur CO₂-Entnahme fördern und beschleunigen.

Ziel muss sein, die europäische Industrieführerschaft für das globale Klima zu sichern: Europa ist aktuell mit den USA der größte Markt für CO₂-Entnahme-Zertifikate. Um diese Position nicht nur zu halten, sondern auszubauen, braucht es klare Wachstumssignale und eine Perspektive, die Wirtschaftlichkeit mit Klimawirkung effektiv verbindet. Bis 2030 kann Europa eine global führende Marktposition aufbauen, was  langfristig zur Wettbewerbsfähigkeit beiträgt.

Klimapolitik ist Wirtschaftspolitik

In der politischen Debatte wird Klimapolitik oft im Entweder-oder-Modus präsentiert: Kohle-Abbau oder Windkraft-Ausbau? Emissions-Rückgang oder Wirtschaft-Wachstum? Klima-Neutralität oder Wettbewerbsfähigkeit? Doch diese Gegensätze sind künstlich – beides muss zusammen gedacht und umgesetzt werden.

Der Auf- und Ausbau von CO₂-Entnahme-Technologien ist nicht nur eine klimapolitische, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Deshalb sind nun entschlossene Maßnahmen gefragt: Europa muss klare regulatorische Rahmenbedingungen schaffen und entscheidende Investitionen mobilisieren.

Die Ergebnisse der Bundestagswahl werden mitentscheiden, ob Deutschland gezielt in neue Klimatechnologien investiert – oder ob andere Länder den Markt dominieren. Diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung: Setzen wir auf unsere Innovationskraft und auf eine Zukunft mit wirksamen Klimatechnologien als Wachstumstreiber? Oder riskieren wir, den Anschluss an eine aufstrebende Billionenindustrie zu verlieren? Europa erfüllt alle Voraussetzungen, um im Klimatechnologie-Markt eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.