„Oft noch andere psychische Probleme“: Ärztin erklärt Therapie von Essstörungen in München

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Die Zahl an Menschen mit Essstörungen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Stefanie Hirschenauer, Ärztin in der München Klinik Harlaching, gibt Einblicke in die Therapie.

München – Großstädte sind Hochburgen für Essstörungen. So lag die Anzahl der Diagnosen in München laut dem Morbiditäts- und Sozialatlas der Barmer im Jahr 2021 etwa 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt (561 Betroffene unter 100.000 Einwohnern, bundesweit: 430). Deutschlandweiter Spitzenreiter ist Hamburg. Auch Berlin, Frankfurt und Köln weisen hohe Werte auf. Dazu ist die Zahl der Betroffenen 2020 bundesweit um 30 Prozent gestiegen.

Therapie von Essstörungen in Harlaching: Sozialer Rückzug durch gestörte Beziehungsmuster

„Wir gehen davon aus, dass es sich bei Essstörungen oft ursächlich um Beziehungsstörungen handelt“, sagt Stefanie Hirschenauer, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der München Klinik Harlaching. Dabei könne es sich um eine gestörte Beziehung zu anderen handeln – oder eben zu sich selbst. Die Patienten hätten häufig nur ein geringes Selbstwertgefühl. „Sie haben sich häufig dysfunktionale Beziehungsmuster angeeignet, die dann im sozialen Rückzug enden. Dort gedeihen Essstörungen besonders gut und verstärken die Isolation noch weiter.“

Oberärztin Stefanie Hirschenauer behandelt Patienten mit Essstörungen in der München Klinik in Harlaching. © Elisa Buhrke

Der Fokus liege im Gegensatz zu anderen Münchner Kliniken auf einer tiefenpsychologischen Behandlung, sagt Hirschenauer. Das bedeutet: Im Gegensatz zu einer Verhaltenstherapie, die in erster Linie das krankhafte Essverhalten behandelt, geht es in der Tiefenpsychologie um die Ursachen, die hinter der Störung stecken. „In der Psychotherapie unterstützen wir die Patientinnen bestmöglich dabei, dass sie bald ihre Essstörungssymptome aufgeben können.“ Erst dann könne man sich in der Therapie der eigentlichen Hintergrundproblematik widmen. Diese zu bearbeiten und zu lösen, sei das eigentliche Ziel.

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Patientinnen kochen in Gruppe – „um den Umgang mit Lebensmitteln zu erlernen“

Zu Beginn schließen die Ärzte deshalb einen „Essvertrag“ mit ihren Patienten ab. Darin steht, wie viel diese täglich essen und wie viel sie zunehmen wollen. Drei Hauptmahlzeiten, zwei Zwischenmahlzeiten pro Tag. Der Vertrag muss eingehalten werden. „Wenn die Patienten ihr Essverhalten hier so weiterführen wie bisher, dann betäuben sie ihre inneren Konflikte ja weiter – und wir kommen nicht an sie ran.“ Zehn Wochen bleiben Patienten in der Regel in der Klinik. Nach der Hälfte besteht die Möglichkeit, die Therapie zu unterbrechen.

„Diejenigen aus der offenen Gruppe möchten oft Sahne in die Sauce haben. Oder Öl. Da gibt es oft heftige Diskussionen.

Neben Gruppengesprächen und Einzeltherapie kommen in der Klinik noch Zusatzverfahren zum Tragen: Bewegungs- und Entspannungstherapie, kreatives Schreiben, Training der sozialen Kompetenz. Auch Essverhaltenstherapie gehört zum Behandlungsplan. „Um den Umgang mit Lebensmitteln zu erlernen, kochen die Patientinnen in gemischten Gruppen mit Patienten, die keine Essstörung haben“, so Hirschenauer. Das führe durchaus zu Spannungen: „Diejenigen aus der offenen Gruppe möchten oft Sahne in die Sauce haben. Oder Öl. Die Patientinnen mit Essstörungen wehren sich natürlich häufig. Da gibt es oft heftige Diskussionen.“ Aber genau diesen Austausch brauche es eben auch als Korrektiv.

Therapie München Klinik
In den Büros der Therapeuten in der München Klinik Harlaching finden auch Einzelsitzungen statt. © München Klinik Harlaching

Besonders betroffen von Essstörungen sind junge Frauen in Umbruchphasen

Insbesondere in Schwellensituationen würden Essstörungen zutage treten. Dann, wenn Umbrüche im Leben stattfinden, die angstbesetzt sind: „Frau zu werden, die Familie zu verlassen und in die Welt hinauszugehen.“ Der Eintritt ins Studium und in das Berufsleben seien zentrale Situationen, im Allgemeinen: Erwachsenen-Aufgaben übernehmen zu müssen. Beginnende Veränderungen zeichnen sich aber bereits in der Pubertät ab. Hirschenauer spricht dabei von der sogenannten Pubertätsmagersucht. Die soziale Isolation während der Corona-Pandemie hätte junge Menschen sicher zusätzlich daran gehindert, die notwendigen Entwicklungsschritte in Angriff zu nehmen und damit Ängste verstärkt. Auch die Daten der Barmer zeigen, dass Jugendliche und junge Frauen besonders häufig betroffen sind.

Wie die Erfolgschancen einer Behandlung stehen, das ist laut der Fachärztin ganz unterschiedlich. Manche Patienten seien zum ersten Mal in der Klinik, andere bereits seit Jahren in Therapie. Eine weitere Herausforderung: „Oft leiden unsere Patientinnen noch unter anderen psychischen Problemen, wie Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen. Diese erschweren ihr Leben zusätzlich.“

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