Höheres Wachstum als Deutschland: Griechenlands Comeback: Was wir heute vom einstigen Pleitestaat lernen können

Vor fast genau zehn Jahren erreichte Griechenland den Tiefpunkt seiner wirtschaftlichen Geschichte in diesem Jahrtausend. Die Arbeitslosigkeit hatte im Juni 2015 nahezu eine Quote von 25 Prozent erreicht, die Staatsschulden lagen bei mehr als 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Anleihen des Staates waren von allen Rating-Agenturen auf unterstes Ramschniveau gesenkt worden und zu allem Überfluss stoppte der damalige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, am 27. Juni den Kapitalverkehr nach Griechenland aus politischen Gründen. 

Der international umstrittene griechische Finanzminister Yannis Varoufakis musste daraufhin Kapitalkontrollen einführen. Kurzzeitig konnten Bürger wie Unternehmen nicht mehr als 60 Euro in bar abgeben, Transfers ins Ausland waren bis auf wenige Ausnahmen verboten.

Griechenland musste vor dem Staatsbankrott bewahrt werden 

Mit Hilfspaketen im Wert von mehr als 300 Milliarden Euro – die am Ende nicht komplett ausgezahlt wurden – musste die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds Griechenland vor dem Staatsbankrott bewahren, der auch die Eurozone in schwerwiegende Probleme gestürzt hätte. 2018 lief der letzte Rettungsschirm aus. Seitdem ist es ruhig geworden um Griechenland – zumindest in deutschen Wirtschafts-Schlagzeilen.

Wenn wir heute auf das Land schauen, dann haben sich viele Parameter überraschend stark verbessert. Die Schuldenquote des Staates schoss in der Corona-Pandemie noch einmal auf rund 210 Prozent nach oben, lag vergangenes Jahr aber bereits bei nur noch 150 Prozent und soll dieses Jahr auf rund 142 Prozent sinken. 

Allerdings drücken den Staat damit immer noch Miese von rund 360 Milliarden Euro. International sind nur fünf Länder relativ zu ihrem BIP höher verschuldet als Griechenland – aber die vor ihm liegenden Beispiele Japan und Singapur zeigen, dass dies nicht mit einer Krise einhergehen muss.

Hohes Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit

Beeindruckender sind andere Zahlen. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum liegt in Griechenland seit 2018 bei 2,0 Prozent. Das ist nicht überragend gut, reicht innerhalb der Eurozone aber für den 8. Platz. 

Zum Vergleich: Deutschland liegt ganz hinten auf Rang 20 mit 0,3 Prozent. Auch die Prognose des IWF sieht Griechenland bis 2030 mit durchschnittlich 1,6 Prozent über dem Mittelwert der Eurozone – während sich Deutschland nur marginal auf 0,4 Prozent verbessern und damit immerhin an Italien vorbeischieben soll.

Arbeitslosenquote in Griechenland stark gesunken

Die Arbeitslosenquote ist in Griechenland stark von 24,9 Prozent 2015 auf 9,4 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Das ist nach Spanien jetzt nur noch die zweithöchste. Zwar soll sie laut IWF bis 2030 weiter auf 7,9 Prozent sinken, das wäre dann aber immer noch der Silberrang in der Eurozone. 

Den Rückgang der Arbeitslosigkeit verdankt Griechenland einem starken Anstieg der Erwerbstätigkeit. 2024 hatten 4,3 Millionen Griechen einen Job. Das sind 18 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Innerhalb der Eurozone ist das die siebtbeste Entwicklung. Dass die Steigerung doppelt so hoch ist wie Deutschlands 9 Prozent liegt aber auch daran, dass Griechenland von einem viel geringeren Niveau aus startete und sollte nicht überbewertet werden.

Schuldenquote fällt seit 2015 deutlich

Dass die Schuldenquote nicht nur in den vergangenen Jahren, sondern seit 2015 deutlich fällt, verdankt Griechenland neben seinem Wirtschaftswachstum auch damit, dass die Regierung fast jedes Jahr einen Primärüberschuss im Haushalt erwirtschaftet. Das bedeutet, dass Griechenland mehr Geld einnimmt als ausgibt bevor die Zinszahlungen für Altschulden mit eingerechnet werden. Nur in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 gab es ein Primärdefizit. 

Im vergangenen Jahr wurde sogar ein Rekordüberschuss von 4,8 Prozent, rund 63 Milliarden Euro, erwirtschaftet. Diese Überschüsse waren eine der Kernbedingungen der Hilfspakete in der Schuldenkrise. Auch hier steht Griechenland besser da als Deutschland. Wir erwirtschafteten zwar bis zur Corona-Krise ebenfalls Primärüberschüsse dank der Schuldenbremse, liegen seitdem aber dauerhaft im Minus-Bereich.

Seinen wirtschaftlichen Aufschwung verdankt Griechenland dabei verschiedenen Maßnahme:

1. Arbeitsmarktreformen

Der Arbeitsmarkt wurde nicht gerade zum Vorteil von Arbeitnehmern verändert. So wurde der Mindestlohn 2013 von 877 auf 684 Euro im Monat für eine Vollzeitstelle gesenkt – also um satte 22 Prozent. Erst ab 2020 ging es wieder nach oben. Mittlerweile liegt er bei 968 Euro. Die Kaufkraft ist aber immer noch etwas niedriger, als sie vor der Mindestlohnsenkung 2012 war.

Deutlich verschlechtert wurde auch der Kündigungsschutz. Gab es zuvor Fristen von bis zu sechs Monaten sowie Abfindungen von bis zu 24 Monatsgehältern, wurde beides unter Druck der Troika halbiert. Zudem dürfen Unternehmen heute deutlich höhere Anteile ihrer Belegschaft auf einmal entlassen, was vor allem großen Konzerne zugute kommt. In Tarifverträgen vereinbarte Regelungen wurden außer Kraft gesetzt und besonders gut dotierte Tarifverträge reduziert.

Aber: Auf der anderen Seite gibt Griechenland heute auch deutlich mehr Geld aus, um besonders junge Arbeitslose in Jobs zu vermitteln. So werden zum Beispiel Praktika und Umschulungen bezuschusst. Dadurch sank speziell die Jugendarbeitslosenquote von 52 Prozent im Juni 2015 auf zuletzt nur noch 25 Prozent.

2. Rentenreform

Was sich Deutschland bisher nicht traut, hat Griechenland umgesetzt: eine große Rentenreform 2016. Ob diese allerdings zum Vorbild taugt, sei dahingestellt. Zunächst wurde ähnlich wie bei uns das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre erhöht sowie eine „Rente mit 62“ für alle mit mindestens 40 Beitragsjahren eingeführt. 

Gleichzeitig wurde das Rentenniveau deutlich gesenkt. Es liegt jetzt mit 55 bis 75 Prozent immer noch deutlich höher als Deutschlands 48 Prozent, dafür sind private Vorsorgen oder Betriebsrenten in Griechenland selten. Für ältere Griechen bedeutet das in der Regel ein härteres Leben als in Deutschland. Das Armutsrisiko liegt bei Menschen über 65 Jahren bei 19,4 Prozent. Hierzulande sind es mit 18,4 Prozent aber nicht viel weniger.

3. Steuerreformen

Noch weniger adaptieren wollen wir wohl die griechischen Steuerreformen. Die Mehrwertsteuer stieg in den vergangenen zehn Jahren auf 24 Prozent – der reduzierte Satz für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs liegt bei 13 Prozent. Das ist deutlich mehr als die 19 beziehungsweise 7 Prozent in Deutschland.

Auch die Einkommensteuer wurde reformiert und hat jetzt ein progressives Stufensystem ähnlich wie in Deutschland. Der Eingangssteuersatz nach einem Grundfreibetrag von rund 10.000 Euro liegt bei 22 Prozent – in Deutschland sind es 14 Prozent. Der Spitzensteuersatz liegt in Griechenland bei 45 Prozent und greift bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von nur 40.000 Euro im Jahr. In Deutschland sind es 42 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 67.000 Euro. 

Steuersystem weitgehend digitalisiert

Hinzu kommt in Griechenland ein Solidaritätszuschlag, der nach Einkommenshöhe gestaffelt ist und bei bis zu 10 Prozent liegen kann – in Deutschland sind es 5,5 Prozent für die höchsten zehn Prozent der Einkommen.

Aber: Die Steuerreformen haben auch ihr Gutes. Der griechische Staat hat anders als der deutsche sein Steuersystem mittlerweile weitgehend digitalisiert. Das spart Kosten in der Verwaltung und sorgt für weniger Schlupflöcher. So kann etwa die Steuererklärung komplett digital abgegeben werden.

Für Unternehmen waren die Steuerreformen hingegen positiv. Der Körperschaftsteuersatz wurde von 29 Prozent in Schritten auf 22 Prozent seit 2022 gesenkt. In Deutschland liegt er weiterhin bei rund 29 Prozent.

4. Privatisierungen

Der Hafen von Piräus gehört jetzt China, der Flughafen von Athen einer Investorengruppe, zu der auch Fraport gehört, die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens. Die griechische Bahn gehört jetzt einem italienischen Unternehmen, das Stromnetz, Gasversorger und die staatliche Lotterie wurden mindestens teilweise verkauft. Das hat rund sechs Milliarden Euro in die griechische Staatskasse gespült und gleichzeitig Verwaltungsausgaben gesenkt. 

Man stelle sich aber mal den öffentlichen wie medialen Aufschrei vor, wenn der Hamburger Hafen an eine chinesische Firma, der Frankfurter Flughafen nach Frankreich und die Deutsche Bahn an Großbritannien verkauft würden. Auch in Griechenland gab es dazu viele kritische Stimmen.

Was kann Deutschland also von Griechenland lernen?

Bei den großen Reformen wie der Renten- oder der Einkommensteuerreform hat Griechenland meist nur nachgeholt, was andere entwickelte Staaten wie Deutschland schon vorher hatten – etwa den klaren, progressiven Steuertarif oder die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre. „Wir müssen berücksichtigen, dass der Staat nach wie vor auf einem niedrigen Niveau agiert“, sagt denn auch die griechische Ökonomin Effrosyni Adamopoulou gegenüber der Augsburger Allgemeinen

Die Zahlen zu Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftswachstum zeigen denn auch, dass Griechenland nicht plötzlich vorneweg marschiert, sondern sich lediglich vom hilflos letzten Platz aus ins obere Mittelfeld der Euro-Staaten vorgearbeitet hat. Das ist zwar innerhalb von zehn Jahren eine sehr gute Leistung, aber die Ausgangslage ist eben doch eine ganz andere gewesen als jetzt in Deutschland – trotz zwei Jahren Rezession bei uns.

Konsequente Digitalisierung der Verwaltung 

Eine Sache gibt es denn aber doch, in der der griechische Staat als Vorbild für uns taugt. Die vielen Reformen gingen hier eben mit einer konsequenten Digitalisierung der Verwaltung einher, auch die Möglichkeiten, bargeldlos zu bezahlen, wurden massiv ausgebaut. Das geschah in Griechenland vor allem, um dem Schwarzmarkt und der Steuerhinterziehung Herr zu werden, hat aber darüber hinaus viele Vorteile. 

Für die Bürger bringt es Bequemlichkeit mit sich. Eine Steuererklärung komplett digital zu erstellen, den neuen Personalausweis ohne ausgedrucktes Foto zu beantragen und drastisch verkürzte Bearbeitungszeiten für so gut wie alle Verwaltungsprozesse fördern die Zufriedenheit. 

Für den Staat hat es den Vorteil, dass er effektiver arbeiten kann und Geld für seine Verwaltung einspart. Es braucht weniger Personal, weniger Kapazitäten, weniger Papier. Auch Unternehmen sparen Geld. Das Münchner Ifo-Institut schätzte die unnötigen Bürokratie-Kosten hierzulande im vergangenen Jahr auf 146 Milliarden Euro. Unternehmen, die Geld dafür einsparen, können es eben an anderer Stelle meist sinnvoller ausgeben – sofern es nicht an Dividenden rausgehauen wird.