Nach US-Sanktionen: Laser-Optik verschwindet von Putins Superpanzer
Schießen russische Panzer künftig nur noch über Kimme und Korn? Experten wundern sich über abgespeckte Kampfpanzer. Putin wird das wohl kaum stoppen.
Moskau – „Russland scheint keine Schwierigkeiten bei der Herstellung und Bereitstellung zumindest einiger Arten fortschrittlicher Systeme und Technologien zu haben“, schreibt Alex Orlow. Seine Einschätzung stammt aus dem September, wie er im Magazin Europäische Sicherheit & Technik publiziert hat. Orlow sieht darin Russlands Rüstungsindustrie bestens gewappnet. Analyst Michael Gjerstad dagegen hatte im Juni bereits geäußert, Russland kann von seinen T-90M-Panzern weniger produzieren, als Moskau lieb wäre und als Wladimir Putin vorgibt. Jetzt berichtet das Magazin Newsweek, dass Putins Prachtstück jüngst Verwirrung gestiftet hat: Offenbar müssen dessen Richtschützen künftig über Kimme und Korn zielen.
„Russlands modernster Panzer hat im Zuge der US-Sanktionen sein Laservisier verloren“, schreibt Jordan King. Der Newsweek-Autor bezieht sich auf Aussagen vor allem zweier Militäranalysten: Ein „Zermürbungseffekt“ der Sanktionen sei daran auszumachen, „dass die T-90M-Panzer nicht länger mit Mündungsreferenzsensoren ausgestattet sind“, erklärte Jack Watling vom Royal United Services Institute (RUSI), gegenüber der Washington Post. Gegenüber dem Blatt äußerte sich auch Militäranalyst Michael Gjerstad: Diese lasergesteuerten Optiken für den präzisen Schuss seien „auf mysteriöse Weise“ aus den T-90M verschwunden, urteilte der Forscher des International Institute for Strategic Studies (IISS).
Putins Panzer in Gefahr: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt
Wie Gjerstad nahelegt, leide darunter die Gefährlichkeit der Waffe und mache sie gleichermaßen anfälliger für gegnerischen Beschuss – vor allem, wenn die gegnerische Panzerbesatzung noch dazu besser ausgebildet beziehungsweise höher motiviert sei. Diese Unwägbarkeiten bringt immer der „Faktor Mensch“ mit in das stählerne Gehäuse, wie auch Brigadegeneral Björn Schulz im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt verdeutlicht hat – er leitet seit Februar 2022 die Panzertruppenschule der Bundeswehr – ihm zufolge sei die westliche Technik nur ein Aspekt der Überlegenheit der Nato gegenüber den Truppen Wladimir Putins.
„Die Motivation hinter Sanktionen besteht darin, Härten aufzuerlegen, um Verhaltensänderungen herbeizuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies auf Russland zutrifft, ist jedoch sehr gering.“
„Hinzu kämen die wesentlich bessere Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten und die Führungskultur in den westlichen Streitkräften, die den einzelnen Offizieren ein flexibles und eigenständiges Führen der Truppen im Gefecht erlaube. Hier liegt der wichtigste Vorteil gegenüber Russland. Denn der uralte Grundsatz im Feuerkampf sei: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt“, so Schulz. Im US-Magazin Warrior Maven fragt Chefredakteur Kris Osborn, in welchem Umfang der inzwischen 30 Jahre alte Panzertyp T-90 gewartet und weiterentwickelt wurde; Entwicklungen in der Computertechnik, Elektronik, in Optiken, aktivem Schutz und sowie in der bordeigenen IT hätten dazu führen können, dass er theoretisch ein ganz anderer Panzer geworden sein sollte als der als er er angedacht war.
Osborn hält beispielsweise zum Vergleich den US-amerikanischen Abrams von heute als eine gänzlich andere Plattform als dessen Urform. Analyst Gjerstad hat auf der Basis von Zahlen der Statistik-Plattform Military Balance+ veröffentlicht, dass Russland zu Beginn der Invasion im Februar 2022 etwa 67 Exemplare des Top-Modells T-90M im aktiven Dienst gehabt hätte. Vor diesem Krieg soll Russland eine jährliche Produktionsrate von 40 Stück jährlich gehabt haben – zumindest in der Theorie. Aufgefüllt worden seien die Reihen durch Modernisierungen von T-90A-Modellen. Auf einen Neubau sollen drei Modernisierungen gekommen sein. Die Serienproduktion des M-Modells sei zwar 2018 angelaufen, so Gjersad, aber Motorprobleme hätten die Produktion verzögert.
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Russlands Dilemma: zu wenig Panzer, um den T-90 zu exportieren und daran zu verdienen
Für den Exportmarkt bestimmte T-90-Panzer scheinen für den Einsatz in der Ukraine umgeleitet worden zu sein, und es existieren vermeintlich visuelle Beweise dafür, dass für Indien bestimmte T-90S-Kampfpanzer von russischen Streitkräften in der Ukraine eingesetzt wurden – das behauptete bereits anfangs des Jahres das Defenseblog. Bewiesen soll das dadurch gewesen sein, dass in Videos aufgetauchte T-90-Kampfpanzer englische Beschriftungen auf den Instrumententafeln zeigten.
Tatsächlich steht Russland Indien im Wort. Laut dem Magazin Defense News hatten die beiden Länder 2019 im Rahmen eines Technologietransfers vereinbart, mehrere Hundert T-90S-Panzer in Indien zu bauen – im Juli hat Analyst Bradford Thomas Duplessis aber gezweifelt, inwieweit Moskau noch über genügend Kapazitäten verfüge, um Indien mit den zugesagten Motoren und Getrieben für die T-90S-Panzer zu beliefern. Der Russland-Analyst der George Washington University sieht Russland in dem Dilemma, von Waffenexporten zu leben, aber inzwischen eben zu wenig produzieren zu können, um beispielsweise den T-90 weiterhin zu exportieren und daran zu verdienen.
Ukraine-Krieg kaum zu stoppen: Trotz Sanktionen rollen weiterhin Panzer vom Band
Bereits im März des ersten Kriegsjahres, also nur wenige Tage nach Beginn der Invasion im Februar 2022, hatte beispielsweise das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums auf seiner Sanktionsliste „Dutzende russische Rüstungsunternehmen, 328 Mitglieder der russischen Staatsduma und den Chef von Russlands größtem Finanzinstitut“, wie das Ministerium mitteilte. Obwohl die Sanktionen seit dieser Zeit mehr und mehr zum Ausdünnen russischer Produktionskapazitäten geführt haben sollten, rollen weiterhin Panzer vom Band.
Das Magazin Internationale Politik Quarterly hatte bereits im Februar 2023 davon berichtet, dass die T-72-Produktion stocken würde aufgrund fehlender Komponenten. Auch die Produktion verschiedener anderer Militärfahrzeuge hätte dem Autor Guntram Wolff zufolge gelitten: „Der renommierte Lkw-Hersteller Kamaz musste die Produktion aller seiner modernen Militärfahrzeuge einstellen, weil die in Deutschland produzierten Einspritzdüsen von Bosch nicht mehr erhältlich sind.“ All das mag zutreffen, allerdings hat Russland seit Veröffentlichung von Wolffs Einschätzung weitere eineinhalb Jahre Krieg und traumatische Verluste an Mensch und Material verkraften können; und wird diesen Krieg fortsetzen.
Klares Urteil: „Putins wirtschaftliche Stärke beruht auf seiner Kriegssucht“
Mitte Oktober hatte die Nachrichtenagentur Reuters eine verblüffende Erklärung für Russlands ökonomische Resilienz gefunden: „Putins wirtschaftliche Stärke beruht auf seiner Kriegssucht“, urteilte Pierre Briancon; den Reuters-Autoren beflügelte die Tatsache, dass sich Russlands Wirtschaft offenbar entgegen den westlichen Sanktionen als widerstandsfähig erwiesen und – trotz allem – seit dem Einmarsch in die Ukraine deutlich entwickelt hatte. Nach einem Rückgang von 1,2 Prozent in 2022 sei das Brutto-Inlandsprodukt (BIP), also die Summe der gesamten Wertschöpfung, in 2023 um 3,6 Prozent gestiegen.
„Laut dem Internationalen Währungsfonds soll es 2024 um 3,2 Prozent wachsen. Die Reallöhne russischer Haushalte stiegen, – inflationsbereinigt – im vergangenen Jahr um 7,8 Prozent. Und Sektoren, die außerhalb der Reichweite westlicher Sanktionen liegen, wie etwa Dienstleistungen im Gastgewerbe oder der Inlandstourismus, boomen“, schreibt Briancon.
Diesen „überraschenden Wohlstand“ erklärt die Nachrichtenagentur vor allem mit Russlands Fähigkeit, Sanktionen ins Leere laufen zu lassen – laut Briancon leide Russland seit der Annexion der Krim 2014 unter wirtschaftlichen Beschneidungen durch den Westen und hat gelernt, damit umzugehen. Desweiteren habe Putin auf vornehmlich die Rüstungsproduktion umgeschwenkt. Reuters baut auf Schätzungen verschiedener russischer Analysten, wonach der Militär-Etat zwischen bis 2027 um 25 Prozent steigen würden; demnach wachse er auf umgerechnet fast 140 Millionen Euro und umfasste damit sechs Prozent des BIP.
Deutlicher Trend: Mit Russlands Ausgaben geht einher, dass die Rüstungsgüter minderwertiger werden
Das sei zwar drei Mal so viel wie die von den Nato-Ländern angestrebte Summe, aber immer noch weit unter den 18 bis 20 Prozent, die die Sowjetunion während des Kalten Krieges für Verteidigung ausgegeben habe, schreibt Reuters.. Mit den gesteigerten Ausgaben geht einher, dass die Rüstungsgüter minderwertiger werden – beispielsweise ist das russische Sturmgewehr Ak-12 – zu deutsch: Automat Kalaschnikow Modell 2012 – verändert worden, um günstiger produziert werden zu können. Deutliche Vereinfachungen sieht die Fachpresse in dessen Sicherung und einem vereinfachten Mündungsdämpfer umgesetzt – Soldat & Technik rechnet auf die weitere Dauer des Ukraine-Krieges mit einer weiteren Reduktion der Komplexität der Waffe.
Auch die möglicherweise erzwungene Vereinfachung der Panzerwaffe wie dem einzelnen T-90M wird Russland möglicherweise zu neuen Taktiken veranlassen aber kaum in die Knie zwingen. Das war auch bereits vor zehn Jahren absehbar, wie Clifford G. Gaddy und Barry W. Ickes kommentiert haben. Die beiden Analysten des in Washington D.C. ansässigen Thinktank Brookings Institution hatten erörtert, wie weit Sanktionen Putin würden stoppen können und hatten mit ihrer Prophezeiung offenbar Recht:
„Die Motivation hinter Sanktionen besteht darin, Härten aufzuerlegen, um Verhaltensänderungen herbeizuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies auf Russland zutrifft, ist jedoch sehr gering.“