Asylverfahren auslagern? Gerichtshof verschärft Bedingungen – Meloni reagiert empört

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Der EuGH verlangt Transparenz bei Herkunftsländern. Meloni sieht eine Bedrohung für Italiens Migrationspolitik. Die Opposition spricht von Propaganda.

Rom – Auf den Online-Plattformen herrscht bei rechten Politikern große Erregung. „Skandalurteil des EuGH“ – „Wer jetzt noch (für) ProAsyl und gelenkten Migrationsrotz ist, wird nicht nur Heinz und Inge, sondern das gesamte deutsche Volk begraben sehen“ – „Ist dieses Urteil das Ende aller Abschiebungen?“ sind nur einige der Reaktionen auf der Plattform X. Was ist der Grund für diese Aufregung?

Die EuGH-Entscheidung zur Einstufung sicherer Herkunftsländer trifft in Italien auf harte Kritik. Ministerpräsidentin Meloni spricht von unzulässiger Einmischung des Gerichts. © Collage: Alketa Misja/dpa//Olivier Hoslet/dpa

Die Luxemburger Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben festgelegt, dass EU-Länder Listen mit sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ nur dann selbst erstellen dürfen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen. Zusätzlich muss für alle Bewohner des jeweiligen Staates Sicherheit gewährleistet sein. Folglich können Staaten, in denen beispielsweise gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert werden, grundsätzlich nicht als sicher gelten.

Dennoch stehen Senegal und Ghana auf der BAMF-Liste – obwohl dort homosexuelle Handlungen strafbar sind. Ebenso wird Serbien als sicher eingestuft, obwohl Sinti und Roma dort Diskriminierung, Rassismus und Benachteiligung erfahren.

EuGH-Vorgaben zu „sicheren Herkunftsstaaten“ haben auch Auswirkungen auf Deutschland

Schon seit geraumer Zeit wird diskutiert, Tunesien in die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ aufzunehmen; insbesondere die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) setzte sich für verstärkte Abschiebungen dorthin ein. Jedoch werden in Tunesien homosexuelle Menschen massiv von der Polizei verfolgt und strafrechtlich belangt. Vergleichbare Verhältnisse herrschen in Marokko.

Auslöser für die EuGH-Entscheidung war das „Albanien-Modell“, eine Initiative der rechtsgerichteten Drei-Parteien-Koalition unter Italiens Regierungschefin Meloni. Hierbei werden Asylanträge von männlichen Flüchtlingen aus „sicheren Herkunftsländern“, die im Mittelmeer gerettet werden, in Einrichtungen auf albanischem Territorium in beschleunigten Verfahren bearbeitet. Zu diesem Zweck schloss Italien einen zweiseitigen Vertrag mit Albanien ab.

Nachdem italienische Gerichte das Vorhaben blockiert hatten, verfügte die Meloni-Administration per Dekret, zukünftig auch Personen mit abgelehnten Asylanträgen in die albanischen Einrichtungen zu bringen.

Meloni reagiert mit heftiger Kritik auf EuGH-Entscheidung

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zeigt sich vorhersehbar erzürnt und attackiert die EuGH-Entscheidung heftig. Das Urteil komme unerwartet und beschneide die bereits eingeschränkten Möglichkeiten der Regierungen noch weiter, erklärte sie. „Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.“ „Die Entscheidung des Gerichtshofs schwächt die Politik zur Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen“, äußerte die Vorsitzende der postfaschistischen Regierungspartei Fratelli d‘Italia.

Einordnung von Pro Asyl

„Das Modell der sogenannten Rückführungszentren verfolgt eine gefährliche ‚Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn‘-Politik, die sich um Menschenrechte und die Schicksale der Betroffenen nicht schert. Die Kosten für Melonis menschenunwürdiges Propaganda-Projekt sind exorbitant, was in einem krassen Gegensatz zu der völligen Ineffizienz und Wirkungslosigkeit des Modells steht.“

„Ganz gleich, ob die albanischen Lager zur Durchführung von Asylverfahren oder als Abschiebelager dienen – die menschenrechtliche Bilanz des ‚Albanien-Modells‘ ist verheerend: Pauschale Inhaftierungen, fehlender Zugang zu Rechtsschutz, Intransparenz sowie das Ausbleiben demokratischer Kontrolle haben zur systematischen Entrechtung von Schutzsuchenden beigetragen. Es darf keine ‚rechtsfreien Zonen‘ außerhalb der EU geben, in denen Mitgliedsstaaten sich ihrer Verantwortung für Asylsuchende scheinbar einfach entledigen können“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL in einer Pressemitteilung. (ktho)

Die Gerichte mischten sich in politische Belange ein und maßten sich Befugnisse an, „die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt“. Auch den Zeitpunkt des Gerichtsurteils betrachtet die italienische Regierung als problematisch. Die Entscheidung fällt nur wenige Monate vor dem Wirksamwerden eines neuen EU-Migrationspakts, der schärfere Bestimmungen für den Umgang mit sicheren Herkunftsländern enthält.

Oppositionspolitiker kritisieren Meloni und sprechen von „falscher Opferrolle“

Der frühere italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte antwortete über Facebook. Melonis Entrüstung stelle „leere Propaganda“ dar und sei eine „falsche Opferrolle“ dar. Die EuGH-Entscheidung habe man vorhersehen können, Melonis Antwort sei dagegen eine „Blamage“.

Elly Schlein, Chefin der sozialdemokratischen Opposition, beschuldigte die Regierung, eine „illegale Entscheidung getroffen“ zu haben, wofür sie jetzt die Konsequenzen tragen müsse. (mit dpa)

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