Fuest: „Von 2000 Euro mehr brutto bleiben am Ende 32 Euro netto übrig“

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Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland steigt. Allerdings führt das nicht zu einem Anstieg der geleisteten Arbeit. Der Chef des Ifo-Instituts warnt, dass Vollzeitstellen sich nicht ausreichend lohnen.

Augsburg – Mehrarbeit in Deutschland lohnt sich nicht ausreichend. Laut dem Wirtschaftsforscher Clemens Fuest steckt dieses Problem hinter dem Ausbleiben der geleisteten Arbeit, denn gerade bei kleineren und mittleren Einkommen (und beim Bürgergeld) überlegen sich die Menschen zweimal, ob sie ihre Teilzeitstelle aufgeben sollten. Denn finanziell gebe es unterm Strich nur ein kleines Plus.

Erwerbstätige in Deutschland (Viertes Quartal 2023) 46,2 Millionen
Durchschnittlich geleistete Arbeitszeit (Viertes Quartal 2023) 333,9 Stunden (Destatis)
Durchschnittliche Arbeitszeit im Bergbau und Gewinnung von Steinen 39,8 Stunden (April 2023)

Ökonom kritisiert: Vollzeitarbeit lohnt sich nicht ausreichend

Fuest nannte gegenüber der Augsburger Allgemeinen das Beispiel einer Familie mit zwei Kindern. Diese leben in dem Szenario in einer Stadt mit höheren Mieten, etwa München. Durch einen Wechsel von der Teil- in die Vollzeitbeschäftigung erreicht die Familie einen Sprung von 3000 Euro auf 5000 Euro brutto im Monat. Dabei werden nicht nur Steuern und Sozialabgaben fällig, auch die Sozialtransfers fallen weg. „Von den 2000 Euro mehr brutto bleiben am Ende 32 Euro netto übrig“, erklärte Fuest. „Da versteht jeder, dass sich Arbeiten nicht lohnt.“

Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Institut München 3. Muenchner Weitblick, Olympiaturm Muenchen. 03.07.2023 ***
Fuest: „Von 2000 Euro mehr brutto bleiben am Ende 32 Euro netto übrig“ © IMAGO / Plusphoto

Die Politik müsse nun die verschiedenen Transferleistungen prüfen und dafür sorgen, dass vom Einkommen aus Mehrarbeit am Ende mehr netto übrig bleibt. „Das ist nicht ganz trivial, aber machbar“, befand Fuest. Die Teilzeitarbeit ist seiner Meinung nach für den Einzelnen verständlich, allerdings bedeute sie für die Volkswirtschaft im Ganzen weniger Güter und Dienstleistungen. Das wiederum wirke sich auf die Wirtschaftsleistung und die Steuereinnahmen aus – und auch auf die Sozialkassen. „Wir brauchen stärkere Anreize, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln“, sagte der Ökonom.

Mehrarbeit über 40 Stunden muss steuerfrei sein

Sven Schmidt, Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb bei Maschinensucher.de, hatte im Interview mit focus.de bereits Ansätze, die Fuests Vorschlag für ein Eingreifen der Politik konkretisieren würden. Eine Viertagewoche sei nicht die Lösung, stattdessen sollten Anreize für die Mehrarbeit über 40 Stunden entstehen. „Wir sollten darüber reden, dass man auf Mehrarbeit über 40 Stunden keine Steuern und Abgaben zahlen muss“, erklärte der Unternehmer.

Außerdem hinterfragte Schmidt, wie sinnvoll es wirklich war, das Bürgergeld zu erhöhen. In „einigen Bereichen“ könne das zu einer Kombination aus Bürgergeld und Schwarzarbeit führen. „Es wird ein falscher Anreiz gesetzt“, sagte Schmidt dazu. Einige Arbeitnehmer, so die Befürchtung, könnten gar ihren Job wegen des Bürgergelds aufgeben.

Deutsche wählen die Teilzeitarbeit freiwillig

Deutsche, die in Teilzeit arbeiten, tun das laut dem Mikrozensus im Jahr 2022 freiwillig. Nur sechs Prozent gaben dabei an, lieber in Vollzeit arbeiten zu würden, allerdings hätten sie keine entsprechende Stelle gefunden. 27 Prozent der Befragten hätten ihre kürzere Arbeitszeit auf eigenen Wunsch. Häufig ist die Betreuung von Kindern, Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftiger Personen der Grund für den Wechsel in die Teilzeitarbeit.

Dieser Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit ist auch in den Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zu sehen. Im vierten Quartal 2023 waren 46,2 Millionen Personen in Deutschland erwerbstätig gewesen, was im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Plus um 0,1 Prozent bedeutet. Gleichzeitig aber sank die Zahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden pro erwerbstätiger Person (minus 0,5 Prozent) auf 333,9 Stunden.

Lücke zwischen Teilzeit und Vollzeit wird in der Landwirtschaft deutlich

Wie die Schere zwischen Voll- und Teilzeitarbeit bei Arbeitnehmern aussieht, hat Destatis ebenfalls untersucht. Die aktuellsten Zahlen liegen dabei für April 2023 vor. Die meisten Arbeitsstunden hatte mit 39,8 Wochenstunden die öffentliche Verwaltung gemeinsam mit der Verteidigung und der Sozialversicherung zu verbuchen. Der Monatslohn (brutto) belief sich auf 4.254 Euro. Ebenfalls auf 39,8 Stunden kam das Produzierende Gewerbe, genauer: Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden. Hier standen 4.544 Euro Monatslohn auf dem Papier.

Angestellte in der Energieversorgung hatten mit 38,6 Wochenstunden weniger Arbeitszeit, kamen aber auf einen Bruttoverdienst von 5.352 Euro im Durchschnitt. Besonders drastisch fiel der Vergleich zwischen Land- und Forstwirtschaft (38 Wochenstunden, 2.798 Euro netto) mit dem produzierenden Gewerbe (24,3 Wochenstunden in Teilzeit, 2.384 Euro brutto) aus.

Mit Material von dpa

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