Wisag-Chef: „Wollen wir unseren Wohlstand sichern, geht das nur über mehr Arbeit“
Gleicher Wohlstand bei weniger Arbeit ist aus Sicht des Wisag-Chefs nicht möglich. Auch das Sozialsystem lasse sich so auf Dauer nicht finanzieren. Das Problem sei das „gesellschaftliche Mindset“ in Deutschland.
Berlin – Die Gewerkschaft GDL erzielte in der Tarifeinigung mit der Bahn eine 35-Stunden-Woche für die Lokführer. Politiker der Grünen und Linken sehen darin ein Vorbild für andere Branchen. Der Chef des Dienstleistungsunternehmens Wisag, Michael C. Wisser, betrachtet diese Entwicklung hingegen kritisch: Gleichbleibender Wohlstand sei mit immer weniger Arbeit nicht möglich, so der Wisag-Chef im Interview mit Handelsblatt.
Wisag-Chef sieht Problem nicht bei den Gewerkschaften, sondern im „gesellschaftlichen Mindset“
Das Problem seien nicht die Gewerkschaften, die kürzere Arbeitszeiten erstreiten, sondern das „gesellschaftliche Mindset“, meint Wisag-Chef Wisser. „Es scheint allgemein die irrige Vorstellung zu geben, dass ein gleichbleibender Wohlstand mit immer weniger Arbeit möglich ist.“ Er habe große Zweifel, dass der Wohlstand allein über Produktivitätssteigerung gesichert werden könne, da nicht nur die Arbeitszeiten verkürzt, sondern auch die Einkommen erhöht würden.
Es gehe nicht um die Umverteilung des Kuchens, sondern dessen Größe. „Wollen wir unseren Wohlstand sichern, muss das, was wir verteilen können – ich nenne es mal den volkswirtschaftlichen Kuchen –, größer werden. Das geht nur über mehr Arbeit“, betont der Wisag-Chef im Gespräch mit dem Handelsblatt und kritisiert ein aus seiner Sicht grundsätzliches Problem in der Gesellschaft: „Wir haben verlernt, den Wert der Arbeit zu schätzen.“ Laut Umfragen ist die Mehrheit der Befragten in Deutschland für eine Reduktion der Arbeitszeit.
Zwei Stunden mehr Arbeitszeit pro Woche: Was würde es der Volkswirtschaft bringen?
Der Vorschlag des Wisag-Chefs: Durchrechnen, was es der Volkswirtschaft und den Menschen hierzulande bringen würden, wenn alle Vollzeitkräfte zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten würden. „Für das persönliche Netto, den Konsum, die Mehrwertsteuer und andere Steuereinnahmen, die Sozialbeiträge, die Investitionsmöglichkeiten des Staates.“ Die Arbeitszeit werde in den „aktuellen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen gerne vergessen“, obwohl sie über die letzten Jahrzehnte deutlich gesunken sei. Auch das Sozialsystem und die Rente lasse sich nur über mehr Einkommen für die Menschen finanzieren, meint der Wisag-Chef.
Dass die von der GDL erstrittene kürzere Arbeitszeit den Job des Lokführers attraktiver macht, zweifelt Wisser nicht an. Doch das Problem werde damit nur verschoben: „Die Arbeitskraft wird umverteilt. Der Bahn mag es dann gut gehen, aber anderswo fehlen die Arbeitskräfte.“ Zudem warnt der Chef des Dienstleistungsunternehmens vor Gleichmacherei: „Die Menschen sind unterschiedlich begabt, sie haben unterschiedliche Fähigkeiten. Das ist gut so. Die Frage ist eher, wie unterschiedliche Kompetenzen eingesetzt werden können.“
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Arbeits- und Fachkräftemangel: Deutschland verliert an Attraktivität
Die Bundesrepublik leidet unter Arbeits- und Fachkräftemangel. Es habe hierzulande lange Produktivitätsvorteile gegeben, doch „mittlerweile gibt es nicht mehr viele, die bewundernd auf Deutschland schauen“, sagte Wisser zum Thema. „Während etwa in Australien ein paar 100.000 qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland auf der Warteliste stehen, wollen Menschen mit den hier benötigten Qualifikationen gar nicht mehr nach Deutschland“, warnt der Wisag-Chef.
Die Bundesrepublik habe in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. „Es ist für viele schlicht zu kompliziert“. Als Beispiel nennt er Geflüchtete aus der Ukraine, die oftmals gut ausgebildet sind. Doch nur etwa jeder Fünfte (18 Prozent) hat hierzulande eine Arbeit aufgenommen. Andere Länder sind deutlich erfolgreicher bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt: „In Polen waren es 65 Prozent, in Schweden 56 Prozent“, so Wisser und ergänzt: „Wir verschwenden Ressourcen.“