Russen „in Panik“: Warum die Ukraine jetzt die Krim mit schweren Raketen angreift
Die Krim rückt wieder in den Fokus. Mit einem schweren Angriff will die Ukraine die Russen von den anderen Fronten weglocken; für eine neue Offensive?
Simferopol – „Die Ukraine lockert langsam aber sicher den russischen Zugriff auf die Krim“, schreibt Serhii Kuzan. Der Analyst des US-Thinktanks Atlantic Council sieht mittlerweile Ergebnisse der ständigen Nadelstiche der Verteidiger gegen die Besatzungstruppen Wladimir Putins. Auch das Magazin Forbes berichtet aktuell davon, dass die Ukraine 40 Marschflugkörper, ballistische Raketen und Drohnen gegen Ziele auf der Krim abgefeuert habe. Die Russen dort seien in Panik geraten, was die Ukraine anscheinend hat provozieren wollen.
Seit Jahresbeginn habe die Ukraine mehr als ein Dutzend wichtige Ziele auf der Halbinsel angegriffen und damit der russischen Militärstrategie auf der Krim selbst und allgemein in der von Russland besetzten Südukraine erheblich zugesetzt, schreibt Kuzan. Zu diesen Zielen gehörten russische Luftwaffenstützpunkte, Radarstationen und Kommunikationspunkte sowie mehrere russische Luftabwehrsysteme. Jetzt soll wieder ein massierter Angriff geflogen worden sein – gegen den Flughafen Belbek nahe der Stadt Sewastopol.
Ukraine-Krieg entflammt wieder auf der Krim: „In erster Linie ein Täuschungsmanöver“
Darüber berichtete auf X „WarTranslated“ – der estnische Blogger beruft sich auf „bedeutende Quellen“, wie er sagt. Der Angriff sei geführt worden mit 40 Drohnen, Neptune-Raketen und womöglich auch Storm Shadow-Marschflugkörpern. Russische Blogger sein in helle Aufregung verfallen, weil Trümmerteile wohl wichtige Ziele trafen oder sogar entscheidend beschädigten, wie „WarTranslated“ auf seinem Kanal schreibt.
„Ich habe bereits erwähnt, dass wir bereit sind, die Krim auf diplomatischem Wege zurückzugewinnen. Wir können nicht Zehntausende unserer Leute opfern, damit sie für die Rückkehr der Krim sterben … Wir verstehen, dass die Krim auf diplomatischem Wege zurückgeholt werden kann.“
„Trotz seiner Masse und Raffinesse scheint es sich bei dem Angriff in erster Linie um ein Täuschungsmanöver gehandelt zu haben“, schreibt David Axe. Dem Forbes-Autoren zufolge hoffe die Ukraine, damit die Russen zu bewegen, ihre Luftabwehr zumindest in Teilen von anderen Frontabschnitten auf die Krim zu verlegen. Die Ukraine wolle damit über den Brennpunkten ein Stück Himmel zurückerobern. Das annektierte Gebiet am Schwarzen Meer hat nach wie vor die Strahlkraft, zum entscheidenden Schauplatz im Ukraine-Krieg zu bleiben, wie der Militärökonom Marcus Keupp im Interview mit der Tagesschau gesagt hat:
„Die Krim ist nicht nur das logistische Zentrum, sie ist auch das militärische Kraftzentrum der ganzen russischen Operation gegen die Ukraine, und deswegen wird sie auch das große Finale des Krieges sein und möglicherweise schneller, als so mancher das erwartet hat.“ Die russischen Bemühungen scheinen das zu belegen: Die Washington Post will im März dieses Jahres die russischen Befestigungsanlagen auf Bildern des Satellitendienstes Maxar genau verortet haben und addierte zu der Zeit mehr als 30 Kilometer an Schützengräben auf der Krim. Möglicherweise sind diese Befestigungen inzwischen sogar noch ausgebaut worden.
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Die Krim als Putins Prestige-Objekt: Symbol für Russlands Rückkehr zur Großmacht
Neben dem militärischen Wert der Krim verspricht diese Region ein ungemeines Prestige für Moskau – die fortwährenden Angriffe und bereits die Vertreibung der Schwarzmeer-Flotte bedeuten eine große Blamage, stellt Serhii Kuzan klar: „Die Besetzung der ukrainischen Halbinsel im Jahr 2014 wird in der Kreml-Propaganda regelmäßig als größte Errungenschaft von Wladimir Putins gesamter Herrschaft und als Symbol für Russlands Rückkehr zur Großmacht dargestellt. Putins derzeitige Unfähigkeit, die Krim zu verteidigen, wird daher weithin als persönliche Demütigung wahrgenommen.“
Angesichts der verheerenden Offensiven Russlands im Osten der Ukraine mitsamt der horrenden Verluste an Menschen und Material hatte die Krim für fast ein Jahr so etwas wie Ruhe bedeutet. Das mag sich jetzt wieder ändern. Auf den ersten Blick sei verwunderlich, dass die Ukraine dort offenbar wieder ihre knappen Ressourcen verpulvert – die Kombination aus tief und hoch fliegenden Angriffswaffen stellt David Axe allerdings als ein nur scheinbares Paradoxon hin. Der Autor impliziert, dass die wiederkehrenden Offensiven gegen die Krim einen ähnlichen Effekt versprechen sollen wie der Bodentruppen-Angriff auf Kursk: Sie sollen gegnerische Kräfte binden.
Krim gespickt mit ATACMS-Schreck: Kertsch-Brücke mit S-500-Luftabwehrsystem verstärkt
„Die Angriffe der ukrainischen Streitkräfte auf feindliche Militäreinrichtungen auf der besetzten Krim zwingen den Feind, zusätzliche Luftabwehrmittel in das Gebiet zu entsenden“, soll, laut Forbes, das ukrainische Zentrum für Verteidigungsstrategien als Ziel ausgegeben haben. Zuletzt habe Russland die Krim im Juni dieses Jahres aufmunitioniert. Die für die Logistik der Truppen so bedeutende Kertsch-Brücke hatte Russland mit einem S-500-Luftabwehrsystem verstärkt.
Erst im April hatte der damalige Verteidigungsminister Sergej Schoigu mittels der russischen Nachrichtenagentur Tass erklärt, dass Russland seine Luftabwehr mit den modernen S-500 schlagkräftiger würde ausstatten wollen. Auf der Krim war dann das erste dieser Systeme aufgetaucht. Der Schritt war die Folge der wiederholten Angriffe Kiews gegen die hochentwickelte russische Luftabwehr auf der Halbinsel, vermutlich mit Angriffen des taktischen Langstreckenraketensystems der US-Armee, den ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System), schrieb Newsweek.
Ringen um die Krim bleibt zäh: Ukraine kämpft ohne „sichtbaren ,ATACMS-Effekt‘“
Die S-500 war darüberhinaus nirgendwo an den Fronten aufgetaucht – von der Serienreife ist sie möglicherweise weit entfernt. Bis dahin bleiben die S-400 Raketen das wohl technisch Beste, was die Russen gegen die Ukraine beziehungsweise die ATACMS aufbieten können. Allerdings hält Markus Reisner die Nachrüstung Russlands auf der Krim lediglich für einen Silberstreif am Horizont – die Angst der Russen vor den US-amerikanischen Raketen ist nach einem ersten Schrecken dann schnell abgeflaut.
Er sieht zwar den effektiven Einsatz dieser Waffe; aber, wie der Oberst und Militärhistoriker auf der Homepage des Österreichischen Bundesheeres sagt, ohne „sichtbaren ,ATACMS-Effekt‘“. Er befürchtet, dass die ukrainischen Nadelstiche den Russen immer wieder Zeit ließen, nachzurüsten und sich zu verstärken – wie mit dem vermeintlich testweisen Einsatz der S-500-Raketen bewiesen zu sein scheint. Das Patt in der Lufthoheit bleibt also bis heute bestehen.
Deren Auftauchen habe nun wiederum die Ukraine zum Nachlegen gezwungen, wie er sagt – der kombinierte Angriff mit mehreren Waffensystemen gleichzeitig könnte ein Hinweis sein, dass die Ukraine diese ausgefeiltere Strategie verfolgt: „Aus militärischer Sicht müsste man massive Angriffe mit unterschiedlichen Waffensystemen kurz hintereinander ausführen. Dies würde zur notwendigen Übersättigung der russischen Abwehrmaßnahmen führen. Dazu benötigte es viele und hochwertige Wirkmittel. Wenn diese nicht verfügbar sind, müssten sie geliefert werden. Dies würde auch für Taurus gelten“, hatte Reisner gesagt.
Selenskyjs neue Rhetorik: „Bereit, die Krim auf diplomatischem Wege zurückzugewinnen“
Der Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland allerdings lässt weiter auf sich warten – auf der einen Seite mag die Ukraine die Hoffnung darauf aufgegeben haben, auf der anderen Seite hat sie inzwischen einen dem Taurus ähnlichen Marschflugkörper entwickelt – dieser Neptune soll jetzt auch in dem Angriff eingesetzt worden sein. Vor allem aber hat sich offenbar die Rhetorik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geändert.
Insgesamt will Selenskyj als Angebot eines dauerhaften Friedens die besetzten Gebiete in Teilen oder im Ganzen an Russland abgeben beziehungsweise den Kampf darum einstellen – das betrifft auch die Krim, die offenbar für Russland ein entscheidender Gewinn im Ukraine-Krieg darstellt. Gegenüber dem US-Sender Fox News macht Selenskyj bezüglich der Krim deutliche Zugeständnisse:
„Ich habe bereits erwähnt, dass wir bereit sind, die Krim auf diplomatischem Wege zurückzugewinnen. Wir können nicht Zehntausende unserer Leute opfern, damit sie für die Rückkehr der Krim sterben […] Wir verstehen, dass die Krim auf diplomatischem Wege zurückgeholt werden kann.“