Schweden verblüfft bei der EU-Wahl: Rechte brechen ein, Grüne verdoppeln sich – woran liegt‘s?
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VonFlorian Naumannschließen
Die Europawahl offenbart eine politische Verschiebung im Norden: Rechte Parteien verlieren deutlich, die Grünen sind im Hoch. Was steckt hinter dem Phänomen?
Europa ist nach rechts gerutscht – das könnte eine der großen Überschriften über dem Ergebnis der Europawahl sein. Ein neuer oder unerwarteter Trend ist das nicht. Doch es gibt auch Ausnahmen: In Polen etwa ist die PiS erstmals seit Langem bei einer nationalen Wahl nicht stärkste Kraft geworden.
Noch mehr aufhorchen lassen just drei Länder auf der anderen Seite der Ostsee: In Schweden waren die hart rechten „Sverigedemokrater“ noch bei der Parlamentswahl Ende 2022 zweitstärkste Kraft geworden – und sogar zu Duldenden der konservativen Koalition. Nun ist die Partei massiv eingebrochen. Dazugewonnen haben dafür die Grünen. Und in Dänemark ist die Sozialistische Volkspartei, im Europaparlament im Grünen-Lager vertreten, sogar Wahlsiegerin. Was steckt dahinter?
Europawahl 2024: Rechte haben im Norden zu kämpfen
Die harten Fakten: Die Schwedendemokraten kamen am Sonntag (9. Juni) nach dem vorläufigen Endergebnis „nur“ auf 13,20 Prozent. Bei der Schweden-Wahl 2022 hatten sie 20,5 Prozent errungen, bei der Europawahl 2019 16,8 Prozent. Ein ähnliches Bild auch in Finnland. Dort regieren die von Nazi-Skandalen geplagten „Wahren Finnen“ seit 2023 sogar mit. 20,1 Prozent lautete damals ihr Ergebnis. Und bei der Europawahl? 7,6 Prozent. Ein Tiefschlag für das rechte Lager.
In Dänemark war das Bild nicht so eindeutig. Die Dansk Folkeparti verlor zwar deutlich gegenüber der Europawahl 2019, erholte sich aber im Vergleich mit der Parlamentswahl 2022. Und die rechten Dänemarkdemokraten holten bei ihrer ersten Europawahl 7,4 Prozent – nach 8,1 Prozent bei der Wahl 22.
Dafür unterstrich der dänische Urnengang eine andere nordeuropäische Tendenz: Ein Aufschwung der Grünen. Die Sozialistische Volkspartei sammelte mit 17,4 Prozent den größten Stimmanteil ein, die radikalere „Einheitsliste – die Rot-Grünen“ steuerte weitere 7 Prozent bei. In Schweden konnten die zumeist kaum relevante Umweltpartei ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Und in Finnland überholten die Grünen mit einem zweistelligen Ergebnis sogar die „Wahren Finnen“. Der Politikwissenschaftler Stefan Thierse von der Uni Bremen vermutet gegenüber IPPEN.MEDIA ein allgemeines Phänomen hinter diesen Daten – aber auch ein paar Sondereffekte.
Rechte und Grüne in Schweden, Dänemark, Finnland überraschen: (Nicht nur) Midterm-Effekt?
„In Dänemark hat die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, liberaler Venstre-Partei und den Moderaten des ehemaligen Ministerpräsidenten Lars Lokke Rasmussen gegenüber der letzten nationalen Parlamentswahl fast 15 Prozentpunkte eingebüßt“, sagt er: „Das ist ein typischer Midterm-Effekt“ – also ein wiederkehrendes Phänomen zur Halbzeit zwischen den Wahlen.
„Traditionell brechen Regierungsparteien bei Europawahlen umso stärker ein, je mehr man in der Mitte eines nationalen Wahlzyklus ist“, erklärt der Experte. Auch in Schweden hätten die Wahlen inmitten des nationalen Wahlzyklus stattgefunden. Die Regierungsparteien seien hier nicht so stark betroffen gewesen – dafür aber die Schwedendemokraten, die vor der Wahl sogar noch aktive Regierungsambitionen bekundet hatten.
„Unter Umständen hat den Schwedendemokraten ein Fernsehbericht geschadet, wonach die PR-Abteilung der Partei über anonyme Social Media-Accounts eine Kampagne gegen Migranten und politische Gegner – einschließlich der Regierung – betrieben hat“, meint Thierse. Just am Wahlabend legte die Partei einen Eklat nach.
Dänische Rechtspopulisten leiden an restriktivem Einwanderungs-Kurs – Umwelt plötzlich wieder wichtig?
Zugleich könnten Besonderheiten in den nordischen Ländern eine Rolle spielen. Dass die rechte Dansk Folkeparti verloren habe, „dürfte auch damit zu erklären sein, dass die zentristische Regierungskoalition einen restriktiven Kurs in der Einwanderungspolitik verfolgt“, mein Thierse. Sprich: Die Regierung von Mette Frederiksen nimmt dem rechten Rand den Wind aus den Segeln – freilich ohne bei der Europawahl selbst profitieren zu können.
Dass die Grünen Erfolge feierten, könnte laut Thierse mit einem aus deutscher Sicht vielleicht überraschenden Phänomen zu tun haben. „Das könnte auch der Relevanz des Themas Umwelt geschuldet sein“, meint er. In Deutschland war dieser Aspekt zuletzt in den Hintergrund geraten.
So oder so: Der Wahlausgang in Schweden, Finnland und Dänemark überrascht zwar – große Umwälzungen im Europaparlament bringt er aber nicht. „Da sowohl Dänemark als auch Schweden nur relativ wenige Abgeordnete ins EP entsenden, ist der Effekt insgesamt begrenzt und wird sich allenfalls auf die fraktionsinternen Kräfteverhältnisse in der Fraktion der Grünen/EFA auswirken“, sagt der Politologe. Dänemark hat 15 Mandate im Europaparlament, Schweden 21. Die AfD alleine wird laut dem vorläufigen Ergebnis 15 Abgeordnete stellen – auch, wenn der erste davon bereits wieder ausgeschlossen ist. (fn)
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