Top-Ökonom Fuest zerreißt die Ampel: „Die SPD sagt beim Bürgergeld nicht die Wahrheit“
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) interpretiert eine Sozialleistungsstudie des ifo-Instituts als Erfolg für die Ampel-Regierung. Top-Ökonom Clemens Fuest ist erstaunt – und wird deutlich.
Frankfurt – Das Bürgergeld ist ein Prestigeerfolg für die Ampel. So sehen es zumindest weite Teile von SPD und Grünen. Doch die Sozialleistung steht weiterhin in der Kritik. Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitut ifo, wird nun sehr deutlich. „Die SPD sagt bei Bürgergeld nicht die Wahrheit“, erklärte er bei einer Veranstaltung des Airport Club Frankfurt am Montag (1. Juli).

Es sei offensichtlich, dass das Bürgergeld Menschen davon abhalte, mehr zu arbeiten, sagte Fuest. Die Diskussion um eine Reform sei aber schwierig, da es in den meisten Fällen darum gehen würde, Menschen etwas wegzunehmen, die eh schon wenig haben.
Die Kombination der Sozialleistungen sei ein Hauptproblem. Zuletzt veröffentlichte das ifo-Institut eine Studie zum Wohngeld. Darin enthalten war eine eigentlich erschreckende Beispielrechnung. Angenommen wurde eine vierköpfige Familie, die im teuren München lebt. Ein Elternteil hat eine 100-Prozent-Stelle, der andere arbeitet nicht. So kommt die Familie auf ein Einkommen von 3000 Euro brutto pro Monat und erhält zusätzlich Wohngeld. Wenn nun der andere Elternteil eine Zwei-Drittel-Stelle antreten und so 2000 Euro brutto mehr reinholen würde, blieben der Familie am Ende nur 32 Euro netto mehr in der Tasche. Weil Sozialleistungen wie das Wohngeld gestrichen würden.
SPD sieht Wohngeld-Studie als Erfolg – ifo-Chef widerspricht
Die SPD feierte die Studie als Erfolg, Arbeitsminister Hubertus Heil sagte: „Arbeiten lohnt sich immer“. Wegen 32 Euro mehr im Monat, wohlgemerkt. Diese Interpretation verblüffte ifo-Chef Fuest: „Arbeiten lohnt sich nicht. Das geht aus der Studie ja klar hervor. Die Politik muss den Mut haben, sich der harten Realität zu stellen.“ Es bedürfe großer Reformen bei den Sozialleistungen und auch bei der Rente.
Zum Beispiel befürwortet Fuest, Arbeitnehmer, die bereits im Rentenalter sind, ohne Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen weiterarbeiten zu lassen. Auch beim Renteneintrittsalter müssten die Schrauben angezogen werden. Zur Not mit harten Konsequenzen für die handelnden Personen: „Politiker müssen nun den Mut haben, sich für ihre Reformen zur Not auch abwählen zu lassen. Danach können sie dann als Berater oder Speaker immer noch Tausende von Euro verdienen.“
SPD verteidigt das Bürgergeld – Arbeiter wenden sich ab
Die SPD bleibt jedoch standhaft und verteidigt das Bürgergeld. „Das war eine notwendige Reform. Wir wollten die Menschen nicht mehr in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen parken, sondern sie konsequent auf den ersten Arbeitsmarkt bringen. Qualifikation und Weiterbildung werden massiv gestärkt“, erklärt Lars Klingbeil im Interview mit der SZ. Er möchte nicht Menschen, „die wenig haben, und Menschen, die wenig verdienen, gegeneinander aus[spielen]“. Daher setzt sich die SPD nun für einen höheren Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde ein. Anstatt beim Bürgergeld zu sparen, sollen alle anderen mehr verdienen.
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Interessanterweise scheint diese Arbeitsmarktpolitik nicht einmal bei denjenigen Anklang zu finden, die vermutlich am meisten davon profitieren würden. Das Wählerverhalten bei der Europawahl im Juni zeigt deutlich: Arbeiter und Arbeiterinnen wählten mehrheitlich die AfD, gefolgt von der Union. Die SPD landete abgeschlagen auf dem dritten Platz. Die größte Wählergruppe der Sozialdemokraten waren Rentner und Rentnerinnen.