Wirtschaftsvertreter schlagen Alarm - „Es verbietet sich“: Hier kommt die Abrechnung mit Spahns Syrien-Vorschlag
Kaum war das Assad-Regime gestürzt, forderte die CDU Konsequenzen für in Deutschland lebende Syrerinnen und Syrer. Am meisten Aufmerksamkeit erregte die Idee von Jens Spahn, diese Menschen mit einem kostenlosen Flug und 1000 Euro Startgeld zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Daran habe Deutschland ein „großes Interesse“, man müsse nun diese „Erwartungshaltung ausdrücken“. „Gerade die jungen Männer“ sollten in ihrem Heimatland beim Wiederaufbau helfen.
Die Debatte, die Spahns Vorschlag auslöste, ist vielschichtig. Zunächst einmal hat sich die Lage in Syrien alles andere als beruhigt, das sagt der CDU-Politiker selbst. Ob eine Rückkehr viele Syrer in Gefahr bringen würde oder nicht, lässt sich im Moment schwer einschätzen. Richtig ist allerdings, dass Syrien tatsächlich auch auf Rückkehrer angewiesen ist für den Wiederaufbau. Viele Bürger sind vor dem Assad-Regime geflohen oder sind im Bürgerkrieg gestorben, das Land ist personell ausgeblutet.
Allerdings ist es nicht so eindeutig, dass die Rückkehr der Syrer in jedem Fall im Deutschen Interesse liegt. Spahn spielt vor allem auf die Probleme mit Geflüchteten an, wenn er „gerade die jungen Männer“ erwähnt. Es gibt zwar von syrischen Geflüchteten begangene Straftaten wie der islamistische Anschlag von Solingen. Und es gibt auch Syrer, die in Deutschland keiner Arbeit nachgehen und von staatlichen Leistungen leben. Nicht wenige vermuten daher einen vergifteten Vorschlag von Spahn, der einfach nur möglichst viele Flüchtlinge zum Verlassen Deutschlands bewegen wolle. Aber auf der anderen Seite sind viele Syrer gut integriert und arbeiten in wichtigen Berufen.
Fast eine Million Syrer – davon darf ein Großteil nur befristet bleiben
Es lohnt sich also, genauer zu fragen: Wer sind die Syrer eigentlich, die in Deutschland leben und welche Rolle spielen sie in der deutschen Wirtschaft?
Laut Bundesinnenministerium lebten Ende Oktober 974.136 Menschen mit syrischer Herkunft in Deutschland. Verschiedene Statistiken geben genauer darüber Aufschluss, wie diese Gruppe einzuordnen ist.
Betrachtet man den Schutzstatus der Syrer, gibt es vor allem zwei große Gruppen: 321.444 sind als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention registriert. Bei ihnen bestand eine begründete Angst vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Religion. Ähnlich viele, nämlich 329.242 Syrer, genießen nur subsidiären Schutz. Bei ihnen nahm man generell an, dass ihnen wegen des Bürgerkriegs ernsthafter Schaden drohen würde. Beide Gruppen haben gemein, dass die Aufenthaltserlaubnis in Deutschland befristet ist und regelmäßig verlängert werden muss.
Mit Blick auf die Idee von Spahn bedeutet das: Fallen die Fluchtgründe weg, weil sich die Lage in Syrien verbessert, könnte Deutschland die Aufenthaltstitel auslaufen lassen. Spätestens nach drei Jahren hätte dann der Großteil der Syrer in Deutschland keinen Schutzstatus mehr und müsste zurückkehren. Ein Freiwilligenprogramm bräuchte es dann nicht. Das ergibt nur Sinn, wenn man Menschen möglichst schnell zur Rückkehr bewegen will – und nicht darauf vertraut, dass mit Ablauf des Aufenthaltstitels tatsächlich eine Rückkehr erfolgt.
Syrer sind weniger oft Tatverdächtige als andere Geflüchtete
Denn wird bei der individuellen Überprüfung festgestellt, dass ein Syrer gut integriert ist, bleibt er von einer Abschiebung verschont. Es gibt mit dem von der Ampelkoalition geschaffenen Chancenaufenthaltsgesetz sogar die Möglichkeit, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen. Wie gut die Menschen integriert sind, lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken, es gibt aber Anhaltspunkte.
Die Negativfälle lassen sich zum Beispiel durch die Kriminalstatistik abbilden. Diese zeigt: Syrer sind im Vergleich zu anderen Geflüchteten unterdurchschnittlich oft tatverdächtig. Sie machen 21,4 Prozent aller in Deutschland lebenden Geflüchteten aus, sind aber nur für 19,2 Prozent aller auf Flüchtlinge zurückzuführende Tatverdachte zuständig.
Zum Vergleich: Marokkaner machen nur 0,2 Prozent aller Flüchtlinge aus, sind aber für 2,9 Prozent der Geflüchteten-Tatverdachte zuständig – also ein Vielfaches ihrer Gruppengröße. Auch beim Anteil derer, die mehrfach tatverdächtig werden, liegen Syrer am unteren Ende der Tabelle.
Beschäftigungsquote der Syrer steigt
Viele in Deutschland lebende Syrer sind noch jung. Knapp 380.000, also fast 40 Prozent, sind unter 20 Jahre alt. Knapp 200.000 von ihnen besuchen noch die Schule. Sie haben den Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht, mehr als 50.000 wurden sogar hier geboren. Sie sind wahrscheinlich eher in Deutschland als in Syrien verwurzelt – eine Rückkehr würde sie aus ihrem gewohnten Umfeld reißen.
Auch die Beschäftigungsquote gibt Hinweise darauf, wie gut die Syrer integriert sind. Lag sie 2016 zeitweise bei nur rund sieben Prozent, ist sie seitdem kontinuierlich gestiegen und liegt derzeit bei knapp 40 Prozent. Bei der Gesamtbevölkerung liegt die Quote bei rund 68 Prozent. Die Differenz erklärt sich teilweise wieder durch die Altersstruktur: Laut Statistik gilt man ab 15 Jahren als erwerbsfähig. Weil überproportional viele Syrer in Deutschland jung sind und noch eine Schule oder Berufsschule besuchen, drückt das die Beschäftigungsquote.
Wirtschaftsverbände lehnen Rückkehr-Idee ab
Außerdem relevant: Viele Syrer sind in Branchen tätig, die ohne sie mit noch stärkerem Personalmangel zu kämpfen hätten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den allermeisten Bereichen der Anteil von Syrern am Gesamtarbeitsmarkt deutlich unter einem Prozent liegt. Nur in der Logistikbranche und bei Ärzten liegt der Anteil etwas höher.