Habeck verspricht revolutionäres E-Auto-Gesetz – kommt das Ampel-Ende dazwischen?
Der Erfolg der Energiewende hängt auch den Speicherkapazitäten, damit erneuerbarer Strom auch in den sonnen- und windarmen Zeiten zur Verfügung steht. Ein neues Gesetz soll 2025 kommen – eigentlich.
Berlin – Ob es in Deutschland gelingen wird, das Stromsystem zu 100 Prozent auf erneuerbaren Strom umzustellen, hängt ganz maßgeblich auch davon ab, ob es genug Speicherkapazitäten geben wird. Diese gibt es aktuell eigentlich nur in einer (wirklich bezahlbaren) Form, und zwar als Heimspeicher. Vorrangig werden diese Heimspeicher von Haushalten mit Solaranlage verwendet, damit diese ihren eigens produzierten Strom für sonnenarme Zeiten einspeichern können.
Doch es gibt noch eine zweite Speichermöglichkeit, die in Deutschland noch nicht genutzt wird. Das liegt ganz maßgeblich daran, dass dafür die Gesetze fehlen. Das könnte sich 2025 aber ändern – wenn die Ampel-Koalition bis dahin noch durchhält.
Elektroautos als Speicher nutzen: Bidirektionales Laden als Schlüssel zum Erfolg der Energiewende
Die Rede ist von bidirektionalem Laden, also der Möglichkeit, das E-Auto als Stromspeicher zu verwenden. Unterschieden wird dabei zwischen zwei wesentlichen Formen des bidirektionalen Ladens: „Vehicle-to-Home (V2H)“ und „Vehicle-to-Grid (V2G)“.
Vehicle-to-Home (V2H) bezieht sich auf die Möglichkeit, das Auto als Heimspeicher zu verwenden. In diesem Fall kann das Elektroauto also nach Bedarf den in der Batterie gespeicherten Strom in das Heimnetz speisen, genauso wie bei einem herkömmlichen Batteriespeicher. Dadurch erhöht man den eigenen Autarkiegrad: Nach Angaben der Firma RiDERgy können Haushalte, die eine Solaranlage, einen Speicher und ein Elektroauto verwenden, 80 Prozent ihres Strombedarfs dadurch mit dem eigenen Solarstrom decken.
Vehicle-to-Grid (V2G) bezieht sich auf die Möglichkeit, das Elektroauto als Speicher für das gesamte Stromnetz zu nutzen. Dabei kann die Batterie in Zeiten mit wenig erneuerbarem Strom im Netz dazu beitragen, davon viel einspeisen und so den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix erhöhen. Tagsüber können die Autos überschüssigen und dadurch günstigeren Sonnen- und Windstrom aus dem Netz aufnehmen und speisen ihn am Abend oder in der Nacht wieder ein. Dies könnte vom örtlichen Netzbetreiber oder Energieanbieter steuerbar sein. Je nachdem, wie die Regulierung das vorsieht, könnte der Besitzer des Autos mit der Einspeisung des Stroms zusätzlich Geld verdienen.
Wenn Elektroautos als Stromspeicher genutzt würden, könnten die Kosten des Energiesystems einer Studie zufolge EU-weit um jährlich bis zu 22 Milliarden Euro sinken - und auch Verbraucher könnten kräftig sparen. Die Kostenvorteile, die dieses Zwei-Richtungs-Laden für Netzbetreiber und Verbraucher bringen würde, haben die Fraunhofer-Institute für Solarenergie-Systeme (ISE) sowie für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des EU-Interessenverbands Transport & Environment (TE) ausgerechnet.
E-Autos als Stromspeicher nutzen: Technische Hürden bremsen den Erfolg
Demnach würde durch die umfängliche Nutzung der E-Autos als Stromspeicher im vorteilhaftesten Szenario der Investitionsbedarf ins europäische Energienetz zwischen 2030 und 2040 um mehr als 100 Milliarden Euro sinken. Dafür müsste allerdings schon bis 2030 rund die Hälfte aller E-Autos und Batterielastwagen in der Lage sein, den Strom wieder einzuspeisen.
Genau daran hakt es bei der Umsetzung von V2G und V2H aktuell. Denn im Moment sind nicht alle Elektroautos in der Lage, den Strom einzuspeisen. Claudio Geyken vom Softwareunternehmen RiDERgy, das sich auf das Laden von Elektroautos spezialisiert hat, sagt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA dazu: „Das Problem ist aktuell technisch. Wo sollte der Strom von Gleichstrom auf Wechselstrom umgewandelt werden? Im Auto oder in der Wallbox? Gerade wird in der Branche entschieden, welches Modell sich als Norm durchsetzen wird. Es gibt aber noch keinen klaren Gewinner.“

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Was Geyken damit meint: Nicht alle Elektroautos sind technisch in der Lage, den Strom wieder ins Netz zu speisen. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn die jeweilige Wallbox das kann. Doch auch da ist das nicht überall möglich: Nicht alle Ladepunkte sind technisch für bidirektionales Laden ausgerüstet. Was das Ganze noch mehr verkompliziert ist: nicht alle Systeme sind auch miteinander kompatibel. „Zum Beispiel braucht man aktuell für ein BMW-Auto auch eine BMW-Wallbox, um wirklich bidirektional zu laden. Da gibt es also noch Probleme, die in den nächsten Jahren gelöst werden müssen, damit es immer funktioniert“, so Claudio Geyken.
Dass bidirektionales Laden ein wirklich wesentlicher Bestandteil der Energiewende sein wird, ist nach Ansicht des Energieingenieurs von RiDERgy schon ausgemacht. „Bidirektionales Laden ist kein Nice to Have. Das ist ein sehr wichtiger Baustein für die Energiewende“.
Bidirektionales Laden: Habeck stellt Gesetzesänderungen in Aussicht
Das hat auch für Verbraucher enorme Vorteile, wie die Fraunhofer-Studienautoren errechnet haben. In Deutschland könnte ein Vier-Personen-Haushalt durch V2H Einsparungen von mehr als 700 Euro im Jahr erreichen. Bei der Einspeisung ins Gesamtnetz kämen etwaige Vergütungen für die Wagenhalter noch obendrauf.
Neben den technischen Hürden gibt es noch die Regulatorik. Es fehlten regulatorische und politische Rahmenbedingungen, um die bisherige Nischentechnik in großem Umfang marktfähig zu machen. Bei einem Industrietreffen vor wenigen Tagen hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Aussicht gestellt, dass bidirektionale Fahrzeuge und Dienstleistungen ab 2025 kommerziell verfügbar sein können.
„E-Autos können als mobile Stromspeicher enorm zur Stabilisierung des Stromsystems beitragen“, teilte Habeck mit. „Ihre Batterien können zur Zwischenspeicherung elektrischer Energien genutzt werden und schaffen so zusätzliche Flexibilität.“ Auch im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP eigentlich eine Lösung für bidirektionales Laden angekündigt. Aktuell ist es jedoch mehr als fraglich, ob die Koalition überhaupt noch bis Ende 2024 durchhält.
Elektroautos als Stromspeicher nutzen: Politik muss Modell attraktiv machen
Auch Claudio Geyken erwartet in den kommenden zwei Jahren insbesondere für V2H große Fortschritte. Bei V2G ist die Regulatorik etwas komplexer, da müsste der Staat eine Änderung an den Netzentgelten vornehmen, um das Geschäftsmodell für Halter attraktiv zu machen. „Aktuell würde man sowohl bei der Einspeisung als auch beim Laden des Stroms Netzentgelte zahlen. Das ist nicht fair und zerstört den business case im Moment“.
Dass bidirektionales Laden aber nicht nur Science Fiction ist, zeigt ein Blick über die Grenzen. In Großbritannien hat der Energieanbieter Octopus Energy in diesem Jahr als erster Stromanbieter der Welt einen bidirektionalen Stromtarif auf den Markt gebracht. Das Unternehmen verspricht ihren Kunden Einsparungen von bis zu 850 Pfund (ca. 1000 Euro) im Jahr durch den V2G-Tarif. Neben dem Versprechen, das Elektroauto zu besonders günstigen Zeiten aufzuladen sollen die Halter vergütet werden, wenn sie den Strom zu teuren Zeiten einspeisen.
Allerdings informiert Octopus Energy auch, dass nur eine sehr begrenzte Anzahl an Elektroautos aktuell V2G nutzen können. Dazu gehören der Nissan Leaf, Nissan e-NV200 und Mitsubishi Outlander PHEV.