Ungewöhnlicher Anblick im Unesco-Welterbe: Ein mit Kamera ausgestatteter Helium-Ballon schwebte dieser Tage unter der Decke der Wieskirche entlang. Die Foto-Technik erlaubt es, den Zustand des Rokoko-Kirchenraums genau unter die Lupe zu nehmen – auch aus vielen Metern Entfernung.
Wies – Nur ein leises Surren ist zu hören, als die Ballons über Daniel Roeselers Kopf hinweg nach oben in den prunkvollen Kirchenraum ziehen. Per Fernsteuerung lässt der Höhenfotograf die beiden weißen Kugeln, die fest aneinanderkleben und durch Schnüre in der Bahn gehalten werden, nah an das Rokoko-Gesims vor der Seitenwand der Wieskirche herangleiten. Die Helium-Ballons, die an überdimensionierte Golfbälle erinnern, ziehen eine Kamera mit sich nach oben. Alle Aufnahmen, die die Linse dort in der Luft macht, erscheinen sofort auf einem separaten Display. So kann Roeseler jedes Detail der reich geschmückten Bauelemente sehen, obwohl er weit von ihnen entfernt am Boden steht.
Für den Fotografen, der den „Photolifter“ – so heißt das Ballon-Kamera-Konstrukt – selbst entwickelt und gebaut hat, ist es in dieser Woche der erste Einsatz in einer bayerischen Kirche. „Dass es dann gleich die Wieskirche ist, ist natürlich nicht ohne“, sagt er und grinst. Seine Fototechnik ist auf die „Befliegung“ hoher Räume ausgelegt, und damit freilich auch für die Rokoko-Decken des Unesco-Welterbes bei Steingaden bestens geeignet. „Was die Höhe angeht, gibt es damit im Prinzip keine Grenzen“, sagt Roeseler, der den „Photolifter“ auch schon durch die Basilika in Weingarten hat schweben lassen. „Es wären auch 100 Meter möglich.“
Die Wieskirche, die die Brüder Johann Baptist und Dominikus Zimmermann zwischen 1744 und 1754 gebaut und ausgestattet haben, misst an ihrem höchsten Punkt im Mittelschiff knapp 20 Meter. Um dort hinaufzukommen, wäre normalerweise ein Gerüst nötig. „Durch die Fototechnik können wir uns eine aufwendige Einrüstung des Innenraums sparen“, erklärt Jan Menath, der beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in den Restaurierungswerkstätten tätig ist. Zusammen mit seinem Kollegen Andreas Müller betreut er die drei Tage andauernde „Befliegung“ der Wies und schaut konzentriert den Ballons bei der Arbeit zu.
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Die Aktion, die auch zahlreiche Welterbe-Besucher mit großen Augen verfolgen, gehört laut Menath zu einer umfangreichen Bestandsbewertung der Rokoko-Kirche. Das Team des Landesdenkmalamts weiß dabei genau, welche Bereiche man sich genauer anschauen muss, wo es bereits Risse oder abgeplatzte Stellen gibt. „Um zu sehen, wie sich diese Bereiche entwickeln, haben wir zum Vergleich Daten von früheren Bestandsaufnahmen herangezogen“, sagt Menath. Die jüngsten Aufnahmen stammen aus 2017, als die Wieskirche auch umfassend von Staub befreit wurde. Eine komplette Restaurierung des Innenraums liegt allerdings schon deutlich länger zurück: Wie Andreas Müller sagt, war das in den 1980er-Jahren.
Technik stört Kirchenbetrieb nicht
Mit den Bildern, die der „Photolifter“ zum Kirchenraum liefert, verschaffen sich die Experten nun einen aktuellen Wissensstand. Und sie hoffen, so frühzeitig auf Problemstellen aufmerksam zu werden. „Das ist also eine präventive Maßnahme“, erklärt Menath.
Eine solche kritische Stelle befindet sich auch oberhalb des Gesimses, das Roeseler mit der Ballon-Kamera anvisiert hat. In dem Bereich, den man vom Boden aus nicht sehen würde, hat sich ein Riss im Putz gebildet. „Der ist größer geworden und es sind kleinere Risse dazugekommen“, sagt Menath, der von den älteren Aufnahmen von dem Riss weiß und die Veränderung nun kritisch beäugt. Wie man dort weiter vorgeht, werde man nach der Auswertung der Bilder entscheiden, erklärt er.
Für die Experten aus dem Landesamt für Denkmalpflege scheint die Technik jedenfalls ein Glücksfall zu sein, immerhin ist sie nicht nur unkompliziert im Aufbau, sondern auch sehr leise. „Und man muss den Kirchenbetrieb dafür nicht stören“, sagt Müller. Das sei bei einer kompletten Einrüstung freilich etwas anderes. Außerdem würden die Ballons – anders als Drohnen – keinen Staub aufwirbeln, was auch der „Photolifter“-Entwickler hervorhebt: „In empfindlichen Räumen wie Kirchen ist das nicht zu unterschätzen.“
Am besten gefalle Roeseler aber die Perspektive, die er mit seiner Ballon-Kamera einnehmen kann. „Da bekommt man einen Blickwinkel in Gebäuden, den sonst kaum ein Mensch gesehen hat. Das ist etwas sehr Besonderes.“