Özdemir warnt vor US-Verhältnissen: Woke Städter, „rechte“ Bauern?

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Die Proteste der Bauern gehen weiter, Agrarminister Cem Özdemir warnt vor amerikanischen Verhältnissen. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis, Chefredakteur des Münchner Merkur. © Uwe Zucchi/dpa/Klaus Haag

Der große Bauern-Protest offenbart auch die tiefe Kluft zwischen Städtern und Landbevölkerung. Die Parteien der Mitte sind jetzt gefragt, die auseinanderfallenden Lebenswelten zusammenzuhalten, kommentiert Georg Anastasiadis.

Bundesagrarminister Cem Özdemir, einer der Nachdenklicheren in der grünen Partei, sieht in den Bauernprotesten den Vorboten amerikanischer Verhältnisse in Deutschland. „Die Menschen auf dem Land haben das Gefühl, abgehängt zu sein. Sie sorgen sich, dass sie in einer zunehmend von Städtern dominierten Politik unter die Räder kommen“, warnt Özdemir. Seine Angst vor einer sich vertiefenden Stadt-Land-Kluft ist begründet – aber auch die Sorge der Landbevölkerung, von den in Berlin tonangebenden woken Eliten ungehört zu bleiben. Das geht quer durch die Lebenswelten: Für Stadtbewohner ist der Wolf eine Art romantisches Fabeltier; viele Menschen auf dem Land aber fürchten ihn. Städter nutzen mit gutem Klimagewissen und dank gut ausgebautem Nahverkehr ihr mit Steuergeldern fett subventioniertes 49-Euro-Ticket – neiden den Bauern aber deren Agrarhilfen. Von ihnen fordern sie mehr Tierwohl und Klimaschutz, greifen aber im Laden gern zum Billigprodukt. Die urbane Bevölkerung kann sich den Luxus leisten, das Auto zu verdammen – auf dem Land aber bleibt es das zentrale Fortbewegungsmittel.

Versuch, den Aufstand der Bauern zu delegitimieren, dürfte nach hinten losgehen

Die auseinanderfallenden Lebenswelten zusammenzuhalten, ist die Aufgabe der Parteien der Mitte. Wenig hilfreich ist es, die Städter und deren politische Vertreter als „Party-People“ zu verspotten, wie Hubert Aiwanger es tut. Gewaltig nach hinten losgehen dürfte umgekehrt aber auch der Versuch mancher Ampelpolitiker, den Protest der Bauern zu delegitimieren, indem sie ihn pauschal als „rechts“ brandmarken. Das hat schon bei der Erdinger Heizungsdemo nicht geklappt. Ja, es gibt viele Trittbrettfahrer, und alle Beteiligten müssen gut aufpassen, wer wo marschiert. Doch haben der Kanzler und seine Minister vom Heizungsgesetz bis zur Agrardieselstreichung zu viele haarsträubende Fehler begangen, die sie hinterher hektisch korrigieren mussten, als dass sie sich jetzt einfach fest die Ohren zuhalten könnten, um den Aufschrei der Bürger nicht zu hören.

Georg Anastasiadis

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