
Bildquelle: Kishor Sridhar
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"Das einzige Führungsbuch, das Sie im digitalen Zeitalter benötigen" von Kishor Sridhar.
Neulich zeigte mir ein Bekannter begeistert eines jener Videos mit süßen Babys. Ich sagte nur trocken: „KI“.
Woher ich das wisse? Nun ja, wenn man beruflich mit der Implementierung von KI in Arbeitsprozessen zu tun hat, entwickelt man vielleicht ein Auge dafür. Und selbst das bald nicht mehr – denn die KI wird immer besser.
Nie zuvor war es so einfach, Inhalte zu erzeugen, Stimmen zu imitieren, Realitäten zu verfälschen – mit nur wenigen Klicks. Die Entwicklung generativer Künstlicher Intelligenz (KI) hat unsere Art zu kommunizieren, zu verkaufen und zu führen radikal verändert. Doch sie hat auch eine gefährliche Kehrseite: die zunehmende Täuschung der Öffentlichkeit – still, schleichend, effizient.
Der „große Betrug“, über den wir sprechen müssen, ist dabei nicht einmal zwangsläufig beabsichtigt. Er ist strukturell – eingebaut in Systeme, die auf Effizienz, Reichweite und Automatisierung getrimmt sind, nicht auf Ehrlichkeit oder Verantwortung.
Kishor Sridhar ist angesehener Berater, Keynote-Speaker und Autor, spezialisiert auf Change Management, Führung und Digitalisierung. Er unterstützt Führungskräfte bei Transformationsprozessen und lehrt an der ISM in München. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Ob auf YouTube, TikTok oder LinkedIn – Millionen Nutzer*innen konsumieren heute KI-generierte Inhalte, die sie für menschlich halten:
Bilder, die nie fotografiert wurden. Stimmen, die nie gesprochen haben. Meinungen, die nie gedacht wurden.
Einerseits eröffnet KI neue Chancen – etwa für Kundenkommunikation, Skalierung und Innovation. Andererseits sind viele Menschen zu Recht skeptisch gegenüber künstlicher Intelligenz. So sehen laut einer Bitkom-Studie von 2024 zwar 74 % der Deutschen in KI eine Chance, aber 52 % befürchten, dass KI den Menschen entmündigen könnte.
Als Unternehmen leben wir nicht nur von Produkten, sondern von Beziehungen – zur Öffentlichkeit, zu Kund*innen, zu Mitarbeitenden. Und Beziehungen basieren auf einem Gut, das derzeit massiv erodiert: Vertrauen.
Vertrauen entsteht durch Klarheit, durch Erwartbarkeit, durch Wahlfreiheit. Hinzu kommt das Problem des Ungleichgewichts: Eine Maschine kann schneller reagieren, schneller auf Daten zugreifen. Doch wenn man glaubt, mit einem Menschen zu sprechen – was macht das mit einem?
Man hält sich für weniger intelligent als sein Gegenüber, fühlt sich klein. Wenn eine KI meine Stimme und meinen Habitus analysieren kann, möchte ich das wissen. Genauso möchte ich wissen, ob eine KI mich im Gespräch lobt – oder ein Mensch.
Doch genau diese Transparenz fehlt.
KI-Systeme übernehmen heute die Kundenkommunikation, ohne dass dies zwingend kenntlich gemacht werden muss. Unternehmen nutzen automatisch generierte Texte, Bewertungen oder Produktbeschreibungen – ohne Hinweis auf deren Herkunft. Videos, Artikel, Social-Media-Posts – alles wirkt menschlich.
In meiner Arbeit in der Change-Beratung beobachte ich einen gefährlichen Trend: Der Einsatz von KI wird zunehmend zur „unsichtbaren Hand“, zum versteckten Tool in Vertrieb, Marketing und Employer Branding. Das spart Ressourcen – ja. Aber es untergräbt mittelfristig die Glaubwürdigkeit der Marke.
Denn Menschen wollen echte Interaktion. Nicht rund um die Uhr – aber dort, wo es zählt: bei Reklamationen, Beratungsgesprächen, in der öffentlichen Kommunikation. Wer dies aus Effizienzgründen "algorithmisiert", ohne es offenzulegen, handelt nicht smart – sondern fahrlässig.
Auch die großen Plattformbetreiber tragen Verantwortung. Zwar kündigte YouTube im Frühjahr 2024 an, dass Creator künftig kennzeichnen müssen, wenn sie „realistisch wirkende KI-Inhalte“ posten. Doch diese Labels sind oft klein, freiwillig – und leicht zu umgehen.
Meta (Facebook, Instagram) geht ähnliche Wege. Doch solange es keine verpflichtende, automatisierte Erkennung und Kennzeichnung gibt, bleibt es bei kosmetischen Korrekturen.
Und TikTok? Dort sind Deepfakes längst Bestandteil der viralen Kultur – ohne jede Kontextualisierung.
Eine Studie der EU-Kommission 2023 zeigt: Bereits jeder fünfte politische Inhalt zur Europawahl war irreführend oder manipuliert – Tendenz steigend. Wenn Plattformen nicht handeln, werden sie zum Multiplikator digitaler Irreführung.
Wir brauchen jetzt klare Regeln, damit Bürger und Konsument*innen weiterhin die Freiheit haben, zu entscheiden. Die Maßnahmen dafür sind denkbar einfach – aber wirkungsvoll:
1. Klare und verpflichtende Kennzeichnung:
Alle Inhalte, die durch KI erzeugt oder verändert wurden, müssen deutlich gekennzeichnet werden – nicht als Fußnote, sondern sichtbar und nachvollziehbar. Das gilt für Texte, Bilder, Videos, Stimmen – in sozialen Medien ebenso wie im Kundenservice.
2. Wahlfreiheit in der Interaktion:
Ob im Chat, am Telefon oder im E-Mail-Support – Menschen müssen wissen, ob sie mit einem Menschen oder einer Maschine sprechen. Und sie sollten das Recht haben, die Maschine abzulehnen.
3. Plattformverantwortung gesetzlich festschreiben:
Der EU AI Act ist ein erster Schritt, um Betrug durch KI zu verhindern. Doch er greift noch nicht im alltäglichen Umgang mit KI. Deutschland sollte national vorangehen – mit einer Kennzeichnungspflicht und einer KI-Transparenzverordnung, analog zur Lebensmittelkennzeichnung.
Wer kommuniziert, muss sagen, wer (oder was) kommuniziert.
4. Unternehmensethik neu denken:
Digitale Effizienz darf nicht auf Kosten der Authentizität gehen.
Führungskräfte müssen Verantwortung übernehmen für die Tools, die sie einsetzen – und sich fragen: Fördere ich durch KI wirklich den Dialog? Oder verschleiere ich nur meine Prozesse und stehle mich aus der Verantwortung für die Menschen?
KI ist kein Gegner des Menschen. Sie ist ein Instrument – eines, das uns helfen kann, Komplexität zu meistern, Prozesse zu automatisieren und sogar kreative Impulse zu setzen. Doch dieses Instrument muss offen gelegt werden.
Denn wenn wir KI einsetzen, ohne dies kenntlich zu machen, handeln wir nicht innovativ, sondern manipulativ. Dann untergraben wir das Vertrauen in unsere Marken, unsere Aussagen – und letztlich in unsere Gesellschaft.
In einer Welt, in der jede Stimme gefälscht, jedes Bild erfunden, jeder Text algorithmisch generiert sein kann, ist Transparenz das letzte echte Unterscheidungsmerkmal.
Und genau deshalb beginnt die wahre Führungsarbeit im Change-Prozess der KI-Revolution nicht mit dem Einsatz von Technologie, sondern mit der bewussten Entscheidung für Offenheit.
Bildquelle: Kishor Sridhar
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