Im Schatten Chinas: Taiwan wählt einen neuen Präsidenten
Taiwan wählt am Samstag einen neuen Präsidenten. China will einen Sieg des Favoriten verhindern – und könnte mit Militärmanövern reagieren.
Taipeh – Es ist eine der wichtigsten Wahlen des Jahres: Am Samstag, 13. Januar, stimmen rund 19,5 Millionen Wahlberechtigte in Taiwan über einen neuen Präsidenten ab. Amtsinhaberin Tsai Ing-wen darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten.
Für viele Wählerinnen und Wähler spielen Themen wie niedrige Löhne, steigende Mieten und hohe Kosten für die Kinderbetreuung eine wichtige Rolle bei der Abstimmung. Internationale Beachtung aber findet die Taiwan-Wahl, weil es auch um die Beziehung des Landes zu seinem großen Nachbarn geht, der Volksrepublik China. China betrachtet das demokratisch regierte Taiwan als „abtrünnige Provinz“ und will den Inselstaat notfalls mit Gewalt mit dem Festland „wiedervereinigen“.
Ins Rennen um die Nachfolge für Tsai Ing-wen gehen drei Kandidaten: Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), Hou Yu-ih von der Kuomintang (KMT) sowie Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (TPP). Umfragen sehen Lai mit rund 36 Prozent der Stimmen vorne, gefolgt von Hou (31 Prozent) und Ko (24 Prozent). Eine Stichwahl gibt es nicht – Lai könnte also mit deutlich weniger als der Hälfte der Stimmen Präsident werden. Beobachter halten es aber für möglich, dass Anhänger von Ko ihre Stimmen im letzten Moment doch noch dem KMT-Kandidaten Hou geben und ihm so zum Sieg verhelfen – beide Politiker wollten eigentlich zusammen zur Wahl antreten, konnten sich schließlich aber dann doch nicht auf eine gemeinsame Kandidatur einigen.
China bezeichnet Favoriten von Taiwans Präsidentschaftswahl als „Separatisten“
Lai Ching-te gilt – wie Amtsinhaberin Tsai – als sehr China-kritisch. Er will die Abhängigkeit seines Landes von der Volksrepublik verringern, stärker aufrüsten und die Allianz zu westlichen Partnern wie den USA stärken. Hou und Ko hingegen glauben, dass eine Annäherung an China die Spannungen mit dem großen Nachbarn verringern würde. Alle drei Kandidaten plädieren dafür, den Status quo aufrechtzuerhalten – sie wollen Taiwan also nicht formell für unabhängig von China erklären, streben aber auch keine Vereinigung mit der Volksrepublik an.
Peking bezeichnet Lai dennoch als „Separatisten“ und hat mit Konsequenzen gedroht, sollte er gewählt werden. Experten erwarten etwa, dass China nach einer Wahl Lais Militärmanöver rund um Taiwan durchführen könnte. Mit Einschüchterungsversuchen – täglich schickt China Kampfjets und Kriegsschiffe in die Nähe von Taiwan – und Desinformationskampagnen will Peking die Taiwaner deswegen dazu bewegen, ihre Stimme dem KMT-Kandidaten Hou Yu-ih zu geben.
Die Wahllokale in Taiwan schließen um 16 Uhr Ortszeit (9 Uhr deutscher Zeit); ein offizielles Ergebnis wird für den späten Abend (Ortszeit) erwartet. Der Gewinner der Präsidentschaftswahl wird voraussichtlich Ende Mai vereidigt. (sh)