Mit seinen Sketchen erlangte der Schweizer Kabarettist Emil Steinberger Kultstatus. Nun erscheint der Dokumentarfilm „Typisch Emil“. Ein Gespräch.
Er ist der Lieblings-Schweizer der Deutschen: Mit seinen legendären Sketchen erlangte Emil Steinberger seit den Siebzigerjahren auch bei uns Kultstatus. Viele kennen ihn zudem als Hauptdarsteller des erfolgreichsten Schweizer Films aller Zeiten („Die Schweizermacher“, 1978). Doch nur wenige wissen, dass er beispielsweise auch Postbeamter, Grafiker, Maler, Theaterdirektor, Kinoleiter, Zirkusprogramm-Regisseur oder Buchautor war – und als Werbefilmer unter anderem den „Melitta-Mann“ erfunden hat. All das und noch viel mehr erfährt man im Dokumentarfilm „Typisch Emil“, der am 19. Juni in den deutschen Kinos anläuft. In seinem lichtdurchfluteten Atelier in Basel, wo er seit 2014 mit seiner zweiten Ehefrau Niccel lebt, treffen wir den nunmehr 92-jährigen, aber immer noch topfitten und umwerfend liebenswürdigen Kabarettisten zu einem außergewöhnlich herzlichen und offenen Gespräch.
Wann haben Sie festgestellt, dass Sie die Leute zum Lachen bringen können?
Schon mit zehn Jahren. Als Ministrant habe ich in der Kirche hinter dem Rücken des Pfarrers oft kleine Späße gemacht. Morgens, auf dem langen Weg zur Schule, habe ich meinen Klassenkollegen improvisierte Geschichten erzählt; sie haben gelacht und wollten auf dem Heimweg unbedingt die Fortsetzung hören. Und unser Lehrer hat mich einmal mitten im Unterricht vor die Tür geschickt. Nach der Stunde habe ich protestiert: „Ich habe doch gar nicht geschwatzt!“ Da meinte er nur: „Tut mir leid, Emil, aber wenn ich dich angucke, muss ich einfach immer lachen!“
Nach dem Schulabschluss haben Sie zunächst fast zehn Jahre als Postbeamter gearbeitet…
Ja, ich sollte „etwas Gescheites“ lernen. Aber diesen Job konnte ich nur so lange aushalten, weil ich zum Ausgleich abends in einem Kabarett-Ensemble aufgetreten bin. Mit 27 hatte ich endlich den Mut, bei der Post zu kündigen und mich auf der Luzerner Kunstgewerbeschule zum Grafiker ausbilden zu lassen. Für meine Eltern war das ein Schock – sie haben nie verstanden, wie man so eine sichere Stellung aufgeben kann. Mein Vater wollte mir noch eine andere Beamtenstelle vermitteln: im Zeughaus, wo das Militär seine Ausrüstung aufbewahrt. Aus Anstand habe ich mir das mal einen Tag angeschaut. Dort hat man mir lauter Schachteln gezeigt und erklärt: „Hier sehen Sie die Schraube 416, die hat ein anderes Gewinde als die Schraube 415, deshalb müssen wir sie immer separiert halten…“ Da wusste ich: Das ist auch nichts für mich.
Wären Sie heute noch als Grafiker tätig, wenn es mit der Bühnenkarriere nicht geklappt hätte?
Ich wollte nie Kabarettist werden. Diesen Beruf habe ich mir schlimm vorgestellt: ständig reisen, immer weg von daheim, in irgendwelchen Hotelzimmern… Anfangs waren die Auftritte für mich bloß ein Hobby. In erster Linie habe ich als Grafiker und Werbefilmregisseur gearbeitet und in Luzern ein Theater und ein Kino geleitet. Doch als ich mit meinen Solo-Programmen immer erfolgreicher wurde, musste ich alles andere aufgeben.
Haben Ihre Eltern sich irgendwann darüber gefreut, dass Sie im gesamten deutschsprachigen Raum vor ausverkauften Häusern aufgetreten sind?
Nein. Sie konnten damit überhaupt nichts anfangen und fanden bis zum Schluss, ich hätte bei der Post bleiben sollen. Mir hat das sehr zu schaffen gemacht. Ich habe noch im Elternhaus gewohnt, bis ich 30 war – und abends, auf dem Weg ins Theater, musste ich oft weinen, weil ich diese Ignoranz einfach nicht begreifen konnte. 1977, als die Schweiz rund sechs Millionen Einwohner hatte und ich im Circus Knie vor insgesamt 1,4 Millionen Zuschauern aufgetreten bin, wurde meine Mutter in einem Interview gefragt, ob sie stolz auf meinen großen Erfolg sei. Und sie sagte nur, sie wäre froh, wenn ich endlich mit diesen Dummheiten aufhören würde.
Gab es nie eine Art Versöhnung? Auf dem Sterbebett vielleicht?
Nein, das war auch nicht nötig. Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden und sie manchmal noch besucht, obwohl mich da nichts Erfreuliches erwartet hat, sondern hauptsächlich Vorwürfe wie: „So, so, sieht man dich auch wieder mal?“
1993 sind Sie nach New York umgezogen. Eine Flucht vor dem Ruhm?
Ein dringend nötiger Schritt. In der Schweiz konnte ich mich kaum eine Minute mehr in der Öffentlichkeit bewegen, ohne angesprochen zu werden. Fans verfolgten mich sogar bis in Schuhgeschäfte hinein, die Medien waren ständig hinter mir her und produzierten immer abenteuerlichere Schlagzeilen. Ich brauchte Abstand und Ruhe, um meine Kreativität nicht zu verlieren.
In New York haben Sie auch Ihre jetzige Ehefrau Niccel getroffen …
Ja, aber kennengelernt haben wir uns schon früher. 1985, an ihrem 20. Geburtstag, schrieb Niccel mir aufs Geratewohl einen Brief, in dem sie mich fragte, ob ich einen Tipp hätte, wie und wo sie sich am besten zum Clown ausbilden lassen könnte. Daraus entwickelte sich eine wundervolle zehnjährige Brieffreundschaft. 1995 beschloss Niccel, ihren 30. Geburtstag mit ihrer Mutter in New York zu feiern, weil beide noch nie einen anderen Kontinent betreten hatten. Und nachdem ich zufällig auch in der Stadt war, trafen wir uns ein paarmal; ich besorgte den beiden diverse Tickets für Musicals und den Cirque du Soleil, und nach einer Woche flogen sie wieder heim. Es folgte ein Jahr, in dem wir uns weiterhin schrieben und ich gründlich überlegte, ob ich mich als geschiedener Mann mit 60 Jahren noch mal auf eine Beziehung einlassen wollte. Schließlich lud ich Niccel ein, ihren 31. Geburtstag wieder in New York zu verbringen. Sie sagte Ja. Diesmal kam sie ohne Mutter. Und seitdem sind wir zusammen. Unzertrennlich. Seit fast 30 Jahren.
Was für eine romantische Liebesgeschichte! Das hätte sich auch Rosamunde Pilcher nicht schöner ausdenken können.
Stimmt. Aber der Clou kommt erst noch: Der Wunsch, unbedingt Clown werden zu wollen, wurde in Niccel nämlich schon geweckt, als sie 1980, mit 15 Jahren, das neue Programm des Circus Roncalli sah. Sie war total begeistert und hat gleich zig Vorstellungen besucht. Damals wusste sie allerdings nicht, dass ich dieses Programm finanziert, organisiert und inszeniert hatte. Das habe ich ihr erst anderthalb Jahrzehnte später in New York verraten.
Gab es Vorbilder für Ihre Arbeit? Haben Sie beispielsweise Nummern von Kollegen wie Karl Valentin studiert, um zu lernen, was funktioniert und was nicht?
Nein. Natürlich habe ich mir Auftritte von anderen Kabarettisten angeschaut, aber nie mit der Absicht, irgendwas zu kopieren. Ich habe sogar ganz bewusst alle Valentin-Schallplatten versteckt, weil ich partout vermeiden wollte, jemals irgendein Detail zu übernehmen.
Manche Themen haben Sie stets gemieden: Kirche, Sex, Militär, Politik … Geschah das bewusst?
Ja. Sich übers Militär lustig zu machen, fand ich schon immer zu billig. Sex-Sujets kämen mir nie in den Sinn – Witze unter der Gürtellinie interessieren mich nicht. Religiöse Themen sind heikel: Da berührt man den Bereich des Glaubens und der menschlichen Seele; das ist so zart und fein, das möchte ich nicht zerstören. Politisches Kabarett könnte ich mir durchaus vorstellen – ich bin politisch interessiert, informiere mich jeden Tag, lese Zeitungen und schaue mehrere Nachrichtensendungen. Aber das würde nicht zu meinen anderen Nummern passen. Ich glaube, die Leute genießen es, dass man bei mir nicht angestrengt überlegen muss: Was meint er jetzt mit der Anspielung? Bei meinen Programmen kann man sich entspannt zurücklehnen und lachen und Freude haben. In Zeiten wie diesen braucht man so etwas einfach auch.
Sie sind 92 Jahre alt, wirken aber geistig und körperlich so fit, als wären Sie höchstens 70. Was ist Ihr Geheimnis?
Ich habe nie geraucht und nie gesoffen, war nie betrunken und habe nie Sport getrieben. Ansonsten habe ich mir keine spezielle Mühe gegeben. Meine kluge Ehefrau und interessante Aufgaben halten mich auf Trab. Und ich denke, es ist gesund, sich möglichst nicht mit Jahreszahlen zu befassen. Ich habe meinen Geburtstag nur selten gefeiert und sogar meinen Renteneintritt verpasst. Zudem schaue ich so gut wie nie zurück: Gegenwart und Zukunft finde ich viel spannender. Man weiß ja nie genau, was kommt. Aber irgendwas kommt auf jeden Fall! (Lacht.)