Putin wundert sich über islamistischen Terror in Russland – Warum ein IS-Schlag nicht überraschen würde
Islamisten in Russland? Was für den russischen Präsidenten Putin nach einer Operation der Ukraine klingt, ist tatsächlich nicht unwahrscheinlich.
Moskau – Der russische Präsident Wladimir Putin zeigte sich angesichts des IS-Bekenntnisses zum Terroranschlag bei Moskau verwundert. „Sind radikale und sogar terroristische Organisationen wirklich daran interessiert, Anschläge auf Russland auszuführen, das heute für eine gerechte Lösung des eskalierenden Nahost-Konflikts steht?“, fragte er zum Auftakt einer Besprechung über potenzielle Folgemaßnahmen im Kreise hochrangiger Sicherheitsbeamter. „Wie können radikale Islamisten im für alle Muslime heiligen Monat Ramadan solche Verbrechen ausführen?“
IS-Untergruppe bekannte sich schnell zum Anschlag auf Moskauer Konzerthalle
Am Abend des 22. März drangen einige mit Kalaschnikow-Maschinengewehren bewaffnete Terroristen in die Konzerthalle „Krokus City Hall“ nordwestlich von Russlands Hauptstadt Moskau ein und eröffneten das Feuer. Laut offiziellen Angaben der russischen Regierung töteten sie mindestens 137 Menschen. Für Putin führt die Spur „logischerweise“ in die Ukraine, obwohl sich die IS-Splittergruppe Islamischer Staat Khorasan-Provinz (ISKP) schnell zu dem Anschlag bekannte. Moskau hatte innerhalb kürzester Zeit elf Terrorverdächtige gefasst. Russischen Staatsmedien zufolge besäßen alle mutmaßlichen Täter die tadschikische Staatsbürgerschaft.
Doch wie wahrscheinlich ist ein terroristischer Angriff auf Russland wirklich? Die Afghanistan-Expertin Ellinor Zeino hält es für glaubwürdig, dass die ISKP für den Anschlag verantwortlich ist. Im Interview mit ntv erklärte sie: „Dass [die ISKP] auch Ziele außerhalb Afghanistans im Blick hat, ist seit Jahren bekannt. Ihr Potenzial ist schon lange sehr groß. Die Frage war nur, wann es passieren würde“.

Russland ist ein logisches Opfer für die Terroristen der ISKP
Der Angriff auf die Moskauer Konzerthalle folgt laut dem Professor für Geschichte und Global Studies der California State University Ibrahim Al-Marashi dem Modus Operandi der ISKP. Er verweist in einem Essay für die Kyiv Post auf den IS-Anschlag bei einem Konzert im Pariser Nachtclub Bataclan im Jahr 2015, bei dem 89 Menschen starben. Auch dort schossen Terroristen mit Kalaschnikow-Maschinengewehren auf die musikbegeisterte Menge.
Dass es diesmal ausgerechnet Russland traf, liegt Al-Marashi zufolge an zwei Kernpunkten: Erstens sei es die sowjetische Invasion Afghanistans 1979 gewesen, welche die Region destabilisiert und so den Nährboden für extremistische Gruppierungen wie ISKP geschaffen hätte. Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion ist somit der logische Feind. Zudem unterstützt Russland seit 2015 im syrischen Bürgerkrieg den herrschenden Diktator Baschar al-Assad, zu dessen Gegnern auch Rebellenkämpfer des Islamischen Staats gehören.
Prekäre gesellschaftliche Stellung der Tadschiken macht sie zu beliebtem Rekrutierungsziel
Zweitens verweist Al-Marashi in seinen Ausführungen auf die prekäre Stellung der Tadschiken in der russischen Gesellschaft. Als „verzweifelte Community“ seien sie ein ideales Opfer für die ISKP, das sich leicht für Gewalttaten mobilisieren ließe. Das zentralasiatische Tadschikistan ist seit einem blutigen Bürgerkrieg unter russischer Beteiligung in den 1990er Jahren – zumindest für die nicht regierenden Teile der Gesellschaft – wirtschaftlich ruiniert und bietet kaum Perspektiven. Junge Männer ziehen oft nach Russland, um dort im Niedriglohnsektor zu arbeiten und Geld an die Familie zu schicken. Seit Putins Totalinvasion der Ukraine werden Tadschiken zunehmend zum Militärdienst gezwungen.
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Der Anschlag hat ihre kritische Situation weiter verschärft. Die tadschikische Diaspora in Russland ist zunehmenden Gewaltdrohungen, „zufälligen“ Kontrollen durch Polizisten und Belästigungen ausgesetzt. Wie Radio Free Europe berichtete, hat Tadschikistans Botschaft in Moskau ihre Bürger sogar dazu aufgerufen, aus Sicherheitsgründen zu Hause zu bleiben.
Islamistischer Terror hat in Russland Geschichte
Die aktuelle Terrorattacke auf die Krokus City Hall ist nicht der erste islamistische Anschlag, unter dem Russland leiden musste. Während des zweiten Tschetschenienkriegs verübten tschetschenische Kämpfer schon in den frühen 2000er Jahren Attentate und Anschläge auf russischem Boden. Dazu gehören mehrere Selbstmordattentate, die Massengeiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater und die Belagerung einer Schule in Beslan, bei der fast 350 Menschen getötet wurden.
Die beiden Kriege in der Nordkaukasusrepublik haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Muslime in Russland eingebrannt. Auch vor diesem Hintergrund scheint ein islamistisch inspirierter Terroranschlag auf Moskau kaum überraschend. Für Ellinor Zeino ist klar: „Moskau ist für den ISKP nur ein Zwischenschritt auf dem Weg nach Westen.“ (ah)