„Bei der nächsten Flut schreien wieder alle“ - Wenn die Sonne wieder scheint, ist den Deutschen der Hochwasserschutz egal
Fast gar nichts umgesetzt
Und so kommt es, dass es insgesamt zwar gut, aber schleppend vorangeht. Schüttrumpf verweist hier auf das Nationale Hochwasserschutzprogramm, das Bund und Länder 2013 gemeinsam aufgelegt hatten. Innerhalb von zehn Jahren seien nur 9 von 168 vereinbarten Maßnahmen umgesetzt worden, sagt der Uniprofessor aus Aachen. Das sei der Stand im Mai 2023 gewesen.
„Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.“ Zu lange Planungs- und Genehmigungszeiten würden wichtige Maßnahmen wie Hochwasser-Rückhaltebecken und Deichrückverlegungen bremsen, sagt der Experte. Das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) verspricht hier Besserung. Im neuen Hochwasserschutzgesetz, an dem die Bundesregierung derzeit in Kooperation mit den Ländern arbeite, sollen auch Vorschläge zur Beschleunigung der Verfahren enthalten sein, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.
Pikantes Geständnis aus Bayern
Die nur langsame Umsetzung von Schutzmaßnahmen ist auch im aktuell schwer getroffenen Bayern ein Problem. Wie die bayerische Staatsregierung in dieser Woche einräumt, hat der Freistaat über einen Zeitraum von 20 Jahren erst zwei von sieben geplanten Flutpoldern verwirklicht. Dabei sind solche Polder aus Sicht von Experten eine der effektivsten Maßnahmen, um Hochwasser abzumildern - neben dem Raum, den Flüsse brauchen, um sich auszubreiten. „Wir haben viel zu nah an den Flüssen gebaut“, sagt Schüttrumpf dazu.
Um gegenzusteuern, sollen nach Angaben von Lemke deutschlandweit knapp 33 000 Hektar als neue Rückhalteflächen geschaffen werden. Doch ist das genug? Professor Schüttrumpf rechnet vor: Eine solche Flächengröße würde aus seiner Sicht reichen, um eine Wassermenge von 33 Milliarden Litern zu speichern. Das klinge erst einmal viel, entspreche aber ungefähr der Hochwassermenge, die im Sommer 2021 im Ahrtal angefallen sei. „Das ist nicht viel“, sagt der Experte. Insgesamt brauche es viel mehr freie Flächen, um Wasser im Ernstfall abzufangen.
„Man fängt immer erst an, wenn etwas passiert“
Auch Jan-Hendrik Jochens zerbricht sich täglich den Kopf darüber, wie seine Kommune künftig besser gegen Extremwetter geschützt sein kann. Er ist bislang der einzige Klimaanpassungsmanager im Saarland - einem Bundesland, das erst vor kurzem mit schweren Überflutungen zu kämpfen hatte. Seit August 2023 ist er im Amt. Eine seiner Aufgaben ist es, für die saarländische Landeshauptstadt Saarbrücken ein Konzept zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu erarbeiten. Dazu gehören auch Maßnahmen bei Hochwasser und Starkregen.
Teile der Saarbrücker Stadtautobahn standen kürzlich noch unter Wasser. Jochens weiß, dass viele Kommunen - im Saarland und anderswo - bei den Anpassungsstrategien noch am Anfang stehen. Seine Hoffnung: das neue Gesetz zur Klimaanpassung, das zum 1. Juli in Kraft tritt. Es verpflichtet die Länder dazu, Anpassungskonzepte aufzustellen. Für die Stadt Saarbrücken wird das Konzept laut Jochens im kommenden Sommer fertig sein. Bis dahin kann noch viel Wasser die Saar herunterfließen. „Man fängt immer erst an, wenn etwas passiert“, sagt Jochens. Die Warnungen vor den Folgen des Klimawandels seien seit Jahrzehnten bekannt.
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Kosten in Milliardenhöhe
Auch Professor Schüttrumpf bestätigt dieses Phänomen, das im Kampf gegen die Klimakrise ein generelles Problem ist: „Häufig brauchen wir diesen Weckruf“ - um überhaupt tätig zu werden. Es sei meistens so, dass Maßnahmen vor allem dort gut umgesetzt würden, wo es bereits zu großen Ereignissen gekommen sei. Starkregen könne aber jeden treffen und nicht nur Menschen, die an Flüssen lebten, sagt der Experte. Er empfehle daher auch eine Pflichtversicherung für alle gegen Elementarschäden - also gegen die Schäden, die solche Extremwetter mit sich bringen können. „Man kann nicht den Schaden vermeiden, aber man kann natürlich vermeiden, dass die Leute auf ihren Schäden sitzen bleiben.“
Nach den verheerenden Fluten an Ahr und Erft im Jahr 2021 belief sich der Gesamtschaden auf mehr als 40 Milliarden Euro. Ob der Staat diese Last auch künftig tragen kann und will, ist noch unklar. Auch die Vorsorge kostet viel Geld. Für die Maßnahmen zum Hochwasserschutz stellen Bund und Länder sechs Milliarden Euro bereit. Dass das nicht genug sein wird, ist jetzt schon absehbar.
Ministerin Lemke wirbt daher dafür, dass Bund, Länder und Kommunen für die Klimaanpassung eine gemeinsame Finanzierungsgrundlage schaffen. Über dieses Thema beraten auch die Umweltminister bei ihrer Konferenz in Rheinland-Pfalz. Klimaanpassungsmanager Jochens kann hier mit Blick auf künftige Katastrophen nur mahnen: „Je mehr man jetzt macht, desto günstiger wird es später.“