Messerangriff in Aschaffenburg: Sicherheitsexperte im Interview – „Das System erschafft Täter“

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Nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg läuft die Debatte um Konsequenzen. Sicherheitsexperte Peter R. Neumann fordert ein Umdenken beim Asyl.

Die furchtbaren Morde von Aschaffenburg zerren die Themen Asyl und Migration in den Wahlkampf. Sicherheitsexperte Peter R. Neumann mahnt dringend zur Reform des Asylsystems.

Herr Neumann, wieder begeht ein Asylbewerber eine grauenvolle Tat. Ist die Politik so machtlos, wie es den Anschein hat?

Nein, aber sie ist in Schockstarre, weil sie es noch immer nicht schafft, das Richtige zu tun. Es gibt zwei Optionen: Entweder erhöht der Staat die Integrationsleistungen für Asylbewerber dramatisch. Oder er sorgt dafür, dass die Zahlen dramatisch zurückgehen. Was wir jetzt haben, hohe Zahlen und zu geringe Integrationsmittel, ist die schlechteste Variante. Unser System produziert Täter wie den von Aschaffenburg.

Die beste Variante?

Es muss umgekehrt sein: Die Zahlen müssen runter, Integrationsleistungen rauf, damit nicht Menschen im Asylsystem festhängen, die chancenlos sind und verbittern oder durchdrehen. Idealerweise sind die Grenzen irgendwann so gut gemanagt, dass der Staat selber entscheiden kann, wie viele Flüchtlinge er aufnimmt.

Sicherheitsexperte über Asylsystem in Deutschland: „Es braucht Kontingente“

Per Obergrenze?

Es braucht Kontingente. Das kann aber erst funktionieren, wenn ein Paket weiterer Maßnahmen umgesetzt ist: Migrationsabkommen mit anderen Staaten, eine Drittstaatenlösung, Unterstützung von Staaten an Europas Außengrenze und möglicherweise auch Zurückweisungen. Dann könnte man zum Beispiel sagen, man schließt ein Abkommen mit der Türkei, einigt sich auf ein Kontingent und dann werden diese Menschen in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk ausgewählt. Die Türkei hilft im Gegenzug, ihre Grenzen zu sichern und illegale Einreisen zu verhindern.

Die AfD sagt, es gehe einfacher: Grenzen zu, Flüchtlinge remigrieren.

Wenn es so einfach wäre, wäre es vermutlich schon passiert. Die Abschiebungen scheitern ja daran, das Staaten ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen. Das zu ändern und Abkommen zu schließen, hat die Ampel verpasst. Und wer eine Mauer um Deutschland bauen will, muss wissen, was passiert: Dann bleiben die Migranten in Österreich stecken und irgendwann in Griechenland, bis der Druck so groß ist, dass diese Länder die Leute wieder zu uns durchlassen. Genau das hat die Krise von 2015 ausgelöst.

ARCHIV - 30.07.2019, Sachsen, Leipzig: Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan mit einem Sonderflug.Nur selten werden Afghanen aus Deutschland abgeschoben. (zu dpa: „Deutlich mehr Abschiebungen – Hauptzielland ist Georgien“) Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Abschiebungen nach Afghanistan sind selten. Der Täter von Aschaffenburg wollte angeblich selbst gehen. © Michael Kappeler/dpa

Sicherheitsexperte über Messerattacke in Aschaffenburg – „Zeichen für die Überforderung des Systems“

Der Täter von Aschaffenburg war psychisch auffällig, gewaltbereit, ohne Asylchance. Wie kann es sein, dass seine Abschiebung nicht forciert wurde?

Natürlich hätte man da sofort rangehen müssen. Übrigens haben wir genau das Thema schon nach der Messerattacke in Würzburg 2021 diskutiert. Dass so etwas passiert, ist letztlich ein Zeichen für die Überforderung des Systems. Wir haben nicht die Ressourcen, die nötig wären, um all die Probleme in den Griff zu bekommen, die unser Asylsystem produziert, nämlich psychische Auffälligkeit, Gewaltkriminalität, Radikalisierung und antisoziales Verhalten. Unser System ist dysfunktional, wir brauchen dringend ein neues.

Wären Sie für Abschiebungen nach Afghanistan als Sofortmaßnahme?

Naja, Abschiebungen scheitern meist nicht an der Politik, sondern an Gerichten, die sagen, hier oder dort sei es zu gefährlich. Oder an Herkunftsstaaten, die sie nicht zurücknehmen wollen. Ich verstehe bis heute nicht, dass das Thema Migration im Innenministerium angesiedelt ist. Eigentlich gehört es ins Auswärtige Amt und die Außenministerin müsste konstant durch die Welt reisen, um Abkommen mit Herkunftsstaaten abzuschließen. Sie hat es nicht getan. Da muss eine frische Regierung ran mit einem frischen Mandat und dem echten Willen, etwas zu ändern. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir das in den nächsten vier Jahren nicht in den Griff bekommen, dann fliegt uns das politische System um die Ohren.

Wahlkampf zur Bundestagswahl: Thema Migration rückt in den Mittelpunkt

Aschaffenburg könnte ein Kipppunkt im Wahlkampf sein. Was raten Sie einem wie Friedrich Merz?

Ich weiß, dass die Parteien der Mitte einen Migrations-Wahlkampf gerne vermieden hätten, weil alle in den letzten Jahren mitverantwortlich waren. Aber den Leuten ist dieser Vermeidungswille aufgefallen und viele wählen die AfD, weil sie meinen, sie sei die einzige Partei, die Migration ernst nimmt. Ich kann den anderen nur raten, jetzt zu zeigen, dass das Thema Migration absolute Priorität hat und dass man es auch ohne Hass und Hetze in den Griff bekommen kann.

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