Selbst der Urin soll recycelt werden: Einmaliges Neubaugebiet geplant
Noch in diesem Jahr könnten die Arbeiten für ein im Kreis Gießen bisher einmaliges Bauvorhaben starten: ein Neubaugebiet in Allendorf/Lumda, in dem Nachhaltigkeit das Maß aller Dinge ist.
Gießen – Es ist ein Bauvorhaben, das kreisweit einmalig ist - und das, spätestens wenn die Arbeiten beginnen, auch über die Kreisgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregen dürfte. In Allendorf/Lumda soll am südlichen Ortsrand ein Neubaugebiet entstehen, in dem Nachhaltigkeit das Maß aller Dinge ist.
Ihm kribble es bereits in den Füßen, sagt Jochen Schomber, während er in seinem Büro im Lindener Gewerbegebiet »Lückebachtal« sitzt. »Weil ich hoffe, dass es bald losgeht«, fügt der Bauunternehmer und Projektierer hinzu, der das Vorhaben in Allendorf/Lumda maßgeblich betreut. Es gehe um ein Gesamtvolumen in Höhe von 40 Millionen Euro, erklärt Schomber.
Ginge es nach ihm, dann könnten die Arbeiten in diesem Jahr beginnen. Noch wird das Vorhaben allerdings wohlgemerkt auf politischer Ebene diskutiert. Die Offenlage stehe bevor, sagt Sebastian Schwarz. Der Bürgermeister in Allendorf/Lumda spricht von einem »Alleinstellungsmerkmal«, wenn er von dem geplanten Neubaugebiet berichtet.
40 Millionen Euro für Bauprojekt im Kreis Gießen
Die Besonderheit des Vorhabens: In den gut 30 Wohnhäusern, die laut Schomber in dem Gebiet geplant sind, sollen sämtliche Materialien zu 100 Prozent recycelbar sein. »Kein Restmüll, keine Giftstoffe, kein unnötiges Plastik«, betont Schomber.
Alle Böden und Türen sollen aus Eichenholz bestehen, die Außenfassaden aus Thermo- oder Naturholz. Bei der Dämmung wolle er auf Styropor und Mineralwolle verzichten. Er setze auf Holzfasern, sagt Schomber. »Die können Sie später in die grüne Tonne werfen.« Holzfaserdämmung eigne sich vor allem im Sommer, weil sie gut kühle. »Drinnen im Haus wird es im Winter aber auch bei Holzfaserdämmung innerhalb von 15 Minuten warm«, sagt Schomber.
Ursprünglich wollte der Bauunternehmer auch auf Bodenplatten aus Beton im Fundament der Häuser verzichten, um dadurch so wenig Fläche wie möglich zu versiegeln. Die Idee war, die Gebäude stattdessen auf Holzbau-Stützen zu stellen. Bei der Statik der Häuser käme man dabei aber in Schwierigkeiten. »Wir setzten jetzt auf bedeutend dünnere Betonplatten als üblich.« Auch Beton werde recycelt, komme beispielsweise wiederverwertet beim Straßenbau zur Anwendung, sagt Schomber. Im Fall des Hausbaus allerdings gebe es in Deutschland bei Recycling-Beton noch großen Nachholbedarf.
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Neue Häuser in Allendorf/Lumda für 280 000 Euro bis 400 000 Euro
Schomber will die Gebäude, die er »Kreislauf-Häuser« nennt, in dem Gebiet in Allendorf/Lumda in sieben Varianten in Größen zwischen 65 und 130 Quadratmetern anbieten. Die kleinsten Häuser sollen etwa 280 000 Euro kosten, die größten 400 000 Euro. Die Häuser sollen mindestens dem KfW-40-Standard entsprechen. Beim Heizen wolle er auf jegliche Verbrennung verzichten, setze auf Erdwärme. Jedes Haus werde mit Photovoltaik und Dachbegrünung ausgestattet. Das Gebiet solle über eine autarke Energieversorgung verfügen.
Auf die Frage, warum es nicht eine größere Zahl derartiger Neubaugebiete gibt, erklärt Schomber: »Weil es teuer ist.« Die Gewinnmarge sei nicht so hoch wie bei üblichen Baugebieten. Gleich darauf ergänzt er: »Wir müssen aber umdenken in der Bauwirtschaft.« Seine Prämisse sei, »dass mal anders gebaut wird. Man muss es wollen«. Nicht nur Bauherren seien in diesem Zusammenhang in der Verantwortung, sondern auch die Kommunen.
»Von jetzt bis zum Einzug wäre die Errichtung innerhalb von acht Wochen möglich«
Noch ist es wohlgemerkt ein Bauprojekt, das in der Vorbereitung steckt. Im Stadtparlament in Allendorf/Lumda wurde der Aufstellungsbeschluss für das Baugebiet vor anderthalb Jahren getroffen, zuletzt haben sich Gespräche zwischen Schomber und dem Magistrat über einen städtebaulichen Vertrag etwas in die Länge gezogen. Es bleibt abzuwarten, wie und vor allem ab wann Schomber das Vorhaben in die Tat umsetzt.

Der aus Allendorf/Lumda stammende Unternehmer verspricht unterdessen einen schnellen Bau der Häuser, wenn es zum Start kommt. »Von jetzt bis zum Einzug wäre die Errichtung innerhalb von acht Wochen möglich«, erklärt er.
Schomber verfolgt auch die Idee, ein Recycling-System in den Toiletten der »Kreislauf-Häuser« einzurichten. Aus dem Urin erzeugte Produkte könnten beispielsweise an die Landwirtschaft - während der Einsatz auf Äckern in Deutschland verboten ist, ist er in anderen Ländern erlaubt - oder die Autoindustrie verkauft werden, hat er erklärt. Die Häuser sollen mit einem eigenen System ausgestattet werden. »Also mit intelligenten Toiletten«, sagt Schomber. (Stefan Schaal)