Reichsbürger oder Verleumdungsopfer? Schlierseer (69) steht vor Miesbacher Amtsgericht

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Vor dem Miesbacher Amtsgericht muss sich der Schlierseer verantworten (Symbolfoto). © dpa

Handelt es sich um einen Rechtsextremisten oder ist er nur Opfer einer üblen Verleumdung? Was auf den 69-jährigen Schlierseer zutrifft, versucht derzeit das Amtsgericht Miesbach zu klären.

Schliersee – Wegen Verwendung verfassungswidriger Symbole muss sich ein 69-jähriger Mann aus Schliersee derzeit vor Gericht verantworten. Er soll Anfang September 2021 auf seinem öffentlichen Account bei einem sozialen Netzwerk das Bild eines NS-Gesundheitspasses mit Hakenkreuz eingestellt haben. Das Foto war mit einem Kommentar versehen, der einen Bezug zwischen dem Dokument aus der Nazi-Zeit und dem Corona-Impfpass herstellte. Der Verfasser erklärte darin, er sei allen Leuten dankbar, die sich noch eine Erinnerung an diese Zeit bewahrt hätten, da man sich jetzt wieder in derselben Situation befinde: Die „Kennkarte“ müsse stets mitgeführt werden.

Vor Gericht erklärte der Schlierseer, der Beitrag stamme nicht von ihm. Er sei das Opfer einer falschen Verdächtigung und hoffe, dass die Sache bald aus der Welt geschafft werde. Aufgrund einer Allergie seien er und seine Familie zwar nicht gegen Covid geimpft, doch sei er kein Impfgegner oder gar „Reichsbürger“, bekräftigte der 69-Jährige auf entsprechende Fragen des Richters. Er habe sein Profil Ende 2021 wegen eines Hackerangriffs gelöscht, nachdem unter seinem Namen verschiedene Leute beleidigt worden seien.

Internetseite existiert nicht mehr

Da die Internetseite mit dem betreffenden Foto ab diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte, liege kein verifiziertes Beweismittel vor. Die Behörden verfügen nur über einen Screenshot, eine digitale Kopie. Diesen hatte der ihm unbekannte Erstatter der Anzeige erstellt. Jedoch sei der Screenshot offensichtlich manipuliert worden, wie ein als IT-Forensiker tätiger Angehöriger habe feststellen können. So sei eindeutig erkennbar, dass bei Anfertigung der Kopie ein Programm zur Bildbearbeitung geöffnet gewesen und offenbar angewendet worden sei. Der Name des Profilinhabers sei wegretuschiert und durch den fiktiven Namen einer Frau ersetzt worden. Bei einer Hausdurchsuchung und Sichtung seines aktuellen Accounts habe die Polizei nichts Verdächtiges gefunden, unterstrich der Schlierseer.

Lesen Sie auch: Schlierseerin wegen falscher Verdächtigung vor Gericht

Ein Ermittler berichtete dann von einem recht komplexen Ermittlungsverfahren, bis man den Angeklagten nach der in Berlin erfolgten Anzeige schließlich habe ausfindig machen können. Auf dessen Profilen in den sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten seien zwar einige regierungskritische, antiamerikanische und auch AfD-freundliche Kommentare gefunden worden, von einer rechtsradikalen Haltung habe er sich aber ausdrücklich distanziert. Die Anzeige stamme von einem Mann, der nach eigenen Angaben die Aktivitäten von über 90 Personen der Reichsbürgerszene im Web recherchiert und der Staatsanwaltschaft Berlin gemeldet hatte.

Angeklagter fühlt sich denunziert

Der Angeklagte bezeichnete dies als „Masche eines Denunzianten hoch drei, der andere anschwärzt“. Zudem beklagte der Schlierseer, dass auch in der Verhandlung ein völlig falsches Bild von ihm gezeichnet werde.

Im Zeugenstand stützte die Tochter des Mannes, selbst Polizistin, dessen Darstellung. Sie zeigte sich überzeugt, dass ihr Vater Opfer einer Intrige sei, und sei fassungslos, wie dieser in den Akten in die „komplett rechte Ecke“ gedrängt werde. Das sei keineswegs der Fall, erwiderte Richter Walter Leitner. Nun soll ein Gutachten klären, ob der Screenshot manipuliert wurde.

Von Stefan Gernböck

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