„Mir fehlen die Worte“: Russen spotten über bizarre Ukraine-Show bei Schoigu-Putin-Treffen
Mit der Einnahme von Awdijiwka gelang Russland ein symbolischer Sieg. Bei einem Propaganda-Treffen überspannten Putin und Schoigu den Bogen aus Sicht zahlreicher Militärblogger aber.
Moskau – Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums wurden im Ukraine-Krieg bereits mindestens 315.000 russische Soldaten oder mehr verwundet. Immer wieder war vom „Fleischwolf“ Moskaus die Rede, etwa bei der Schlacht um Awdijiwka, die hohe Opferzahlen forderte. Doch der russische Präsident Wladimir Putin versucht, diese Verluste offenbar unter den Teppich zu kehren. Bei einem Treffen mit seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Dienstag (20. Februar) feierte der Kremlchef militärische Erfolge. Der Tod seiner Landsmänner: Nebensache.
Treffen von Putin und Schoigu: „Minimale Verluste“
Am vergangenen Wochenende musste die Ukraine sich aus der seit Monaten heftig umkämpften ostukrainischen Stadt Awdijiwka zurückziehen. Ein symbolischer Sieg für den Kremlchef. Dass die Einnahme noch kurz vor den Wahlen in Russland erfolgte, darf als von Putin vorgegebenes Ziel gelten. Das Treffen mit Verteidigungsminister Schoigu diente dann vor allem Propagandazwecken – auch weil sich der Beginn der Invasion in die Ukraine bald zum zweiten Mal jährt. Die beiden Politiker hätten sich gegenseitig mit Lob überschüttet und angebliche militärische Erfolge gefeiert, urteilte der BR über das Treffen. Mit ihrer Analyse überspannten sie den Bogen dann offenbar.
Die Operation in Awdijiwka werde in die Lehrbücher aufgenommen und an Militärakademien analysiert, sagte der Minister in einem Gespräch mit der staatlichen Nachrichtenagentur Tass. „Hier tat der Generalstab alles, um sicherzustellen, dass es mit minimalen Verlusten und maximaler Effizienz durchging“, so das Resümee des Verteidigungsministers über die verlustreiche Schlacht. Kein Wort über die gefallenen russischen Soldaten. Das blieb in Russland nicht unkommentiert. „Es gab und gibt Verluste, die sich leider nicht vermeiden lassen. Anstatt zu lügen, lasst uns weiterarbeiten und die Menschen nicht in die Irre führen“, kommentierte ein bekannter russischer Militärblogger. In einem weiteren Beitrag ergänzt er: „Lasst uns die Leute nicht anlügen. Mir fehlen die Worte.“
Kritik aus der russischen Militärblogger-Szene zu Schoigu-Äußerungen
Die Moral der russischen Truppen sei stark, legte der Interviewer dem Verteidigungsminister bei dem Gespräch am Dienstag in den Mund. Schoigu antwortet knapp mit „Ja!“. Dass das womöglich nicht stimmen könnte, dafür gibt es Indizien. In der russischen Militärblogger-Szene regte sich entsprechend weitere Kritik. Schoigu hatte am Dienstag auch mitgeteilt, dass der ukrainische Brückenkopf Krynky am Fluss Dnipro von russischen Truppen erobert worden war. Die Ukraine selbst hatte dies zuletzt dementiert, unabhängig verifizieren ließen sich die Aussagen der beiden Seiten zunächst nicht.
Ein russischer Militärblogger kommentierte unter ein Video des Verteidigungsministers „Lügen dem Präsidenten ins Gesicht“. Die Ukrainer seien im Moment noch im Dorf präsent, so der Blogger weiter. Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War kam zu dem Schluss, dass „verfügbare visuelle Beweise“ sowie Berichte beider Seiten darauf hindeuten, dass die ukrainischen Streitkräfte ihren „begrenzten Brückenkopf“ in Krynky aufrechterhalten. „Die brutalsten Kämpfe um Krynki werden morgen im Internet ausgetragen“, schrieb einer der größten Militärblogger ironisch. „Sogar die paar Dutzend Offiziere der Streitkräfte [am Dnipro-Ufer] sind erstaunt, wie wir mit uns selbst kämpfen.“
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Wenn Krynki erobert sei, könne Schoigu ja gern zu Besuch kommen, hätten Frontsoldaten gespottet, hieß es von einem weiteren Blogger. Jedenfalls seien die vom Kreml verbreiteten Informationen „absolut unwahr“, so der Kommentar weiter. Doch zu viel Kritik am Kreml kann gefährlich werden: Am Mittwoch war der ultranationalistische Blogger Andrej Morosow gestorben, nachdem er die Verluste in der russischen Armee kritisiert hatte, wie die New York Times berichtete.