Sorge wegen Sicherheitsgarantien für Ukraine: „Mit 3D-Drucker kann man keine Soldaten drucken“
Sicherheitsexperten rechnen Europa wenig Chancen zu, wirksame Sicherheitsgarantien für die Ukraine umzusetzen. Doch die Uhr tickt.
Von den Gipfeln in den USA bleiben zunächst vor allem bemerkenswerte Bilder zurück. US-Präsident Donald Trump empfängt mit rotem Teppich Kremlchef Wladimir Putin und wenige Tage später den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj samt Verbündeten aus Europa. Konkrete Pläne und Zugeständnisse, damit der russische Angriffskrieg ein Ende nimmt, gibt es nicht.
Zumindest haben die Treffen in den USA aber Schwung in die Sache gebracht, findet Politikexperte Klemens Fischer im Gespräch mit unserer Redaktion. Nach dem Ukraine-Gipfel sind mögliche Sicherheitsgarantien seitens Europas für das angegriffene Land im Gespräch. Wie diese im Detail aussehen könnten, wird gerade ausgearbeitet. „Für Selenskyj sind sie unabdingbar für die Zukunft der Ukraine und damit ein wesentlicher Bestandteil eines möglichen Friedensabkommens“, sagt der Professor für Sicherheits- und Außenpolitik an der Universität Köln. Doch was ihm Sorgen bereitet: die großen Hürden solch eines Plans. Viele Fragen sind offen – zu viele für seinen Geschmack.
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Die wichtigsten seien etwa, wo die Friedenstruppen genau eingesetzt werden sollen und mit welchem Auftrag. Welche EU-Länder beteiligen sich und wie schwer werden sie ausgerüstet sein? Das hängt laut Fischer vor allem davon ab, ob sie eine reine Beobachtungstruppe werden oder im Notfall militärisch eingreifen dürfen. In diesem Fall würden sie eine komplette Kampfausrüstung benötigen. Es muss also Geld für Ausrüstung und Verpflegung her – doch das größte Problem sieht Fischer beim Personal.
Ukraine: Europas Sicherheitsgarantien könnten am Personalmangel scheitern
„Mit einem 3D-Drucker kann man Waffen drucken, aber keine Soldaten“, sagt er. Wenn der Westen beschließt, eigene Truppen zu senden, wären circa 150.000 Soldaten notwendig. Auf dieses Ergebnis kommen Claudia Major und Aldo Kleemann in ihrem Arbeitspapier für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Anfang des Jahres. Die Autoren übertragen dabei die Hauptlast der militärischen Absicherung, insbesondere an der Waffenstillstandslinie, auf die ukrainischen Truppen. Erst deutlich dahinter wären mobile westliche (primär Nato-) Verbände stationiert. Trump stellt klar, dass die USA keine Bodentruppen entsenden.
Fischer ist sich sicher: „Europa kann derzeit keine Truppe mit 150.000 Soldaten aufbringen.“ Es fehle an Personal, an Ausbildung, an Unterkünften und Ausrüstung. „Es mangelt an allem“, lautet sein Fazit. Dabei tickt die Uhr, denn Putin führt seinen Angriffskrieg fort, während die Europäer wirksame Sicherheitsgarantien für die Ukraine aushandeln.
„Eigentlich hätte die Aufstellung der Truppen schon gestern beginnen müssen. Aber wir diskutierten noch über das Ob und Wie“, kritisiert er. Keiner spreche darüber, was in der Zwischenzeit passieren soll. Im Gegenteil: Nach Fischers Geschmack redet man sich gerade alles zu schön. Am Ende wirkt es auf den Politexperten so, als hätten die europäischen Regierungschefs ein Versprechen im Weißen Haus abgegeben, dessen Ausmaß sie erst im Nachhinein verstehen.
Von der deutschen Regierung wünscht er sich eine klare Kommunikation darüber, was die Sicherheitsgarantien am Ende bedeuten, sollte sich die Bundeswehr beteiligen. „Deutsche Soldaten könnten gemeinsam mit Truppenteilen der anderen beteiligten Nationen die zweite Linie nach den Ukrainern bilden und im schlimmsten Fall ihr Leben verlieren“, führt er aus.
Ukraine-Krieg: „Glaubwürdige“ Sicherheitsgarantien seien ohne die USA nicht möglich
Nach Ansicht des Sicherheitsexperten Lucian Bumeder sind nur die USA in der Lage, „glaubwürdige Sicherheitsgarantien“ von außen zu geben. „Europäische Staaten sind aktuell nicht bereit, einen Krieg mit Russland zu riskieren – schon gar nicht ohne Rückendeckung der USA“, sagt er gegenüber dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Laut ihm würde eine „signifikante militärische Bodenpräsenz“ europäische Armeen überfordern. „Sie sind gerade so in der Lage, die gemeinsamen NATO-Ziele zu erfüllen“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Sein Fazit: Schlussendlich sei die plausibelste Sicherheitsgarantie für die Ukraine die ukrainische Armee selbst. „Sie muss so stark sein, dass ein erneuter Angriff offensichtlich enorm kostspielig und wenig erfolgversprechend wäre“, sagt er. Um das zu ermöglichen, müssen Zusammenarbeit und Finanzierung westlicher Staaten mit ukrainischer Rüstungsindustrie und Streitkräften fortgesetzt werden.
Allerdings dürfte Russland kaum bereit sein, der Ukraine die Beibehaltung ihrer derzeitigen militärischen Stärke zuzugestehen. Davon geht Sicherheitsanalyst Joshua R. von der „Reaktion Group Consulting“ aus. Laut Tablemedia sieht er es als eine zentrale Frage bei künftigen Sicherheitsgarantien, in welchem Umfang die Ukraine ihre Streitkräfte erhalten und weiterentwickeln kann. Soldaten aus Nato-Staaten als Friedenssicherer seien für Russland ausgeschlossen, heißt es.
„Inakzeptable Forderungen“: Russland strebt Demilitarisierung der Ukraine an
„Vermutlich würde Putin eine westliche Truppenpräsenz nutzen, um seinem Ziel der ‚Demilitarisierung der Ukraine‘ näherzukommen“, meint Bumeder. Laut ihm bedeutet das eine numerische Begrenzung der ukrainischen Armee, ein Ende der westlichen Waffenlieferungen und Limits für weitreichende Waffensysteme. Dazu vermutlich geografischer Abstand zur Kontaktlinie für unterschiedliche Waffensysteme. „Das sind inakzeptable Forderungen, wenn die Maßnahmen nicht von russischer Seite gespiegelt wären, da sie einen späteren Folgeangriff erleichtern“, führt er aus.
Fischer weist aber darauf hin, dass Putin nicht ganz ohne Druck bei den Verhandlungen sei. „Er braucht Trumps Gunst, um nicht wieder von der politischen Weltbühne zu verschwinden“, sagt er. Wenn sich Putin bei den Gesprächen zu sehr querstellt und wiederholt wortbrüchig wird, könnte er sich das verscherzen. „Auch Trump hat Grenzen, doch vor allem hat er ein großes Ego und will nicht als Verlierer vor seinen Wählern dastehen“, führt der Politexperte aus. Sprich, an Trumps Unberechenbarkeit könnte sich auch Putin die Finger verbrennen.
Bisher übt Trump den größten Druck auf Selenskyj aus und betont, es liege an ihm, den Krieg zu beenden. Bumeder zufolge gibt es keine Anzeichen dafür, dass Trump und Putin Garantien akzeptieren, die einen direkten Konflikt zwischen US-amerikanischem und russischem Militär ermöglichen. Es bleibt also in den Händen der Europäer. „Mit der Unterstützung der Ukraine geht es nicht nur ums Überleben des Landes, sondern auch um das höhere Gut unserer liberalen, demokratischen Werteordnung“, betont Fischer. Und wenn es die Europäische Union nicht schaffe, mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik gestärkt aufzutreten, sei sie gescheitert.