Putin bringt die Panzer zurück – wie sich Russlands „Siegesparade“ veränderte

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Wladimir Putin lässt wieder Panzer durch Moskau rollen. Doch diese spezielle Form des Gedenkens am 9. Mai ist eigentlich keine alte Sowjet-Tradition.

Wladimir Putin lässt am Freitag wieder die Panzer durch Moskau rollen. Was überraschen könnte: Eine eiserne Sowjet-Tradition ist diese spezielle Form des Weltkriegs-Gedenkens gar nicht. Der Kremlchef verändert Stück für Stück auch den 9. Mai. Gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs.

Militärparade in Moskau: 9. Mai bis heute wichtig – aber eigentlich kein Klassiker für Panzerkolonnen

Den Sieg über Nazi-Deutschland am 9. Mai zu begehen wiederum ist natürlich durchaus eine Tradition, zunächst in der Sowjetunion, später auch in Russland. „Im postsowjetischen Russland gibt es zwei wichtigste Feiertage – Neujahr und den 9. Mai“, sagt Daria Khrushcheva unserer Redaktion: „In fast jeder Familie gab es Verwandte, die am Krieg teilgenommen haben.“ Ein alljährlicher Panzeraufmarsch ist aber eine eher neue Entwicklung, wie die Slawistin der Ruhr-Universität Bochum bestätigt.

An beiden Tagen, Neujahr und 9. Mai hat Putin seinen Auftritt. Vor allem aber sollen beide dem Regime als „das Volk einende Ereignisse“ dienen. Der Kreml habe dafür sogar ein eigenes Wort, so Krushcheva: „skrepa“; „Bindeglieder“. Sie attestiert der Regierung um Putin die „Aneignung von Erinnerung“. Die verbliebene russische Opposition spreche von „Siegeswahn“.

Rußige Probefahrt für die Parade: Panzerkolonne am 7. Mai 2025 in Moskau.
Rußige Probefahrt für die Parade: Panzerkolonne am 7. Mai 2025 in Moskau. © Imago/Alexey Belkin/NEWS.ru/Sergei Karpukhin/POOL TASS

Zwar fand am 9. Mai 1945 eine erste „Siegesparade“ in Moskau statt. Doch danach, mit Ausnahme der Jubiläumsjahre 1965, 1985 und 1990, lange Zeit nicht mehr. Die typischen Fernsehbilder der Paraden in der Sowjetunion während des Kalten Krieges stammen oft von anderen Tagen: Der 1. Mai und der „Tag der Revolution“ am 7. November waren die üblichen Anlässe, wie Khrushcheva erklärt. Militärgerät gab es in erster Linie am 7. November zu sehen.

Der 9. Mai war überhaupt erst seit 1965 ein landesweiter Feiertag der Sowjetunion. Davor war er der Expertin zufolge „eher ein Tag der Trauer“ und des Gedenkens an die Gefallenen; ein Tag, an dem sich Kriegsveteranen trafen. Ein bekanntes sowjetisches Kriegslied namens ‚Den Pobedy‘ (‚Tag des Sieges‘) beschreibe den Tag treffend: „Das ist ein Fest mit Tränen in den Augen“ – „genau so wurde dieser Tag lange Zeit empfunden“, sagt Khrushcheva.

Ukraine-Krieg und Weltkrieg: Putin verknüpft das Gedenken in Russland neu

„Tränen“ stehen in der aktuellen Inszenierung des Kreml nicht mehr im Vordergrund. Im Angesicht des selbst begonnenen Ukraine-Kriegs versuchen Putin und Co., eine durchgehende historische Linie zu konstruieren. Diese Erzählung laute, so Khrushcheva: „Unsere Großväter haben gekämpft, also müssen auch wir kämpfen.“ Eine weitere konstruierte Parallele ist die vermeintliche „Entnazifizierung“ der demokratischen Ukraine, die zu den hartnäckig proklamierten offiziellen Kriegszielen Russlands gehört.

Putins Idee war die jährliche 9.-Mai-Parade nicht: Ab 1995 lud sein Vorgänger Boris Jelzin nach Moskau ein, bei der ersten Ausgabe war unter anderem der damalige US-Präsident Bill Clinton anwesend. In diesen Jahren marschierten jedoch „nur“ Soldaten, wie beispielsweise Aufnahmen aus dem Jahr 1996 zeigen. Militärtechnik wie Panzer und Raketen präsentierte Russlands Armee erst ab 2008 wieder – unter Putin. „Putin wiederbelebt sowjetische Muskelspiel-Parade“, titelte der Guardian damals.

Ein Beispiel für Putins Vereinnahmung des Gedenkens ist das schwarz-gelb gestreifte „Sankt-Georgs-Band“, das auch der Kremlchef selbst bei der Siegesparade am Revers trägt. Seit 2005 haben gerade Staatsmedien das „Feiertagssymbol“ des 9. Mai massiv verbreitet, wie die Slawistin Khrushcheva sagt. Längst gilt es aber nicht nur als Zeichen des Gedenkens – sondern auch als Erkennungszeichen von Putins Unterstützern und Propagandamittel im Ukraine-Krieg. Die Grenzen der Bedeutungen verwischen.

Putin muss bei der „Siegesparade“ auf Orbán verzichten – Begründung irritiert

Für Putin wird die Militärparade 2025 nicht zuletzt ein Versuch sein, sich als akzeptierter Teil der Staatengemeinschaft zu präsentieren. Chinas starker Mann Xi Jinping soll anreisen. Auch Staats- und Regierungschefs aus Europa und sogar der EU stehen auf der Gästeliste – beziehungsweise standen: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sagte aus gesundheitlichen Gründen ab, und beim slowakischen Ministerpräsidenten und Rechtspopulisten Robert Fico blieb die Teilnahme aus demselben Grund zunächst unklar.

Ein weiterer Freund und Sympathisant Putins aus Mitteleuropa wird nicht dabei sein: Viktor Orbán sagte offiziell ab. Die Erklärung aus Ungarns Regierung könnte jedoch irritieren: Die Teilnahme sei „nicht sinnvoll“, da das Ende des Zweiten Weltkrieges für Ungarn „eine bittere Niederlage bedeutete“, erklärte ein Sprecher. Ungarn hatte im Krieg an der Seite von Nazi-Deutschland erst sein Gebiet massiv (wieder) ausgeweitet. Ab 1944 war es selbst vom früheren Verbündeten besetzt und gesteuert. Für Orbáns Regierung offenbar rückblickend goldene Tage. Nicht nur Putin deutet nach Belieben die Geschichte.

Des Weltkriegsendes gedachte am Mittwoch übrigens auch das Europäische Parlament. Das Wort hatte in Straßburg unter anderem der 96-jährige Janusz Maksymowicz, Teilnehmer am Aufstand im Warschauer Ghetto. Auch er verwies auf „Gemeinschaft“ – aber eine „Gemeinschaft der Nationen, die die europäischen Traditionen und Kulturen aller Menschen, die in Frieden leben wollen, respektiert“.

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