„Hätte das nicht gemacht“: Diesen Merz-Fehler sieht CSU-Urgestein Waigel bei Kanzlerwahl
Der langjährige Bundesfinanzminister Theo Waigel spricht sich gegen ein AfD-Verbot aus. „Es gibt auch andere Instrumente“, sagt der CSU-Politiker im Interview mit dem Münchner Merkur.
Theo Waigel hat in seinem politischen Leben schon einiges erlebt. Ein Kanzler, der im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit verfehlt, gehört nicht dazu. Für den 86-jährigen CSU-Ehrenvorsitzenden kam das Merz-Drama trotzdem nicht allzu überraschend. Merz hätte anders agieren müssen, sagt Waigel im Interview mit dem Münchner Merkur. Im Gespräch mit unserer Redaktion am Rande des Ludwig-Erhard-Gipfels der Weimer Media Group am Tegernsee, bei dem IPPEN.MEDIA Medienpartner ist, spricht der gebürtige Schwabe auch über den richtigen Umgang mit der AfD – und sieht eine Alternative zu einem Verbotsverfahren.
Herr Waigel, wie haben Sie den Dienstag rund um die Kanzlerwahl erlebt?
Ich war auf einer Veranstaltung und habe gesagt: bitte teilt mir während der Veranstaltung mit, wie es ausgegangen ist. Ich hielt das, was gekommen ist, nicht für unmöglich. Ich habe das mit eingerechnet und war nicht sehr überrascht.
Nicht überrascht? Wieso?
Friedrich Merz hat einen taktischen Fehler begangen. Man muss sich überlegen, ob es klug war, das Kabinett vor der Wahl des Kanzlers vorzustellen. Ich hätte das nicht gemacht.
Wieso nicht?
Ich würde jedem potenziellen Kanzler raten, die Regierungsbildung erst nach der Kanzlerwahl zu vollziehen. Denn wenn man da 30 oder 40 Posten verteilt, dann gibt es mindestens 30, 40 Parlamentarier, die sagen: Ich wäre ja auch geeignet gewesen. Das sorgt für Verärgerung und manche glauben dann, dem Kanzler einen Denkzettel verpassen zu können. Aber das war in der Politik immer schon so. Ich bin mal bei einer ganz wichtigen Kanzlerwahl neben einem bedeutenden CSU-Politiker gesessen und habe gesehen, dass er Helmut Kohl nicht gewählt hat.

Friedrich Merz hatte im ersten Wahlgang keine Mehrheit. Ist seine Kanzlerschaft damit gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Das ist ähnlich wie bei einem Fußballspiel. Da gewinnt man auch, wenn man in der Verlängerung das entscheidende Tor schießt. Politik ist kein Schönheitswettbewerb und man kann auch in Schönheit sterben. Entscheidend ist, dass man gewinnt.
Neuer Newsletter „Unterm Strich“
Was? Exklusive Einblicke in den Politik-Betrieb, Interviews und Analysen – von unseren Experten der Agenda-Redaktion von IPPEN.MEDIA
Wann? Jeden Freitag
Für wen? Alle, die sich für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft interessieren
Wo? Direkt in ihrem E-Mail-Postfach
Wie? Nach einer kurzen Registrierung bei unserem Medien-Login USER.ID hier kostenlos für den Newsletter anmelden
Alternative zu AfD-Verbot? „Es gibt auch andere Instrumente“
Stärkt dieses beispiellose politische Chaos die AfD?
Das glaube ich nicht. Die AfD hat in den letzten Wochen und Monaten davon profitiert, dass wir keine handlungsfähige Regierung hatte. Deshalb ist es jetzt natürlich entscheidend, was in den ersten Wochen und Monaten der neuen Regierung passiert.
Der Verfassungsschutz hat die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Wie sollte man damit umgehen?
Das muss man sich zuerst mal ansehen und dann kommt es darauf an, wie das Bundesverfassungsgericht das Ganze beurteilt. Das wird ja ganz sicher vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Man muss eine Partei deshalb aber nicht unbedingt verbieten – es gibt auch andere Instrumente.
Welche?
Zum Beispiel den Artikel 18 des Grundgesetzes. Demnach können demjenigen die Grundrechte entzogen werden, der die Grundrechte anderer gefährdet oder infrage stellt. Da gäbe es den ein oder anderen in der AfD, der die Merkmale dafür erfüllt. Das wäre meiner Meinung nach besser, als die ganze Partei zu verbieten.
Dass man das zum Beispiel auf Björn Höcke anwendet?
Ja, nicht allein. Wenn ich mir die Zitatensammlung anschaue, dann fallen mir da mehrere Kandidaten ein.
Artikel 18 Grundgesetz
„Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“
CDU/CSU-Zusammenarbeit mit der AfD? „Nein. Wehret den Anfängen“
Trotzdem geht ja die AfD unabhängig von einem Verbotsverfahren oder Grundrechtsentzügen nicht weg. Wie sollte denn die Union mit der AfD umgehen?
Ihre parlamentarischen Rechte kann man der AfD nicht erzielen. Aber als Parlamentarier kann ich selbst entscheiden, ob ich sie in Ämter wählen möchte, zum Beispiel in das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. Ansonsten muss man sie politisch bekämpfen. Man muss klar definieren, welche Position die AfD vertritt: raus aus dem Euro, raus aus der EU, raus aus der Nato. Das wäre eine Katastrophe für Deutschland – und das muss man jedem Wähler erklären.
Aber die Union sollte nicht mit der AfD zusammenarbeiten?
Auf gar keinen Fall. In der Weimarer Zeit haben einige Konservative geglaubt, sie könnten Hitler zähmen. Sie sind total beschämt und widerlegt worden. Nein. Wehret den Anfängen. Mit solchen Leuten koaliert man nicht.
Wie sieht es mit der Linken aus? Auch hier gilt ein Unvereinbarkeitsbeschluss, der nun aufgeweicht werden könnte.
Es kommt darauf an, wie sich die Linke entwickelt. Jedenfalls hat sich bei der Kanzlerwahl gezeigt, dass sie parlamentarische Verantwortung übernommen hat. Das finde ich schon beachtlich, dass die beiden Oppositionsparteien – Grüne und Linke – dafür gesorgt haben, dass an einem solchen Tag der Hängepartie eine Entscheidung gefällt werden konnte. Respekt.

Wie blicken Sie generell so auf Schwarz-Rot? Wäre Ihnen Schwarz-Gelb lieber gewesen?
Ja, das ist halt nicht realistisch. Die FDP war früher kein einfacher Koalitionspartner, aber es ist uns 16 Jahre gelungen. Aber auch eine große Koalition, die ja heute keine große Koalition mehr ist, war in der Vergangenheit erfolgreich. Ich bedauere es allerdings, dass eine für die Bundesrepublik Deutschland so wichtige Partei wie die FDP nicht mehr im Parlament ist. Trotzdem ist die FDP an ihrem Schicksal selber schuld.
Weil?
Lindner hat den Fehler gemacht, in diese Koalition einzutreten. Wäre er 2017 in die Koalition eingetreten, hätte er eine andere Umgebung gehabt und hätte einen Koalitionspartner gehabt, der mit ihm für Stabilität hätte sorgen können. Und da wären dann die Grünen ganz schön unterlegen gewesen in einer solchen Konstellation. Aber wenn man sagt, besser nicht regieren als schlecht regieren, dann hätte er vorher aufhören müssen.