Pflegeeltern gesucht: Landrat ergreift ungewöhnliche Werbemaßnahmen auf Instagram

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Pflegeeltern in Aktion: Die Kinder kommen meist aus instabilen Familienverhältnissen. © imago

Mühldorfs Landrat Max Heimerl sucht mit einer ungewöhnlichen Aktion Pflegeeltern: Instagram soll helfen. Bäckerei-Tüten werden schon als Werbeflächen genutzt. Das sorgt für Kritik.

Mühldorf am Inn – Sechs Kinder aus dem Kreis Mühldorf suchen ein neues Zuhause. Darunter ein Baby, das nicht mal eine Woche alt ist. Noch nie wurden so dringend Pflegeeltern gesucht. Also hat Landrat Max Heimerl (CSU) ungewöhnliche Werbemaßnahmen ergriffen – und wollte über Instagram neue Pflegeeltern locken. Im Beitrag steht auch, dass Pflegeeltern keine besonderen Qualifikationen brauchen und mit bis zu 1200 Euro im Monat vergütet werden. Dafür gab es Kritik. Im Interview verteidigt sich Max Heimerl und erklärt, warum er sogar Bäckerei-Tüten mit dem Aufruf bedrucken lässt.

Wie viele Kinder leben im Kreis Mühldorf gerade in Pflegefamilien?

109 Kinder leben bei uns derzeit in 86 Familien. Tendenz steigend. Das Team des Pflegekinderdienstes sucht laufend Menschen, die ein Kind aufnehmen können. Für kurze Übergangsphasen als Bereitschaftspflege oder dauerhaft als Pflegefamilie. Zum Vergleich: Von den 109 Kindern leben nur sechs Kinder in einer Bereitschaftspflege.

Vergangene Woche haben Sie über einen Instagram-Post neue Pflegeeltern angeworben. Wieso?

Wir sind diesen ungewöhnlichen Weg gegangen, weil es aktuell gleich mehrere akute Fälle gibt, für die wir schnell eine Lösung finden müssen. Sechs Kinder suchen ein neues Zuhause. Darunter ein Baby, das erst am Mittwoch geboren worden ist. Drei Schwestern – zwei, vier und sechs Jahre alt –, die seit einer familiengerichtlichen Entscheidung im Heim leben sowie ein zweijähriges und ein dreijähriges Mädchen.

Max Heimerl (CSU) ist Landrat im Kreis Mühldorf am Inn.
Max Heimerl (CSU) ist Landrat im Kreis Mühldorf am Inn. © Privat

Die Not war noch nie so akut. Die Zahl der Kinder, die zur Pflege untergebracht werden müssen, wächst.

Was sind die häufigsten Gründe, weshalb Kinder in Pflege gegeben werden?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Oft sind die betroffenen Eltern in hohem Maße überfordert. Das kann etwa an einer Alkoholsucht oder anderen Abhängigkeiten liegen. Wieder andere sind psychisch labil oder können die Erziehung als Alleinerziehende nicht stemmen. Oft spielen mehrere dieser Faktoren zusammen. Manchmal ist auch das Kind der Grund. Wenn es zum Beispiel extrem betreuungsintensiv ist oder mehrfach behindert.

Landkreis Mühldorf: Noch nie war die Suche nach Pflegeeltern so akut

Wie läuft das Prozedere im Ernstfall ab?

Das Jugendamt versucht natürlich erst mal die Familien, in denen es nicht rundläuft, zu stabilisieren. Liegt aber ein richterlicher Beschluss vor, muss ein Kind in einer stationären Einrichtung untergebracht werden, wenn keine Pflegefamilie gefunden wird. Eines dieser Heime in der Region befindet sich zum Beispiel in Marktl. Auch dort sind die Plätze knapp. Auch in solchen Einrichtungen macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar.

Was hat die Lage in Ihrem Landkreis so verschärft?

Die Not war noch nie so akut – und die Erfahrungen in unserem Pflegekinderdienst reichen bis 1982 zurück. Die Zahl der Kinder, die zur Pflege untergebracht werden müssen, wächst. Die Zahl der Pflegeeltern ist bisher aber gleich geblieben. Das Problem wird sich erst mal nicht lösen. Unser Landkreis wächst stetig. Rein statistisch gesehen wird es in Zukunft also noch mehr Pflegekinder geben. Mit dem Problem sind wir nicht allein. Die meisten Jugendämter in Zuzugsregionen kämpfen.

Hat die „Werbung“ im Internet etwas gebracht?

Diesen neuen Kanal zu wählen, war ein Erfolg. Wir haben 1200 Rückmeldungen bekommen. Sogar aus der Schweiz und Österreich. Der Pflegekinderdienst sichtet nun die Auswahl an potenziellen Pflegeeltern und bringt Verfahren ins Rollen. Erste Informationsgespräche laufen. Für das Baby konnten schon geeignete Pflegeeltern gefunden werden.

Werbung auf Instagram ist ein Erfolg: Landratsamt erhält 1200 Meldungen

Spielt es eine Rolle, woher die „Bewerber“ kommen?

Für eine Pflegestelle kommen Familien, Paare oder auch Einzelpersonen in Frage. Eine pädagogische Ausbildung braucht man nicht. Der Wohnort wäre theoretisch unwichtig, aber es macht Sinn, wenn ein Kind in der der Nähe des zuständigen Jugendamtes untergebracht wird. Wir wildern nicht in anderen Regionen oder werben Pflegeeltern aus anderen Landkreisen ab, wie es uns ja wegen der Aktion auch schon vorgeworfen wurde. Die Jugendämter kooperieren intensiv, aber es gibt keinen Gebietsschutz.

Es gab noch mehr Kritik. Die Hürden, Pflegeeltern zu werden, seien zu gering und Ihr Weg, dafür zu werben, sei unethisch. Was entgegnen Sie dem?

Wir drucken den Aufruf seit 2019 auch auf die Tüten einer Bäckerei. Der Kommunikationsweg ist irrelevant, solange die Aktion Früchte trägt. Und das haben wir über die Social-Media-Kanäle und über die WhatsApp-Statusmeldungen in akuter Not geschafft. Der Werbe-Kanal ändert auch keine rechtlichen und fachlichen Standards. Das Wohl des Kindes steht immer im Vordergrund. Wer eines aufnehmen will beziehungsweise zugeteilt bekommt, wird vorab und auch währenddessen in Gesprächen und auf Hausbesuchen umfassend begleitet.

Max Heimerl und Eva Obermaier vom Pflegekinderdienst werben mit Bäckerei-Tüten um Pflegeeltern.
Landrat Max Heimerl und Eva Obermaier vom Pflegekinderdienst im Kreis Mühldorf werben mit bedruckten Bäckerei-Tüten um Pflegeeltern. © privat

Es wurde Ihnen auch vorgeworfen, jene, die nur kassieren möchten, durch den Post anzulocken...

Je nach Alter des Kindes wird eine monatliche Pflegepauschale in Höhe von bis zu 1200 Euro bezahlt. Die Erfahrung unserer Fachkräfte zeigt aber, dass niemand ein Kind wegen des Geldes aufnimmt. Für den Aufwand und die Herausforderungen, denen sich Pflegeeltern stellen, ist das ja ein sehr geringer Betrag. Einem Kind ein Zuhause zu geben, kann man mit keinem Geld bezahlen.

Interview: Cornelia Schramm

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