Merz-Warnung vor Kostenexplosion bei Rente und Bürgergeld: So teuer ist der Sozialhaushalt wirklich

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Der Kanzler und die Union halten den Sozialstaat für nicht mehr finanzierbar. Ein Blick auf die Zahlen und der Vergleich mit EU-Ländern macht Überraschendes deutlich.

Berlin – Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hält den deutschen Sozialstaat von heute für „nicht mehr finanzierbar“ und will ihn reformieren. Das sagte der Regierungschef jüngst beim Parteitag der CDU Niedersachsen. Merz machte dabei auch Druck auf seinen Koalitionspartner – die SPD will Sozialausgaben auf keinen Fall umfangreich einstampfen. Den Sozialdemokraten wolle Merz es deshalb „bewusst nicht leicht machen“, kündigte er an. Es droht der nächste Zoff zwischen Schwarz und Rot. Doch wie steht es wirklich um den Sozialhaushalt, laufen die Ausgaben wirklich aus dem Ruder? Die kurze Antwort: Jein.

Deutschlands Ausgaben für Rente, Krankenkasse und Bürgergeld auf Rekordhoch

Der aktuelle Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt Aufschluss über die deutschen Sozialausgaben. 2024 gab Deutschland demnach für Sozialleistungen insgesamt 1.345 Milliarden Euro aus. Im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 6,6 Prozent.

Bundeskanzler Friedrich Merz hält den Sozialstaat von heute für nicht mehr finanzierbar.
Bundeskanzler Friedrich Merz hält den Sozialstaat von heute für nicht mehr finanzierbar. © IMAGO/ Florian Gaertner

Von der hohen Summe ging der größte Teil in die Rente, nämlich 533 Milliarden Euro. Knapp dahinter lagen mit 523 Milliarden Euro Zahlungen für „Krankheit und Invalidität“, also vornehmlich die Krankenversicherungen. Mit großem Abstand lag an dritter Stelle der Kostenpunkt „Kinder, Ehegatten und Mutterschaft“ mit 153 Milliarden Euro im Jahr 2024. Wichtig in diesem Kontext: Es handelt sich bei den Zahlen nicht nur um Steuergelder, sondern alle Einzahlungen ins Soziale. Rund ein Drittel finanzieren die Arbeitgeber mit ihren Beiträgen, etwas über 30 Prozent kommt von den Versicherten. Beim letzten Drittel handelt es sich um Zuschüsse des Staates, also Steuergelder.

Trotz hoher Kosten: Deutsche Sozialleistungsquote stabil

Die Union will besonders beim Bürgergeld einsparen. Zwar steigen die Kosten für die Nothilfe stetig an, 2024 lagen die Ausgaben bei insgesamt 47 Milliarden Euro. Im gesamten Sozialbudget des vergangenen Jahres machte das Bürgergeld jedoch nur 4,2 Prozent aller Kosten aus.

Immer wieder wird in politischen Debatten vor der Kostenexplosion des Sozialstaats gewarnt. Und tatsächlich nehmen die Ausgaben Jahr für Jahr zu. Steigende Kosten bedeuten aber nicht automatisch eine höhere Sozialleistungsquote. Hier lohnt ein Blick auf den Zeitverlauf im Verhältnis zum deutschen BIP. Die Sozialleistungsquote – also wie viel Geld im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt für diesen Kostenpunkt verwendet wird – lag bei 31,2 Prozent.

Die Jahresdaten zeigen, dass die Entwicklung der Sozialleistungsquote konstant um die 30 Prozent liegt. Einen Ausreißer stellen die Corona-Jahre dar, als die Wirtschaftsleistung einbrach und staatliche Hilfen zeitgleich hochgeschraubt wurden. Im Vergleich zu den frühen 2010er Jahren ist insgesamt ein Anstieg erkennbar.

Deutschland im internationalen Vergleich: Weniger Sozialausgaben als die USA

Liegt Deutschland mit dieser Quote also besonders hoch? Eine Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vergleicht die Sozialausgaben westlicher Länder aus dem Jahr 2022 miteinander. Deutschland liegt dabei im Mittelfeld, Länder wie Frankreich, Italien, Österreich und sogar die USA geben demnach mehr fürs Soziale aus. Dabei zählt das Institut öffentliche und private Ausgaben zusammen. Den niedrigsten Anteil von Sozialausgaben hatte laut IMK Norwegen.

Eine IMK-Analyse der Hans-Böckler-Stiftung vergleicht Sozialausgaben westlicher Länder. Deutschland liegt im Mittelfeld.
Eine IMK-Analyse der Hans-Böckler-Stiftung vergleicht Sozialausgaben westlicher Länder. Deutschland liegt im Mittelfeld. © Hans-Böckler-Stiftung

Bundeskanzler Merz und die Union haben also in ihrer Analyse recht, dass der deutsche Sozialstaat immer teurer wird. Jedoch ist der Blick auf den Anteil am BIP wichtiger als die reine Betrachtung der Gesamtausgaben. Umso wichtiger dürfte angesichts der prekären Finanzierungslage der gesetzlichen Rentenversicherung, der Pflege- und auch der Krankenkassen das schwarz-rote Ziel sein, die deutsche Wirtschaft endlich wieder ins Rollen zu bringen, um damit auch die Sozialleistungsquote im Zaum zu halten. Denn klar ist: An den größten Kostenpunkten, nämlich den Zahlungen in Rente und Krankenversicherung, wird die Koalition wohl kaum sparen. Und auch die von der Union angestrebten Einsparungen beim Bürgergeld von 4,5 Milliarden Euro sind in der Gesamtbetrachtung keine große Summe.

Für den Rentenpolitiker Armin Grau von den Grünen sind die jüngsten Aussagen des Kanzlers Grund für harsche Kritik. „Wir haben in Deutschland keine explodierenden Sozialausgaben“, sagte Grau mit Blick auf die Zahlen. „In verschiedenen Bereichen wie dem Gesundheitswesen und den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung gibt es zweifellos Probleme“, Lösungen habe die Koalition aber keine. „Der soziale Friede ist ein hohes Gut. Wer Ankündigungen macht wie Friedrich Merz, geriert sich als Heißsporn und gefährdet den Frieden in der Gesellschaft und erst recht in der Koalition.“

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