"Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht." Es ist der Gassenhauer aus der "Dreigroschenoper", der sich sofort ins Gehirn schleicht beim Blick auf diesen Sendetitel: "Crashkurs für Immobilienhaie", tauft die ARD ihre Spätdokumentation.
Das klingt schon mal sehr klassenkämpferisch. Passt das zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Nun gut, der Autor Bert Brecht war ja auch eher im Hauptberuf Kommunist; privat hat er sich gerne Maßanzüge schneidern lassen und aus Leibeskräften sein eigenes Leben genossen. Die ARD-Anklage beginnt mit einem Dreiklang: "Skrupellos, ehrgeizig, gewinnorientiert – das ist Thomas Wenger. Er ist Immobilienhai. Und der Albtraum für jeden Mieter."
ARD verkleidet Schauspieler als "Immobilienhai"
Der reißerische Ansatz wird auch danach deutlich. Den Schauspieler Matthias Matschke steckt man in den Maßanzug und setzt ihn in den offenen Zweisitzer – wie man sich halt den "Immobilienhai" so vorstellt: als Feindbild jedes Mieters.
"Er verkörpert", verrät man dem Zuschauer, "was wir in unseren Recherchen zigfach gesehen haben." Ihn lässt man für 2,3 Millionen Euro eine Immobilie in Berlin übernehmen. Problem? Klar, die Mieter. "Was", so stellt das Erste die Frage, "muss man tun, um das große Geld zu verdienen?"
In "Cashflow-City" haben Killerfische zahme Träume
Der Schauspieler-Hai besucht eine Messe in Berlin. "Willkommen in Cashflow-City", beginnt die Show. Die Besucher allerdings haben gar keine so unanständigen Träume. Auch wenn sie, so die ARD-Sprecherin, "getrieben sind von einer ganz bestimmten Idee". Was das Fernsehteam wirklich zu hören bekommt? "Ein Zusatzeinkommen aufbauen." "Dahin zu reisen, wohin man will." "Ein befreiteres Leben." Da muss ich zugeben: Wenn Killerfische solche Träume haben, dann steckt auch ziemlich viel Hai in mir.
Der Schauspieler-Hai trifft einen Steuerberater. Der rechnet ihm vor: Er würde mit seiner Berliner Immobilie 15.000 Euro Verlust machen – jedes Jahr: "Haben Sie die 1250 Euro über jeden Monat?" Es müssen Lösungen her.
Mieterhöhungen, Eigenbedarf und Gestaltungspotenzial
Die Mieten müssen hoch – weg von 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die Mieter wohnen seit bis zu 48 Jahren im Haus. Da ist, so sagt es einer, "das Haus ein Zuhause". Der Schauspieler-Hai sucht Rat beim Profi. Mieterhöhung! Eigenbedarfskündigung! Alles angeblich legal und rechtssicher.
"Natürlich ist vorgetäuschter Eigenbedarf ein Betrug", kommentiert ein Fachanwalt, "das ist schon fast Erpressung." Allerdings, so gibt er zu, habe er in 30 Jahren Anwaltstätigkeit noch keinen Schuldspruch wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs erlebt. Aber dann hat der Schauspieler-Hai ja noch eine leere, ziemlich verwahrloste Gewerbefläche im Mietshaus. Im Inserat wird das heißen: "Wohnung mit Gestaltungspotenzial". Dafür will er eine dreifach überhöhte Wuchermiete.
"Das ist kein Loch, das ist ein kleiner Rohdiamant", verspricht der Schauspieler-Hai bei der Wohnungsbesichtigung. Ein Bewerber sucht seit Monaten, einer seit vier Jahren. Eine Frau sagt: "Meine Barrieren sinken immer mehr, seit ich suche." Allerdings erfährt der Zuschauer dann: Die Möchtegern-Mieter waren auch informiert, dass es nur ein Schauspiel ist.
Wenn die Anklage-Doku aufs echte Leben trifft, geht ihr die Luft aus
Von Berlin geht es nach München – oder wie es im Ersten heißt "in die Stadt der Immobilien-Milliardäre". Bei der "Immo-Nacht" sucht der Schauspieler-Hai Gespräche. "Mietpreis-Bremse schafft keinen Immobilien-Bau", erfährt er hier. Oder: "Man muss bedenken, dass die Vermieter auch mit ganz vielen Problemen zu kämpfen haben – Gesetze berücksichtigen, Auflagen erfüllen." Oder auch: "Wir sind Menschen, die noch mit eigenem Geld gucken, dass im Wohnungsmarkt etwas passiert. Das macht die Politik gerade schwer."
Skandalös klingen diese Sätze nicht. Wieder ist es so: Im Kontakt mit dem richtigen Leben geht der anklägerischen Dokumentation die Luft aus. Wie war noch einmal das Versprechen zu Beginn: Man habe "zigfach" bei der Recherche solche Personen wie den Schauspieler-Hai erlebt
Den Skandal inszeniert das TV-Team doch lieber selbst
Stattdessen bekommt der Zuschauer eine Anklage vorgesetzt: "Wir haben gelernt, wenn Immobilienhaie da draußen ihre Mieter fressen, Regeln brechen, halblegal oder illegal handeln, haben sie in Deutschland nicht allzu viel zu fürchten."
Das Anliegen des TV-Teams mag gut gewesen sein. Den Skandal musste es aber immer wieder selber inszenieren. Die Umsetzung mit einem Schauspieler raubt der sogenannten ARD-Dokumentation tatsächlich jede Glaubwürdigkeit. Ein klassenkämpferisches Feindbild dramaturgisch erfinden? Das ist dann doch eher die Domäne eines bekennenden Kommunisten Bert Brecht.