Britischer Ruanda-Deal gekippt – was nun folgt

1238164141 Vergrößern des Bildes Rishi Sunak: Seine Regierung wollte Asylbewerber ohne Prüfung ihrer Anträge nach Ruanda abschieben. (Quelle: WPA Pool/Getty Images)
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Die britische Regierung darf Asylbewerber nicht nach Ruanda abschieben. Das entschied nun der Oberste Gerichtshof. In Deutschland war über ein ähnliches Modell diskutiert worden.

Der britische Supreme Court hat entschieden, dass das Vorhaben der britischen Regierung, künftig Asylsuchende jeglicher Herkunft und ohne Perspektive auf eine Rückkehr an Ruanda abzuschieben, rechtswidrig ist. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das Urteil ist der Höhepunkt eines zähen Rechtsstreits. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen:

Wie sieht der Plan der britischen Regierung aus?

Die Pläne der britischen Regierung sehen vor, dass irregulär nach Großbritannien eingereiste Menschen – ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags – festgehalten und so bald wie möglich nach Ruanda abgeschoben werden. Sie sollen dann dort um Asyl ersuchen. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.

Besonders die damalige Innenministerin Priti Patel forcierte das Abkommen mit Ruanda 2022, ihre gerade erst entlassene Nachfolgerin Suella Braverman verfolgte es weiter.

Großbritannien sucht seit dem EU-Austritt verstärkt nach einem Weg, wie die Zahl der Asylbewerber möglichst weit gedrückt werden könnte. Das war eines der zentralen Versprechen der Brexit-Kampagne. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten: Seit dem EU-Austritt reisen mehr Menschen irregulär ein, vor allem in Booten über den Ärmelkanal. 2022 war die Zahl auf einem Höchststand mit mehr als 45.000 Ankünften. Die Zahl der positiven Asylbescheide lag im vergangenen Jahr so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Zwar ist die Zahl in diesem Jahr mit bislang etwa 27.000 Ankünften niedriger als im Vergleich zum Vorjahr, doch das Versprechen der Regierung, die Boote zu stoppen, gilt noch nicht als eingelöst.

Das hat einen einfachen Grund: Großbritannien liegt weit entfernt von den EU-Außengrenzen, über die ein Großteil der Migranten kommen. Solange es noch Mitglied war, konnte Großbritannien darauf verweisen, dass laut den sogenannten Dublin-Regeln das erste EU-Land zuständig ist, das die Migranten erreichen. Nun aber gilt das für Großbritannien nicht mehr: Das Land ist seitdem für alle Migranten, die ankommen, selbst zuständig, Abkommen mit der EU hat es nicht, obwohl Experten schon lange dazu raten.

Warum ist das so umstritten?

In Großbritannien wurde das Vorhaben ausgesetzt, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2022 einen Abschiebeflug gestoppt hatte. Ein britisches Berufungsgericht urteilte im Juni dieses Jahres, das Asylsystem in Ruanda habe zu große Mängel: Ruanda sei nicht als sicheres Drittland einzustufen und ein Asylverfahren dort schütze nicht ausreichend vor einer Abschiebung in das Herkunftsland.

Es kippte damit eine erstinstanzliche Entscheidung des High Court, der den Plan für rechtskonform erklärt hatte. Dagegen geklagt hatten Asylsuchende aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Vietnam, Sudan und Albanien. Dagegen ging wiederum die konservative Regierung von Premierminister Rishi Sunak in Berufung, wodurch der Fall beim Obersten Gerichtshof landete.

Die Menschenrechtslage in Ruanda gilt als schwierig. Präsident Paul Kagame, seit 23 Jahren an der Macht, führt das Land auf einem autoritären Kurs: Er hat das Recht auf freie Meinungsäußerung in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt, ebenso wie das auf freie Wahlen. Journalisten, politische Gegner, sexuelle Minderheiten werden systematisch eingeschüchtert, teilweise auch zu Haftstrafen verurteilt.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hatte das Vorgehen als Bruch internationalen Rechts verurteilt. Englands Bischöfe sprachen von einer "Schande für Großbritannien". Zudem gab es Zweifel daran, ob der erhoffte Abschreckungseffekt tatsächlich eintreten würde.

Wie geht es weiter?

Die Entscheidung des Supreme Court könnte erneute Rufe nach einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auslösen. Die Richter des Court of Appeal, dem Berufungsgericht, hatten sich in ihrer Argumentation auf die Konvention gestützt.

Eine Stellungnahme der britischen Regierung nach dem Urteil steht noch aus. Es ist aber anzunehmen, dass die Diskussion in Großbritannien nun wieder Fahrt aufnimmt.

Was bedeutet das für die Diskussion in Deutschland?

Das Gerichtsurteil in Großbritannien könnte nun die Debatte in Deutschland dämpfen. Denn auch hier wird ein "Ruanda-Modell" diskutiert, vor allem gefordert von Politikern der Union und dem bekannten Migrationsexperten Gerald Knaus. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Kopie des britischen Modells, es ist lediglich daran angelehnt.

Im Interview mit dem ZDF erklärte Gerald Knaus, wie genau der Vorschlag, der ihm zufolge funktionieren könnte, aussieht: Ab einem bestimmten Stichtag sollen diejenigen, die irregulär über das Mittelmeer in Europa ankommen, direkt vom Ankommensort in einen sicheren Drittstaat gebracht werden – zum Beispiel nach Ruanda. Wegen der Mängel im Asylsystems des afrikanischen Staates hatte Knaus vorgeschlagen, dass Deutschland und die EU auf das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, zugehen müssten, damit diese Organisation die Asylverfahren in Ruanda durchführt. "Dann wäre diese Bedingung erfüllt." Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Bundesregierung bekräftigte vergangene Woche auf Drängen auch der Ministerpräsidenten, Asylverfahren außerhalb Europas prüfen zu wollen. Der Bund-Länder-Beschluss geht hier nicht ins Detail. Die SPD-Ministerpräsidenten machten aber deutlich, dass sie sich allenfalls vorstellen können, Asylgesuche noch vor der Einreise zu prüfen. Ein One-Way-Ticket nach Ruanda, wie es Großbritannien geplant hatte, steht nicht zur Debatte.