Zoff in der Koalition: Neuer Streit ums Bürgergeld

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Und wieder bahnt sich Streit in der Koalition an. Erneut geht es der FDP ums Bürgergeld, aber auch um andere Projekte, die für die Ampel-Partner Leuchtturmcharakter haben.

München – Um zehn Uhr kommt heute (22. April) in Berlin das FDP-Präsidium zusammen, anschließend folgt eine Pressekonferenz. Angekündigt ist auch die stets streitbare Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin für die Europawahl, aber nicht deshalb dürfte der Termin kontrovers werden. Um Taurus-Lieferungen soll es diesmal nicht gehen.

Dafür befinden sich andere heikle Themen in der Beschlussvorlage, über die das Präsidium berät. Insgesamt sind es zwölf Punkte, vor allem einer dürfte die Ampel-Koalition in den nächsten Konflikt treiben. Denn die Liberalen dringen auf weitere Verschärfungen beim Bürgergeld.

Stufenmodell geht FDP nicht weit genug

Konkret wollen sie jenen Beziehern, die einen Job verweigern, die Leistungen kürzen. 30 Prozent weniger soll es in diesem Fall geben. Diese Zahl orientiert sich zwar an den aktuellen Regeln, bedeutet aber trotzdem eine einschneidende Maßnahme. Bisher gilt für Verweigerer ein Stufenmodell. Bei der ersten Pflichtverletzung können maximal zehn Prozent für einen Monat gestrichen werden, danach sind es 20, ehe in einem dritten Schritt schließlich 30 Prozent weniger angewiesen werden.

Bundestag Ampel Koalition
Die Fassade der Ampel-Koalition zeigt Risse. © Michael Kappeler/dpa

Der FDP geht das nicht mehr weit genug. „Wer seinen Mitwirkungspflichten im Bürgergeld nicht nachkommt und beispielsweise zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen“, heißt es in der Vorlage, die auf dem Bundesparteitag am kommenden Wochenende eingebracht werden soll. Der „verfassungsrechtliche Spielraum für verschärfte Sanktionen“ müsse ausgenutzt werden, „bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen“.

Streng genommen gibt es die bereits. Erst kürzlich hatte die Bundesregierung – unter dem Eindruck der Dauerkritik aus der Union, aber eben auch aus der FDP – neue Verschärfungen beschlossen. Seit März können die Jobcenter Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn diese sich als „Totalverweigerer“ herausstellen. Laut Arbeitsagentur ist dieser zweimonatige Wegfall aller Leistungen aber nur bei „wiederholtem“ Verweigern einer zumutbaren Arbeit möglich.

In der Praxis dürfte die Forderung der Liberalen, so wuchtig sie klingt, dann auch eine überschaubare Zahl von Beziehern betreffen. Darauf deuten jedenfalls Zahlen der Arbeitsagentur hin, die just an diesem Wochenende bekannt wurden. Zwischen Februar und Dezember 2023 gab es demnach 15 774 Fälle von Leistungskürzungen infolge einer Arbeitsverweigerung. Bei einer Gesamtzahl von rund 5,5 Millionen Empfängern entspricht das einem Anteil von unter 0,3 Prozent.

Heftiger Widerstand der SPD

Die Wellen, die das Papier schlägt, sind trotzdem enorm. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wies die Pläne schroff zurück. Sie seien „ein Überbleibsel aus der Mottenkiste“. Der Beitrag habe „mit wirtschaftspolitischer Kompetenz nichts zu tun, sondern mit weiteren Belastungen für die arbeitende Bevölkerung“. FDP-Vize Johannes Vogel konterte, die „derzeitige Schwäche des Wirtschaftsstandortes“ gefährde auch den Sozialstaat.

Das Bürgergeld ist nicht das einzige Projekt im FDP-Fokus, das speziell für die SPD Leuchtturmcharakter hat. Auch die abschlagsfreie Rente mit 63 lehnt die FDP unter Verweis auf den Fachkräftemangel ab. Stattdessen spricht sie sich dafür aus, das Arbeiten im Rentenalter attraktiver zu machen, indem der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung gestrichen wird. Zudem sollten Überstunden steuerlich besser gestellt werden, bei den Sozialleistungen wird für ein dreijähriges Moratorium plädiert.

Auch den Grünen – die gestern keinen Kommentar abgeben wollten – dürfte das Papier nicht behagen, besonders wegen der Forderung, den Bau von Windrädern und Solaranlagen nicht mehr staatlich zu fördern. Erneuerbare Energien sollten „endgültig in den Markt“ übernommen werden. Die EEG-Umlage, über die der Ausbau der Erneuerbaren mitfinanziert wird, müsse gesenkt und schrittweise abgeschafft werden. Zudem lehnt die FDP das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz ab.

Ganz neu sind all diese Positionen nicht, aber in ihrer Ballung – und der gezielten Aufbereitung für den Parteitag – bergen sie trotzdem Sprengstoff. Eine rasche Deeskalation ist nicht zu erwarten. Mützenich kündigt bereits an, man werde nichts machen, was „den sozialen Gedanken des Grundgesetzes aushebelt“. (mit dpa)

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