Bagger, Chips und Kugellager: Wie China Russlands Ukraine-Krieg unterstützt
Im Westen wächst die Unruhe über rasant steigende chinesische Exporte von „Dual Use“-Produkten nach Russland. Die Rolle der Pekinger Regierung ist unklar: Duldet sie den Handel nur oder fördert sie ihn?
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist das Handelsvolumen zwischen China und Russland um gut 60 Prozent gestiegen, auf zuletzt rund 240 Milliarden US-Dollar. Chinas Ausfuhren in sein Nachbarland legten sogar um 47 Prozent zu. Viele dieser Exporte sind laut Zolldaten und verschiedenen US-amerikanischen Studien sogenannte „Dual Use“-Güter: Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. China sei Russlands größter Lieferant von „Dual Use“-Produkten wie Werkzeugmaschinen, Mikroelektronik oder Schutzwesten, sagte US-Außenminister Antony Blinken im April in Peking: „Russland hätte ohne Chinas Unterstützung Schwierigkeiten, seinen Angriff auf die Ukraine aufrechtzuerhalten.“ Seit Anfang Mai sanktionierte Washington wegen solcher Geschäfte mehr als 20 chinesische Firmen.
Die westlichen Verbündeten der Ukraine definieren etwa 50 „Dual Use“-Güter als „hochprioritär“: Produkte, die für die Herstellung von Waffen wie Raketen, Drohnen und Panzern unerlässlich sind. Steil angestiegen sei die Exportkurve chinesischer Ausfuhren dieser hochprioritären Güter nach Russland ab März 2023, ermittelte das Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) in einer aktuellen Studie auf Basis von Zolldaten. Der Exportboom habe also genau zu jener Zeit begonnen, als Russlands Präsident Wladimir Putin seinen „guten Freund“, Chinas Staatschef Xi Jinping, in Moskau empfing. Nun leistet Putin den Gegenbesuch, und er dürfte hinter verschlossenen Türen seinen fortgesetzten Bedarf an diesen Waren deutlich machen.

Zentral für die Waffenproduktion: Viele „Dual Use“-Produkte kann Russland nicht selbst herstellen
Viele der „Hohe Priorität“-Produkte könne Russland nicht oder nicht mehr selbst herstellen, schreibt Nathaniel Sher von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace, die ebenfalls in Washington beheimatet ist. Dazu gehörten etwa Mikroelektronik, Werkzeugmaschinen, Telekommunikationsgeräte, Radare, optische Geräte und Sensoren. Aus öffentlich zugänglichen Zolldaten gehe hervor, dass Russland 2023 rund 90 Prozent der als hochprioritär eingestuften „Dual Use“-Güter aus China bezogen habe. Den größten Anteil davon machen nach der CSIS-Studie Maschinen und Teile wie Computerchips aus. Hinzu kommen Drohnen, Navigationsausrüstung, Teile für Kampfjets oder Chemikalien zur Herstellung von Artilleriemunition.
Beispiel Werkzeugmaschinen: Vor dem Ukraine-Krieg kaufte Russland moderne Maschinen vor allem aus Amerika, Europa oder Japan. Als die Sanktionen diese Lieferungen stoppten, wandte sich Moskau an China. Ab 2022 stiegen Russlands Einfuhren von Werkzeugmaschinen und Teilen aus der Volksrepublik rasant an. „Pekings Gesamtanteil an den russischen Importen von Werkzeugmaschinenteilen stieg Schätzungen zufolge auf 32 Prozent im Jahr 2022 und auf 80 bis 90 Prozent im Jahr 2023“, schreiben die CSIS-Analysten. Chinas Anteil am russischen Import von Werkzeugmaschinen zur Metallverarbeitung lag 2023 demnach ebenfalls bei 90 Prozent.
Kugellager, Bagger und Lastwagen: Florierende Geschäfte zwischen China und Russland
Auch beim Bau von Panzern verwendete Kugellager gelten als hochprioritär, und auch diese beziehe Russland heute aus China, schreiben Markus Garlauskas und andere Forschende für die US-Denkfabrik Atlantic Council. Chinas Ausfuhren dieser Kugellager lagen von Januar bis November 2023 knapp 350 Prozent höher als im Vergleichszeitraum von 2021, dem Jahr vor der russischen Invasion. Chinas Verkäufe an Kirgisistan stiegen sogar um knapp 2500 Prozent. „Es ist zwar möglich, dass Kirgisistan auf seinem Inlandsmarkt plötzlich Kugellager benötigt“, so die Autoren. „Aber die wahrscheinlichere Erklärung ist, dass diese Produkte von dort sofort weiter nach Russland exportiert werden.“
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Florierende Geschäfte bieten sich auch für chinesische Hersteller von „Dual Use“-Gütern, die nicht auf der Prioritäts-Liste stehen. Chinas Bagger-Exporte an Russland etwa haben sich 2023 nach Angaben des britischen Magazins Economist gegenüber 2021 vervierfacht. Die Baumaschinen wurden laut Garlauskas und Kollegen etwa beim Ausheben von Schützengräben eingesetzt. „Sie haben Russland buchstäblich dabei geholfen, seine Streitkräfte in dem von ihm besetzten ukrainischen Gebiet zu verschanzen.“ Große Lastkraftwagen aus China helfen Russland zudem, seine Truppen zu versorgen. Russland importierte davon laut Economist 2023 siebenmal so viele wie 2021.
Experten glauben nicht an zentrale Steuerung der Ausfuhren durch Peking
„Peking unternimmt zwar nichts, diesen Handel zu unterbinden, wird er wahrscheinlich nicht einmal zentral gesteuert“, schreiben Garlauskas und Kollegen. „Inwieweit Peking diesen Warenfluss nach Russland sicherstellt, anstatt ihn einfach nur geschehen zu lassen, ist unklar. Klar ist jedoch, dass die Lieferungen umfangreich und für Russlands Kriegsanstrengungen sehr wichtig sind.“
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sich erst vergangene Woche bei Xi Jinping dafür bedankt, dass er bei seinem Besuch in Paris zugesagt habe, „Dual Use“-Lieferungen stärker zu kontrollieren. Ob Xi das wirklich umsetzt, muss sich allerdings erst zeigen. „Die Russen wollen, dass China sie stärker unterstützt“, sagte der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center, Alexander Gabuev, vor ein paar Tagen der Nachrichtenagentur AFP. Die Regierung in Peking zögere aber, da sie ihre Beziehungen zum Westen nicht aufs Spiel setzen wolle. Zuletzt sind Chinas Ausfuhren nach Russland im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, im März um 16 Prozent und im April um 14 Prozent.