Mehr Bauernproteste als Büro-Arbeit – Kritik an Aiwanger aus den eigenen Reihen
Kritik an Aiwanger: Hetzt der bayerische Wirtschaftsminister lieber auf den Bauernprotesten gegen die Ampel, als seine Arbeit zu machen?
München – Am Freitag hat Hubert Aiwanger etwas Ungewohntes getan: Er hat seine Teilnahme an einer Demo abgesagt. Der als Gastredner angekündigte Vize-Ministerpräsident strich kurzfristig seinen Auftritt bei einem „Mahnfeuer“ im fränkischen Höchstadt an der Aisch. Man könnte sagen: Politisch brennt’s bei ihm auch ohne Mahnfeuer gerade genug.
Seit Wochen feuert Aiwanger mit Präsenz auf Demonstrationen, vor allem von Bauern, den Protest gegen die Bundesregierung – bis zu vier Demos pro Tag. Man sah ihn im Ministeriums-Dienstwagen anreisen, teils begleitet von hohen Ministeriums-Mitarbeitern, also auf Steuerkosten, in München, Karpfham, Berlin – seine Rollen als Vize-Ministerpräsident und als Chef einer Partei im Europa-Vorwahlkampf verschwimmen. Vorwürfe wachsen, er vernachlässige seine eigentliche Arbeit als Wirtschaftsminister.
Freie Wähler: Aiwanger muss „wieder als Wirtschaftsminister sichtbar sein“
Offenkundig wurde das in der Debatte um den Windpark in Mehring. Aiwanger, für Energie zuständig, kam erst in den südostbayerischen Ort, als das Bürgerbegehren schon fast gelaufen war, 90 Prozent per Briefwahl schon dagegen votiert hatten. Einen früheren Termin vor Ort hatte er abgesagt, um auf Demos gehen zu können. Seither rumort es. Die eigenen Parteifreunde legen dem Chef nahe, seine Strategie zu überdenken.
Florian Streibl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler und ein Mann sehr überlegter Worte, wirft Aiwanger mit keinem Satz Faulheit oder Missmanagement vor. Er merkt aber im BR an, der Kollege müsse „wieder als Wirtschaftsminister sichtbar sein. Die Arbeit, die er da leistet, muss wieder in die Köpfe.“

Aiwanger abwesend - „brauchen endlich Wirtschaftsminister, die diesen Namen verdienen“
Bei der CSU, ebenso im Wahljahr, melden sich täglich Kritiker. Ministerkollegen klagen über Einmischung in Agrarfragen und zu wenig Einsatz für Hightech- und Standortpolitik. Der Einsatz für die Außenwirtschaft, etwa mit Delegationsreisen, sei komplett zum Erliegen gekommen.
Ministerpräsident Markus Söder kritisiert seinen Vize nicht öffentlich, verlangt aber von ihm, ab sofort in Mehring alle Gespräche zu führen, um den Windpark zu retten. In München heißt es zudem, auffällig viele Konzernchefs, aber auch Mittelständler und Innungsmeister fragten Gespräche bei Söder anstatt beim Wirtschaftsminister. Und CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagt unserer Zeitung, das Urvertrauen in die starke Wirtschaft löse sich gerade „auf wie der letzte Schnee in der Frühlingssonne“. Holetschek verlangt: „Ob in Berlin oder München – wir brauchen endlich Wirtschaftsminister, die diesen Namen verdienen.“
Gewerkschaftschefs fordern von Aiwanger mehr Einsatz in seinem Hauptjob
Das ist starker Tobak. Ergänzt wird das durch Statements von Verbands- und Gewerkschaftschefs, die von Aiwanger mehr Einsatz in seinem Hauptjob fordern. Der Niederbayer selbst verteidigt sich nun. In mehreren Interviews sagte er: „Als gewählter Politiker muss man zur Bevölkerung raus, wenn die nach der Politik ruft.“ Man könne als Politiker „nicht nur im warmen Büro sitzen“. Und: „Es ist infam, mich da ständig zu kritisieren.“ Wer das tue, wolle ihn nur „weghaben, wo momentan der Brennpunkt der Aufmerksamkeit liegt“.
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Der Ärger um Aiwanger setzt sich inzwischen in der ganzen Koalition fort – in vielen, für sich genommen unbedeutenden Nickligkeiten. Streit um den Religionsunterricht an Grundschulen, um die Urheberschaft für Förderpläne des ländlichen Raums, sogar um Faxgeräte in Behörden. Das Gesamtbild ist für beide Partner indes heikel: Die einst harmonische „Bayern-Koalition“ taugt nicht mehr als Stil-Gegenentwurf zur Berliner Ampel.