Eskalation in Myanmar: Mischt sich China jetzt in den Bürgerkrieg ein?

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Soldaten der Ta‘ang National Liberation Army kämpfen derzeit im Norden Myanmars gegen die Militärjunta (Archivbild) © AFP

In Myanmar werden die Kämpfe zwischen Rebellen und Militär immer heftiger, vor allem an der Grenze zu China. Peking reagiert nun mit einem Militärmanöver.

Seit Monaten toben in Myanmar schwere Kämpfe zwischen Militärjunta und Widerstandsgruppen. Nun rückt der Konflikt, der nach dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 ausgebrochen war, immer dichter an die Nachbarländer des südostasiatischen Staats heran. Vor allem China, das eine rund 2100 Kilometer lange Grenze mit Myanmar teilt, wird zunehmend nervös, am vergangenen Wochenende kündigte Peking eine mehrtägige Militärübung in der Grenzregion an. Dabei handelt es sich zwar offiziell um ein Routinemanöver. Beobachtern zufolge ist es aber eindeutig auch eine Reaktion auf die veränderte Situation im Grenzgebiet.

Seit dem 27. Oktober gibt es wieder heftige Kämpfe, die Rebellen sprechen deswegen von der „Operation 1027“. Auf der einen Seite steht die vom Westen geächtete und mit Sanktionen belegte Militärjunta. Auf der anderen drei Widerstandsgruppen, die sich zur sogenannten „Bruderallianz“ zusammengeschlossen haben und eigenen Angaben zufolge das Ziel verfolgen, „die unterdrückerische Militärdiktatur auszulöschen“.

Myanmar-Rebellen nehmen Grenzübergang zu China ein

Die Rebellenallianz konnte in den vergangenen Tagen beachtliche Erfolge feiern. Eine der Gruppen nahm laut Medienberichten einen Grenzübergang zu China ein – nachdem in der Woche zuvor ganz in der Nähe 120 Lastwagen, die von China aus ins Land gekommen waren, in Flammen aufgingen. Myanmars Regierung sprach anschließend von einem „Terrorakt“. In der Ortschaft Laukkai, ebenfalls in unmittelbarer Nähe zu China, kamen zudem kürzlich Berichten zufolge mindestens zehn Menschen bei einem Raketenangriff ums Leben, für den sich Regierung und Rebellen gegenseitig verantwortlich machen. Mehr als 224 Stützpunkte der Militärjunta und sieben Ortschaften kontrollieren die Rebellen alleine im nördlichen Shan-Staat nach eigenen Angaben.

China steht in dem Konflikt zwischen den Stühlen. Peking unterhält gute Beziehungen zur Militärjunta und liefert Waffen an die Generäle; zudem ist Myanmar ein wichtiger Partner von Chinas Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“. Aber auch zu einigen der Rebellengruppen im Shan-Staat hat China gute Verbindungen, seitdem diese in den 1960-er- und 1970-er Jahren an einem kommunistischen Aufstand beteiligt waren.

China wolle jedenfalls unbedingt vermeiden, dass aufgrund der Kämpfe Flüchtlinge aus Myanmar ins Land kommen, sagt der Analyst Richard Horsey von der US-amerikanischen Crisis Group. Horsey verweist auf Ereignisse vom Frühjahr 2015, als nach Zusammenstößen zwischen Armee und Rebellen bis zu 50.000 Menschen nach China geflohen waren. Aktuell sind laut UN rund zwei Millionen Menschen innerhalb Myanmars auf der Flucht, und viele Tausende haben das Land verlassen.

Konfliktregion in Nord-Myanmar als Hort chinesischer Betrügerbanden

Peking hofft offenbar zugleich, dass die Aufständischen gegen illegale Betrugszentren in der Region Kokang vorgehen, einer selbstverwalteten Zone an der Grenze zu China. Dort halten chinesische Gangs Tausende Menschen aus China und Südostasien fest. Die Kriminellen zwingen sie, Menschen im Westen, aber auch in China selbst, durch gefälschte Online-Profile, etwa auf Dating-Seiten, finanziell zu betrügen. „Da sich solche illegalen Aktivitäten in den letzten Jahren in ganz Südostasien ausbreiten, ist die Eindämmung dieser Aktivitäten für Peking eine wichtige Priorität geworden“, so Horsey.

Offiziell gibt sich Peking zurückhaltend. Man rufe alle Parteien auf, „das Wohl der Menschen in den Vordergrund zu stellen, die Kämpfe so schnell wie möglich einzustellen, Differenzen durch Dialog und Konsultationen zu lösen und eine Eskalation der Situation zu verhindern“, sagte unlängst eine Außenamtssprecherin.

Myanmar: Aufstände im ganzen Land

Nicht nur die Eskalation an der Grenze zu China dürfte der Militärjunta Kopfzerbrechen bereiten. Aufstände werden mittlerweile aus dem ganzen Land gemeldet, das Exil-Medium The Irrawaddy spricht von „schätzungsweise 20.000 Widerstandskämpfern“. Ihnen gegenüber stehen nach Schätzungen westlicher Experten 70.000 einsatzbereite Junta-Soldaten.

Erst Mitte November hat sich im Westen des Landes eine weitere Front aufgetan, im Rakhine-Staat, unweit der Grenze zu Bangladesch. Am 13. November griff die Arakan Army (AA) Stellungen in dem Gebiet an und brach damit den informellen Waffenstillstand mit der Junta, der zuvor rund ein Jahr lang gehalten hatte. Crisis-Group-Analyst Richard Horsey spricht von einer „sehr wichtigen“ Entwicklung, „da groß angelegte Kämpfe dort bedeuten würden, dass das Militär anderswo noch stärker beansprucht würde“. Im Interview mit The Irrawaddy sagte einer der AA-Kommandanten, die Junta stehe im Rakhine-Staat vor der „Auslöschung“. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Indien besorgt über Kampfhandlungen entlang der Grenze zu Myanmar

Auch an der Grenze zu Indien kam es zu Gefechten. Rebellengruppen nahmen dort Berichten zufolge mehrere Ortschaften ein, Tausende sollen nach Indien geflohen sein. Offenbar hat das Militär die Kontrolle über den Ort Rihkhawdar verloren, der an den indischen Bundesstaat Mizoram grenzt; im nördlich gelegenen Sagaing-Staat soll es ebenfalls zu Kämpfen gekommen sein. Indiens Regierung mache sich „große Sorgen wegen solcher Vorfälle nahe unserer Grenze“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Die Regierung in Neu-Delhi steht bislang hinter der Junta und unterstützt die Militärs unter anderem mit der Lieferung von Waffen, Rohstoffen und Dual-Use-Gütern, die sowohl zu zivilen als auch zu militärischen Zwecken eingesetzt werden können.

Angesichts der vielen Fronten beschwört Myanmars Präsident, der von der Junta eingesetzte General Myint Swe, die nationale Einheit des Landes. Bereits Mitte November warnte er vor einem Zerfall Myanmars: „Wenn die Regierung die Vorfälle in der Grenzregion nicht wirksam bewältigt, wird dies das Land in verschiedene Teile spalten“, sagte er. Nur ein starkes Militär, so die versteckte Botschaft der Junta, könne die Einheit des Landes bewahren. Doch die Bereitschaft vieler Soldaten und weiter Teile der Zivilbevölkerung, sich weiterhin hinter das Militär zu stellen, scheint immer mehr zu schwinden.

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