Henning Vöpel zur US-Wahl - Trump ist unkalkulierbar! Ökonom erklärt, wieso Harris besser für Deutschland wäre
Der Einfluss der nächsten US-Präsidentenwahl wird für Deutschland spürbar. Ökonom und Experte für EU-Politik, Henning Vöpel, erklärt, warum Kamala Harris für die Stabilität in Europa eine bessere Wahl wäre als Donald Trump.
Die Gründe, weshalb eine US-Präsidentin Kamala Harris besser für Deutschland wäre, haben allesamt mit Donald Trump zu tun. Jedes Plädoyer für Harris ist daher vor allem eine Warnung vor Trump. Es ist nicht die ausgewiesene politische Stärke von Harris – dafür sind ihre Konzepte, etwa in der Wirtschafts- oder Außenpolitik, nicht überzeugend und klar genug –, sondern die zerstörerische und unkalkulierbare Wirkung von Trump, die zu dieser Einschätzung führt. Natürlich könnte man argumentieren, dass eine erneute Präsidentschaft von Trump nun endlich und dieses Mal wirklich Deutschland und die Europäische Union (EU) aus dem Schlaf reißen und zum Handeln zwingen würde.
Doch dieses Argument würde nur unter der Annahme gelten, dass Deutschland und die EU tatsächlich auch imstande wären, unter Druck schnell zu handeln und zu gemeinsamer Stärke zu finden. Vieles spricht dafür, dass dies nicht der Fall wäre. Im Gegenteil: Panik, Chaos und Konflikte könnten in der EU einkehren und genau die falschen Kräfte zusätzlich Aufwind bekommen. Trump würde mit seinen Deals eine Art globales Gleichgewicht der Unordnung etablieren mit sehr vielen komplexen Teilkonflikten.
Deutschland und die EU, gewöhnt an die regelbasierte Welt des Multilateralismus, haben in den vergangenen vier Jahren viel zu wenig selbst getan, um den Ausgang der US-Wahl weniger schicksalhaft zu machen. Trump würde schon sehr bald nach seiner Wahl einen Moment der Instabilität erzeugen, in dem die EU völlig schutzlos wäre. Sogar ein Dominoeffekt wäre denkbar, der dazu führen könnte, dass Putin und Xi die USA unter Trump gezielt testen würden – mit den großen Verlierern Deutschland und Europa, die momentan selbst politisch und ökonomisch angeschlagen und mit viel weniger Eigenwehr ausgestattet sind als noch 2016, dem Beginn der ersten Präsidentschaft von Trump.
Über Henning Vöpel

Prof. Dr. Henning Vöpel ist Vorstand der Stiftung Ordnungspolitik und Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep). Zwischen September 2014 und Oktober 2021 war er Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), im Anschluss Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School.
Das gewichtigste Argument für Harris besteht daher darin, dass unter ihr die USA eine stabile Demokratie und eine zuverlässige globale Ordnungsmacht blieben. Unter Trump wäre dies zumindest alles andere als sicher. Das „Project 2025“ und weitere Äußerungen von Trump deuten darauf hin, dass die amerikanische Verfassung von einer demokratischen zu einer deutlich autokratischeren verändert werden soll.
Auch der historische „Westen“ hätte als eine normative Wertegemeinschaft inmitten der beginnenden globalen Neuordnung wohl vorerst ausgedient – mit gravierenden Folgen für Europa und mithin Deutschland, das durch seine europapolitische Inaktivität wesentlich verantwortlich dafür ist, dass die EU sich geopolitisch kaum weiterentwickelt hat. Konkret geht es um vier Themen, bei denen Harris besser für Deutschland wäre als Trump: der Krieg in der Ukraine, mögliche Handelskonflikte, die Industriepolitik und die neuen Technologien.
Krieg in der Ukraine
Kamala Harris steht nicht in der transatlantischen Tradition vieler amerikanischer Präsidenten, von denen Joe Biden der letzte gewesen ist. Und dennoch würde unter ihr die militärische Unterstützung für die Ukraine fortgesetzt werden. Trump hat eine Beendigung des Krieges innerhalb von Tagen angekündigt.
Klar ist, was das bedeuten würde: Ein Deal mit Putin und somit ein „ungerechter Frieden“ auf europäischem Boden. Das würde die EU vor die schwerste Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte stellen. Russland würde an Polen und das Baltikum heranrücken und die Abschreckung des Artikels 5 des Nato-Vertrages wäre schwer beschädigt. Doch der sicherheitspolitische Fokus der USA würde sich auch unter Harris von Europa und europäischen Interessen wegbewegen, allerdings deutlich langsamer und gemäßigter.
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Handelskonflikte
Für Deutschland ist der Export gerade in der gegenwärtigen Strukturkrise der heimischen Industrie sehr bedeutsam. Unter Trump würden hohe Zölle den Export in den nach wie vor wichtigsten Exportmarkt Deutschlands quasi zum Erliegen bringen. Deutschland und die EU gerieten zwischen die Fronten eines Handelskrieges zwischen China und den USA und würden eben nicht als „lachender Dritter“ daraus hervorgehen. Wiederum gilt: Auch unter Harris würden protektionistische Maßnahmen zunehmen, aber die Welt bliebe kooperativer und weniger konfrontativ.
Energie, Klima und Industriepolitik
Eines der wichtigsten Themen der deutschen und europäischen Politik ist die Energiewende und der industriepolitische Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität. Hier würde Harris die bisherige Industriepolitik von Biden fortsetzen. Trump hingegen würde den klimapolitischen Kurs der USA radikal umkehren.
Der klima- und energiepolitische Weg speziell Deutschlands und generell der EU ist aber darauf angewiesen, dass genügend bedeutende Wirtschaftsräume zumindest eine ähnliche Politik verfolgen. Was die europäische Wettbewerbsfähigkeit betrifft, so hat der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi mit seinem alarmierenden Bericht gezeigt, wie weit die EU hinterherhinkt. Die neue Kommission steht hier, ob Harris oder Trump, vor großen Aufgaben.
Neue Technologien und Regulierung der Big Tech
Die neue Weltordnung wird wesentlich bestimmt werden durch die Führerschaft in neuen Technologien und in digitalen Infrastrukturen. Hier hängen Deutschland und die EU weit zurück. Immerhin wird es unter Harris zumindest eine ähnliche Idee von Wettbewerb und der Regulierung digitaler und KI-basierter Geschäftsmodelle und Märkte geben, wie sie in Deutschland und der EU vorherrscht.
Unter Trump drohte eine unheilvolle, fast neofeudalistische Verschmelzung von politischer und digitaler Macht. Der in gewisser Weise durchaus beeindruckende Tech-Unternehmer Elon Musk, Eigentümer und Regelsetzer der mächtigen Plattform X (vormals Twitter), hat sehr offensiv Wahlkampf für und mit Trump gemacht. Die digitale Abhängigkeit von den USA bei gleichzeitiger regulatorischer Divergenz würde für die EU ein großes Problem sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Trump und Harris sich der Richtung ihrer Politik nach für Deutschland und die EU gar nicht so gravierend unterscheiden, wohl aber sehr deutlich und entscheidend in dem Ausmaß und in der Art. Deutschland und die EU gewönnen unter Harris also vor allem – mal wieder – etwas Zeit, um sich an die neue geopolitische Welt anzupassen und vorzubereiten, indem die eigene Souveränität militärisch, ökonomisch und technologisch gestärkt wird.
Die noch amtierende Bundesregierung und die vergangene Kommission waren sträflich untätig allen Warnungen und unübersehbaren Hinweisen zum Trotz. Dass Deutschland und die EU sich so abhängig gemacht haben von einem Wahlausgang in den USA, zeigt eben nicht nur, dass für die USA viel auf dem Spiel steht, sondern vor allem, dass diesseits des Atlantiks in der vergangenen Dekade keine ernstzunehmende Antwort auf das nun unmittelbar drohende Szenario gefunden worden ist. Das muss sich so oder so dringend ändern.
Die größte Schwäche Deutschlands und der EU ist die fehlende Geschwindigkeit. Das, was unter Trump am wenigsten vorhanden wäre, wäre die Zeit. Harris böte wenigstens die Zeit, um nochmal Luft zu holen.
Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.