EU-Gasspeicher sind voll: Russland-Gas als „politischer Spaltpilz“ – doch einige Länder kaufen weiter von Putin

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Deutschland und die EU sind mit fast vollen Gasspeichern gut auf den Winter vorbereitet. Doch einige Staaten spielen mit dem Feuer – ihre Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bleibt riskant.

Brüssel – Als die Internationale Energieagentur IEA Anfang Oktober vor Versorgungsproblemen bei Erdgas warnte, dürfte diese Nachricht bei den wenigsten europäischen Regierungen für Schweißausbrüche gesorgt haben. Dafür sind die meisten Mitgliedsstaaten der EU nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu gut vorbereitet – und haben längst Alternativen zum billigen russischen Gas organisiert. Dazu zählt auch Deutschland, das im großen Stil Flüssig- und Pipelinegas aus den USA und Norwegen bezieht. Wohl auch deswegen gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zwischendurch Entwarnung und erklärte die Gasmangellage für beendet.

Gut gefüllte Gasspeicher in Deutschland und der EU – ein Fünftel der Importe stammt dennoch aus Russland

Inzwischen sind die deutschen Gasspeicher laut dem Informationsdienst Aggregated Gas Storage Inventory bis zu 97,8 Prozent gefüllt – und könnten somit bei einem durchschnittlichen Winter bis zu drei Monate halten. Der durchschnittliche Vorrat der EU umfasst rund 95 Prozent.

Eine kleine Anzahl von EU-Staaten dürfte dagegen genau gewusst haben, an wen die Botschaft der IEA gerichtet gewesen sein könnte. Österreich, die Slowakei und Ungarn beziehen nach wie vor noch große Mengen an Erdgas aus Russland. Die drei Länder haben einen maßgeblichen Anteil daran, dass laut Informationen der EU-Kommission nach wie vor ein Fünftel der Gasimporte der EU aus Russland stammen – zum Vergleich: 2021 waren es noch 45 Prozent. Damit ist der Kreml hinter Norwegen der zweitgrößte Lieferant der Währungsunion und übertrifft sogar noch immer die USA. Möglich macht das die Transit-Pipeline durch die Ukraine, woraus sich schon aufgrund des von der EU verurteilten Krieges ein Widerspruch ergeben könnte. Doch anders als beim Öl obliegt Erdgas aus Russland keinen Sanktionen – für diesen Schritt fanden sich keine Mehrheiten unter den Mitgliedsstaaten. Vielmehr war es Wladimir Putin selbst, der kurz nach Beginn des Überfalls die Gaslieferungen in einige ausgewählte EU-Länder, wie etwa Deutschland, drosselte.

Österreich, Ungarn und Slowakei in der Putin-Falle? Gaslieferungen werden „zum politischen Spaltpilz“

„Die Gaslieferungen aus Russland drohen für die EU zum politischen Spaltpilz zu werden“, prognostiziert Georg Zachmann von der Denkfabrik Bruegel, gegenüber der Neuen Züricher Zeitung. Denn obwohl Österreichs Gasspeicher derzeit mit rund 95 Prozent gut befüllt sind und im Normalfall kein Mangel während des kommenden Winters entstehen dürfte, fährt die Alpenrepublik eine gefährliche Doppelstrategie. Für 2023 changieren die Zahlen stark: Einige Quellen schätzen, dass 44 Prozent des Bedarfs durch russisches Gas gedeckt werden – andere beziffern den Anteil auf bis zu 83 Prozent. Laut dem Spiegel rechnet die österreichische Regierung im Falle eines Pipeline-Aus mit rund zehn bis zwanzig Prozent höheren Preisen für den Endkunden. Das importierte Flüssiggas wäre deutlich teurer als das nach wie vor billige Transit-Gas aus Russland.

In Ungarn sind es 61 Prozent und in der Slowakei 70 Prozent. Im Vergleich zu den Jahren 2021 hat sich der Import der Länder jeweils vergrößert.

War in Moskau bei Wladimir Putin: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (li.).
Blühende oder betrübte Partnerschaft? Viktor Orbán (l.) wirbt oftmals um die Gunst von Kreml-Chef Wladimir Putin – auch weil das Land auf russisches Gas angewiesen ist. © IMAGO / SNA

EU ist aufgrund Russland-Abhängigkeit alarmiert: Staaten könnten von Putin erpresst werden

Auf EU-Ebene sind die Verantwortlichen alarmiert: Die EU-Energiekommissarin Kadri Simson appellierte an die Staaten, sich unabhängiger von russischem Gas zu machen, um etwa nicht Putins Erpressungen zu erliegen. Hinzu kommt, dass die Ukraine zuletzt mehrfach ankündigte, die auslaufenden Verträge zur Transitroute nicht verlängern zu wollen. In einem Interview im ukrainischen Fernsehen erklärte Mychajlo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, sogar, dass die Lieferungen mit dem 1. Januar 2025 aufhören würden. Auch Selenskyj selbst hatte sich zuvor ähnlich geäußert.

Auch Simson erhöhte zuletzt den Druck auf Länder wie Österreich oder Ungarn: „Die EU ist bereit, ohne das verbleibende russische Erdgas zu leben, das über die Transitroute durch die Ukraine geliefert wird.“

Ungarn und Slowakei prüfen Alternativen – und lobbyieren dennoch für Transit-Route durch Ukraine

Ungarn scheint dieser Aufforderung langsam, aber sicher nachzukommen. Der Vertrag mit dem russischen Staatsunternehmen Gazprom über jährliche Gaslieferungen mit einem Volumen von 4,5 Milliarden Kubikmetern noch bis 2031. Doch längst schaut sich die Regierung von Viktor Orbán nach alternativen Quellen um. Fündig wurde sie nach eigenen Angaben in Aserbaidschan, Katar und der Türkei. Die Slowakei tendiert in eine ähnliche Richtung: Im Sommer schloss die Regierung von Robert Fico einen Vertrag mit dem polnischen Rohstoffkonzern Orlen für die Lieferung von US-amerikanischem Flüssiggas ab. Für das Jahr 2025 sollen so 30 Prozent des Gasbedarfs gedeckt werden.

Dennoch setzten sich beide Staaten weiterhin dafür ein, dass die Transitroute durch die Ukraine bestehen bleibt – und erhöhen ihrerseits den Druck auf das osteuropäische Land und die anderen EU-Mitgliedsstaaten.

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