Seit vier Monaten: Verschleppter Leon (8) weiter verschwunden

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So soll es bald wieder sein: Der zurzeit vom Vater verschleppte Leon (8) mit seiner Mama Elisabeth Nußer (35). © privat

Seit über vier Monaten ist Leon verschwunden. Das von seinem Vater in die Türkei gebrachte Kind aus Grafing ist nun im Fokus eines komplexen internationalen Verfahrens.

Grafing - Das eigene Kind zu vermissen, weil es ins Ausland verschleppt wurde: ein Gefühl, das sich wohl niemand vorstellen kann, der nicht selbst davon betroffen ist. Für Elisabeth Nußer ist die Angst um ihren Sohn Leon, das Vermissen ihres Kindes, zum noch unvorstellbareren Dauerzustand geworden: Über 18 Wochen ist es nun her, seit sich der Vater Anfang Juni mit dem Achtjährigen in die Türkei abgesetzt hat. Offenbar, weil die zwischenzeitlich erfolgte Scheidung bevorgestanden habe.

Seit der für sie völlig überraschenden Entführung habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Kind, erzählt die Mutter nun der Redaktion. „Das ist eine ganz schreckliche Situation“, sagt sie. Auch den Vater und dessen Verwandte könne sie nicht erreichen: „Die haben mich alle blockiert“, sagt die 35-jährige Grafingerin über die üblichen digitalen Kommunikationswege. Der genaue Aufenthaltsort des Kindes sei weiter unklar.

Kurz nach Leons Verschleppung hatte Elisabeth Nußer ihn und den Vater bis an die bulgarisch-türkische Grenze verfolgt – und in einem Hotelzimmer nur noch Kleidung und Spielsachen vorgefunden. Der Vater war mit dem Kind in die Türkei getürmt. Offenbar war er zunächst mit gefälschten EU-Dokumenten bei der Ausreise gescheitert, dann aber mit seinem türkischen Pass durchgekommen. Schließlich bekommt sie eine Nachricht der Schwiegermutter aus Istanbul: Das Kind werde in der Türkei aufwachsen. Eine Online-Spendenkampagne, die einen Privatdetektiv für die Suche nach Leon finanzieren soll, bringt rund 2400 Euro ein.

Staatsanwaltschaft und Bundesamt für Justiz schweigen zu den Ermittlungen

Doch Leon bleibt bis zum heutigen Tag verschwunden, zumindest für die Mutter. Wie es dem Kind geht, weiß sie nicht, nur, wenngleich das ein geringer Trost ist, dass der Vater dem Sohn sehr zugewandt sei; ihm wohl wenigstens keine körperliche Gefahr drohe. Doch weiß die Grafingerin nicht, wann und ob sie ihr Kind wiedersieht. Sie habe zwischenzeitlich den türkischen Behörden angeforderte Dokumente weitergeleitet, etwa die inzwischen gefällte Gerichtsentscheidung, wonach ihr nach deutschem Recht das Sorgerecht für Leon zustehe. Ob es etwas hilft, weiß sie nicht. Die behördlichen Mühlen brauchen selbst in einem Fall mutmaßlicher Kindesentziehung ihre Zeit, zumal die Türkei kein EU-Staat ist. Die Staatsanwaltschaft München II bestätigt, dass sie weiter in dem Fall ermittelt, macht aber auf Nachfrage der Redaktion „aus ermittlungstaktischen Gründen“ keine Angaben zum Verfahrensstand.

Entscheiden muss im Zweifelsfall die türkische Justiz

Unterstützung bekommen Eltern wie Elisabeth Nußer in solchen Fällen vom Bundesamt für Justiz. Denn dann greift das internationale Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ), das in der Türkei seit dem Jahr 2000 Gültigkeit habe, teilt das Bundesamt auf Anfrage mit. Demnach habe es zuletzt ungefähr 25 mit Leons Fall vergleichbare Ersuchen auf Rückführung pro Jahr gegeben. Zur Erfolgsquote könne man keine Angaben machen, da sie viele Fälle außergerichtlich erledigten und das Amt dann keine Rückmeldung bekomme. Auch lande nicht jeder Fall beim Bundesamt, das die Amtshilfe lediglich als kostenlosen Service anbiete; es aber Eltern unbenommen sei, selbst Anwälte vor Ort im Ausland zu beauftragen. Zu Leons konkretem Fall äußert sich die Bundesbehörde nicht.

Allgemein gelte aber: Entscheiden muss, wenn sich der Vater weiter unkooperativ zeigt, am Ende die türkische Justiz, ob Leon wieder zurück nach Deutschland zu seiner Mama und in seine Schulklasse kommt. Und zwar nach türkischem Recht. Die örtlichen Behörden hätten zunächst offenbar angezweifelt, ob die Reise von Vater und Sohn in die Türkei wirklich illegal gewesen sei, lässt die Mutter durchblicken. Leons Schicksal hängt also weiter in der Luft. Seit nunmehr über vier Monaten.