Ein-Euro-Jobs als Strafe gegen Bürgergeld-Beziehende – doch die können sich wehren

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Jobcenter können Bürgergeld-Beziehende in Ein-Euro-Jobs zwingen – als Sanktion für verpasste Termine. Daran gibt es Kritik. Unter Bedingungen können sich Betroffene auch wehren.

Berlin – Die Ampel-Koalition will gegen Bürgergeld-Beziehende durchgreifen, die angeblich die Kooperation mit den Jobcentern verweigern. Für die – wie auch die Bundesagentur für Arbeit selbst einräumt – seltenen Fälle sollen die Jobcenter die Möglichkeit bekommen, die umgangssprachlichen Ein-Euro-Jobs als Strafmaßnahme zu verhängen. Bis zu sechs Monate müssen sie dann der Arbeit nachgehen – mit Potenzial auf Verlängerung.

Jobcenter können Bürgergeld-Beziehende in Ein-Euro-Jobs zwingen – Grundlage in der Kritik

Eine entsprechende Weisung an die Jobcenter hat die Bundesagentur für Arbeit bereits am 23. Oktober 2024 herausgegeben. Damit setzt sie die Ampel-Pläne aus der sogenannten Wachstumsinitiative um, die härtere Bürgergeld-Regeln vorsieht. Wenn Erwerbslose ohne wichtigen Grund zu drei Terminen hintereinander nicht erscheinen, liege demnach eine Terminverweigerung vor. Wer Jobs ablehne oder an Eingliederungsmaßnahmen wie eine Weiterqualifizierung nicht teilnehme, kann seitdem zu den Arbeitsgelegenheiten verpflichtet werden. Das ist der offizielle Name der Ein-Euro-Jobs.

Die Ein-Euro-Jobs sind sozialversicherungsfreie Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse liegen müssen. Eigentlich sollen sie eine Hilfestellung bei der Rückkehr der Erwerbslosen auf dem Weg ins Berufsleben sein, indem sich die Menschen etwa wieder „an den Rhythmus des Arbeitslebens“ gewöhnen und zusätzliche Berufserfahrung sammeln. Für die Mehraufwendung im Rahmen der Arbeitsgelegenheiten sollen die Bürgergeld-Beziehenden entschädigt werden. Das sind etwa Kosten für die Fahrt und Arbeitskleidung.

Eine Frau steht im Eingang eines Jobcenters und Blick auf ein Hinweisschild.
Den Weg ins Jobcenter treten nicht alle an: Bürgergeld-Beziehende, die sich weigern, können zu Ein-Euro-Jobs verdonnert werden, aber können gegen die Entscheidung vorgehen. (Symbolfoto) © Carsten Koall/dpa

Die Hürden, wann Menschen im Bürgergeld als „unkooperativ“ zählen, sind laut Kritikerinnen und Kritikern jedoch gering. Als Reaktion auf die Weisung stellte etwa Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei fest: „Als ‚unkooperativ‘ gilt man übrigens z.B. wenn man krank ist, und zwar eine Krankschreibung hat, aber keine Wegeunfähigkeitsbescheinigung für exakt den Tag, an dem der Termin stattfinden soll“, erklärte die Gründerin des Vereins, der für die Interessen der Betroffenen gegenüber einer unverhältnismäßigen Behandlung durch die Behörden einsetzt. Die Bescheinigung koste bereits 15 Euro. Solche Fälle würden sich bei Sanktionsfrei häufen.

Betroffene der Bürgergeld-Sanktionen könnten sich gegen die Zuweisung in Ein-Euro-Jobs wehren

Unter bestimmten Voraussetzungen könnte die Zuweisung in einen Ein-Euro-Job auch rechtswidrig sein, erklärte zudem das Portal Gegen-Hartz.de. Es empfiehlt den Betroffenen, eine Entscheidung des Jobcenters nicht einfach hinzunehmen, sondern sich „umfassend“ über die Rechte zu informieren. Sozialverbände bieten dazu eine Rechtsberatung durch Anwältinnen und Anwälte mit Fokus auf Sozialrecht für eine Erstberatung und möglicherweise eine Klage an. Das ist auch bei Bürgergeld-Bescheiden möglich.

Grundsätzlich sind bei der Vergabe von Arbeitsgelegenheiten im Bürgergeld verschiedene Faktoren entscheidend, die erfüllt sein müssen:

  • Die Maßnahme ist nötig: Ein-Euro-Jobs sollen laut Bundesagentur für Arbeit nur vergeben werden, wenn andere Maßnahmen bei der Eingliederung in Arbeit bereits genutzt wurden, jedoch keinen Erfolg brachten.
  • Bemühungen der Leistungsbeziehenden sind berücksichtigt: Laut Gegen-Hartz.de ist eine Einteilung in einen Ein-Euro-Job nur möglich, wenn die Betroffenen bereits selbst versucht haben, sich um einen regulären Arbeitsplatz zu finden. Die Jobcenter sollten deshalb über entsprechende Bemühungen informiert sein, damit sie diese bei der Beurteilung berücksichtigen können.
  • Verdrängt der Ein-Euro-Job eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung: Die Arbeitsgelegenheiten dürfen keine regulären Arbeitsplätze verdrängen, was jedoch durchaus geschieht. Betroffene der neuen Maßnahme könnten laut dem Portal nachfragen, ob sie vorher von ehrenamtlichen Kräften oder doch von bezahlten Beschäftigten ausgeübt worden sind. Im zweiten Fall sei eine Klage gegen die Maßnahme möglich.
  • Arbeit muss einem öffentlichen Interesse dienen: Nicht alle Unternehmen dürfen solche Ein-Euro-Jobs annehmen. Sie müssen im öffentlichen Interesse liegen. Wenn das nicht der Fall ist, seien keine öffentlichen Mittel vorgesehen.

Dementsprechend hätten die von der Strafmaßnahme Betroffene die Option, bei den Trägern oder bei den Jobcentern nachzufragen, ob eigene Bemühungen und alternative Maßnahme berücksichtigt worden seien. Außerdem können sie nachfragen, ob die Mehraufwandsentschädigung ausreichend sei und es Unterstützungsangebote wie Fahrtkosten oder Kinderbetreuung gebe.

Ampel-Koalition erhöht den Druck auf Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger

Neben der neuen Vergabepraxis der Ein-Euro-Jobs als Strafe für angeblich unkooperatives Verhalten plant die Ampel-Koalition weitere Verschärfung. So soll es eine Meldepflicht für einige Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger geben, die dann monatlich im Jobcenter erscheinen müssen. Die Maßnahme sorgt für Mehrkosten von über 300 Millionen Euro. Wer dagegen verstößt, kann direkt für drei Monate bis zu 30 Prozent seines Regelsatzes abgezogen bekommen.

Fraglich ist, ob damit mehr Menschen in Arbeit kommen. „Alle angekündigten Maßnahmen schaffen nicht einen qualifizierten Arbeitsplatz mehr, schüren aber weiterhin Vorurteile gegen Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld“, sagte etwa Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Zudem seien Annahmen verfehlt, die Verschärfungen könnten zu einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum führen. Die Pläne führten „zurück in Hartz IV-Zeiten, sie verschärfen zum Teil sogar noch“, erklärte Rock bei seiner Bürgergeld-Kritik im Bundestag.

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