„Mannmannmann“: Christian Thielemanns Strauss-Buch

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Frühe Verehrung: Schon als Schüler hat sich Christian Thielemann die Partitur der „Alpensinfonie“ besorgt. © Sebastian Kahnert

Es ist, nach Wagner und Beethoven, das dritte Komponisten-Buch von Christian Thielemann. Wieder ist eine Liebeserklärung daraus geworden. Und eine Verteidigungsrede.

Unter Garantie war dieser Mann schon auf dem Schulhof ein Besonderling. Während sich die Klassenkameraden über Fußball, Pop oder Fernsehen unterhielten, war bei Thielemann der Kopf voller Noten. Nur so lässt sich erklären, dass der kleine Christian einst nachmittags am Radioregler fummelte, zufällig an die „Alpensinfonie“ geriet, vollkommen geflasht war – und sich sofort eine Partitur besorgte, um das Monsterwerk zu studieren. Was ein Jugendlicher in seinem sehr eigenen Fall eben so tut.

Thielemann beschreibt die Szene in „Richard Strauss. Ein Zeitgenosse“. Es ist das dritte Komponisten-Buch des Dirigenten. Und wieder ist es, nach Wagner und Beethoven, eine Liebeserklärung geworden. Eine Verbeugung, ein Dauer-Schwärmen und eine Verteidungsrede. Gegen jene Krittler, die Strauss das rattenfängerische Handwerk vorwerfen, auch sein vermeintliches Abbiegen vom Neutöner der „Salome“ und „Elektra“ zum Kulinariker des „Rosenkavaliers“, erst recht sein Rückzug in die Kunst während des „Dritten Reichs“. Und ein bisschen ist das Buch auch eine verkappte, indirekte Autobiografie. Thielemann hält sich mit Persönlichem wie schon in früheren Büchern zurück. Seine Umschreibungen und Analysen verraten aber einiges von diesem Dirigenten, vor allem von seinem künstlerischen Selbstverständnis.

Strauss als „gutbürgerlicher Revoluzzer“

„Bei Strauss entdecke ich mich selbst“, schreibt Thielemann. „Strauss ist für mich der gutbürgerliche Revoluzzer, das normale Genie.“ Einer, so möchte man ergänzen, der aus dem Estabhlishment heraus und eben für diese Bourgeosie seine Kunst betreibt – das ist schon entwaffnend offen. Genauso wie Thielemanns Tonfall, den Mitautorin Christine Lemke-Matwey so gut eingefangen hat. Man hört den Dirigenten förmlich reden in seinem lockeren, juvenilen, immer leicht respektlosen Berliner Sound. Über Gwyneth Jones oder Leonie Rysanek in der Rolle als ägyptische Helena heißt es etwa: „Da schwammen Fettaugen auf dem Orchester.“ Ein „schweinisch gut instrumentiertes Orchesterstück“ sei „Also sprach Zarathustra“. Und wenn die verbal-emotionale Feinmechanik versagt einfach nur „Mannmannmann.“

In zwei großen Blöcken widmet sich Thielemann den Tondichtungen und den Opern. Immer wieder zieht er Vergleiche zu Richard Wagner, das Liedschaffen von Strauss kommt etwas knapp weg. Und dauernd ist da diese Inschutznahme des Tonschöpfers. Dass hier einer mit der Revolution der Musikhistorie, mit der Aufgabe des tonalen Systems, kaum etwas anfangen konnte, macht Strauss in den Augen Thielemanns nicht zum Traditionalisten, im Gegenteil. Strauss sei zwar ein „Einseifer, Spieler, begnadeter Wirkungsästhetiker“, auch ein „genialer Unterjubler“. Doch, und da wird Thielemann zum Dialektiker, dennoch ein Mann der Zukunft: „Die Tradition wird hinterfragt, ohne dass der Gestus des Hinterfragens nervt. Das ist das Avantgardistische an ihm.“

Fast aufschlussreicher, spannender sind die Passagen, in denen der Kapellmeister Thielemann Auskunft gibt. Dass man den Verführungen Strauss‘scher Partituren keinesfalls erliegen dürfe, wird fast in jedem Kapitel thematisiert. Auch deshalb hat Thielemann eine „Hassliebe“ zu „Salome“ entwickelt: Das ständige Ankämpfen gegen die Lautstärke, das Zügeln des Riesenorchesters sei ihm irgendwann zu viel geworden – dann lieber die etwas feiner gestrickte „Elektra“. Strauss, so legt Thielemann dar, spreche genug für sich, ein Dirigent auf Selbstverwirklichungstrip werde da nicht gebraucht. Wohl aber ein Handwerker, der steuert, abschmeckt, balanciert.

Partituren „wie ein Gewächshaus“

Man spürt bei der Lektüre den Nerd Thielemann. Wie er begeistert in die Riesenpartituren schaut („ein Blick in ein Gewächshaus“), um Befriedigung in Mini-Momenten zu finden. Ein Detailfummler, der seine Erkenntnisse am liebsten mit Strauss-Orchestern wie den Wiener Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden und demnächst der Staatskapelle Berlin erpuzzelt. Gerade deshalb ist Thielemann den späten Strauss-Opern verfallen, ihrer Ver- bis Überfeinerung – die oft für Interpreten spannender ist als fürs Publikum. Tonfall und Stil des Buchs zeigen auch: Da ist zwar ein Analytiker am Werk, doch der bleibt immer Lustmusiker.

Manches ist diskussionswürdig bis anfechtbar. Strauss brachte kein Proletariat auf die Bühne? Barak und die Färberin der „Frau ohne Schatten“ gehören alles andere als zur Upper Class. Und dass Thielemann eben jenes Lieblingsstück bei den Salzburger Osterfestspielen dirigiert haben will, stimmt nicht ganz: Es war eine Produktion der Sommerfestspiele in der Regie Christof Loys.

Auch wenn Richard Strauss ein Lebenskomponist dieses Pultstars ist, gibt es noch ein paar weiße Flecken. Zum Beispiel „Die schweigsame Frau“ – jene Oper, die Thielemann erstmals im Juli 2025 an seiner neuen Wirkungsstätte, der Berliner Staatsoper, dirigiert. Und alles spricht dafür, dass es noch mindestens zwei Bücher gibt – über Thielemanns Flammen Brahms und Bruckner.

Christian Thielemann: „Richard Strauss. Ein Zeitgenosse“. C.H. Beck, München, 316 Seiten; 28 Euro.

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