Wehrpflicht-Comeback? Pistorius-Pläne stoßen bei der Generation TikTok auf Ablehnung
Eine neue Umfrage zeigt: Die Mehrheit der Deutschen lehnt den Wehrdienst ab. Verteidigungsminister Pistorius plant dennoch ein neues Modell.
Berlin – Die sicherheitspolitische Lage in Europa ist derzeit so angespannt wie lange nicht mehr, insbesondere durch den Ukraine-Krieg. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant, noch in diesem Jahr einen neuen Wehrdienst einzuführen, während die Bundeswehr mit Personal- und Ausrüstungsproblemen kämpft. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen, vor allem die jüngere Generation, den Dienst an der Waffe ablehnt.
Pistorius‘ Wehrpflicht-Pläne und Ablehnung der Generation TikTok
Die „Generation TikTok“ zeigt wenig Interesse am Wehrdienst. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der Bild-Zeitung mit 1003 Teilnehmern verdeutlicht einen Mentalitätswandel: Nur 36 Prozent der Befragten würden sich für den Wehrdienst entscheiden, während 51 Prozent einen Zivildienst bevorzugen, der ohne Uniform und Waffe auskommt.
Besonders unter den 18- bis 29-Jährigen ist die Bereitschaft, Verantwortung für die Landesverteidigung zu übernehmen, gering. Die zentrale Frage scheint zu sein: „Was habe ich davon?“ Diese Generation sieht sich als kritisch, global vernetzt und unabhängig.
Pflicht ja, Waffe nein – konträre INSA-Studienergebnisse zur Wehrpflicht
Trotz der Ablehnung des Wehrdienstes sprechen sich 47 Prozent der Befragten für eine Rückkehr der Wehrpflicht aus, während 34 Prozent dagegen sind. Viele Bürger empfinden die Wehrpflicht als gerecht, auch wenn sie selbst nicht bereit sind, den Dienst zu leisten.
Ein Geschlechtergefälle wird ebenfalls deutlich: 47 Prozent der Männer können sich den Wehrdienst vorstellen, bei den Frauen sind es nur 26 Prozent. Gleichzeitig würden 60 Prozent der Frauen im Ernstfall lieber Zivildienst leisten, im Vergleich zu 42 Prozent der Männer. Eine geschlechterübergreifende Pflicht findet wachsenden Rückhalt, da 53 Prozent der Deutschen eine Wehr- oder Dienstpflicht auch für Frauen befürworten, während 34 Prozent dies ablehnen.
Verteidigungsminister Pistorius plant neuen Wehrdienst noch 2025
Pistorius plant, 2025 einen neuen Wehrdienst zu starten, um den dramatischen Personalmangel von 50.000 bis 60.000 Soldaten bei der Bundeswehr zu beheben. Die erste Phase soll freiwillig sein, berichtete etwa die dpa, doch bei zu wenigen Bewerbern wird eine verpflichtende Komponente in Betracht gezogen.
„Wir gehen davon aus, dass wir mit einem attraktiven Wehrdienst genügend Freiwillige gewinnen werden. Sollte das eines Tages nicht der Fall sein, wird zu entscheiden sein, junge Männer verpflichtend einzuberufen“, erklärte Pistorius.
Ein Zwei-Stufen-Modell ist geplant, bei dem sich junge Menschen digital registrieren und anschließend nach Bedarf, Motivation und Eignung ausgewählt und einberufen werden. Frauen sollen von Anfang an einbezogen werden, ähnlich dem schwedischen Modell.
Union und Spahn pochen auf Wehrpflicht: „Gesellschaftsjahr“ gefordert
Die CDU fordert mehr als nur Freiwilligkeit und sprach sich auf ihrem letzten Parteitag für ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ aus. Junge Menschen sollen wählen können, ob sie bei der Bundeswehr, im Pflegebereich, bei Hilfsdiensten oder in Vereinen arbeiten möchten, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die militärische Einsatzbereitschaft zu stärken.
Jens Spahn, Fraktionsvize der Union, betonte nun in der Rheinischen Post, dass Deutschland „eine Wehrpflicht brauchen“ werde, wenn Freiwilligkeit nicht ausreicht.
Wehrpflicht 2025 – das sollten Sie wissen:
Status quo: Die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland wurde im Juli 2011 ausgesetzt – sie besteht aber weiterhin im Spannungs- oder Verteidigungsfall.
Pistorius’ Reformpläne: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) arbeitet an einem neuen Wehrdienstmodell – freiwillig startend, mit Option auf spätere Verpflichtung.
Personalziel: Im ersten Jahr sollen rund 5.000 zusätzliche Freiwillige bei der Bundeswehr aufgenommen werden.
Rechtslage bei Frauen: Eine verpflichtende Einziehung von Frauen würde eine Änderung des Grundgesetzes erfordern (Artikel 12a GG).
Meinungsbild: Nur rund ein Drittel der Deutschen (34 %) wäre laut aktueller INSA-Erhebung bereit, heute Wehrdienst zu leisten (Quelle: Bild.de).
Gesellschaftsjahr in Planung: Die CDU schlägt ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr vor – wahlweise in Uniform oder im zivilen Dienst.
Mangel überall: Bundeswehr-Infrastruktur spricht gegen klassische Wehrpflicht
Eine sofortige Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht ist jedoch organisatorisch kaum möglich, da die Bundeswehr seit ihrer Aussetzung 2011 stark verkleinert wurde. Ausbildungszentren, Kasernen und Wehrersatzämter wurden aufgelöst, und in einigen Bundesländern sind Kasernen überfüllt, notiert swr.de.
Der Jahresbericht 2024 der ehemaligen Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) beziffert den Investitionsbedarf für die Infrastruktur auf über 67 Milliarden Euro. Pistorius prüft daher Modelle aus Nordeuropa, insbesondere Schweden, wo die Wehrpflicht 2017 reaktiviert wurde.
Dort melden sich alle 18-Jährigen, aber nur fünf bis zehn Prozent werden basierend auf Eignung, Bedarf und Motivation ausgewählt. Norwegen und Finnland verfolgen ähnliche Ansätze mit wachsender Beteiligung von Frauen. In Norwegen liegt ihr Anteil bei rund 25 Prozent, und gemischte Unterkünfte sowie geschlechterneutrale Ausbildung sind dort normal. Eine Studie im Scandinavian Journal of Military Studies zeigt, dass Wehrpflichtsysteme mit partizipativem Charakter und freiwilligen Elementen höhere Motivation und bessere Ausbildungsergebnisse erzielen.

Generation TikTok schätzt Sicherheit, aber der Staat soll dafür sorgen
Die INSA-Zahlen verdeutlichen einen tiefen gesellschaftlichen Wandel. Die „Generation TikTok“ lebt digital, pluralistisch und kritisch. Sicherheit wird geschätzt, aber als Aufgabe des Staates betrachtet.
Professorin Kathrin Groh von der Universität der Bundeswehr München formuliert es im Verfassungsblog wie folgt: „Die jungen Menschen in Deutschland lehnen den Wehrdienst aber mehrheitlich ab. Sie haben ein zum Teil sehr transaktionales Verständnis von der Wehrpflicht: Tut Deutschland nichts Spezielles für mich, tue ich auch nichts für Deutschland.“
Pflicht und Motivation – neue deutsche Wehrpflicht braucht gute Balance
Ein modernes Wehrdienstmodell müsste Motivation, Gleichstellung und gesellschaftliche Sinnhaftigkeit verbinden. Die INSA-Umfrage der Bild zeigt, dass 60 Prozent der Deutschen Anreize für Wehr- oder Zivildienst wünschen, wie Studienvorteile oder kostenlose Führerscheine.
Die Bundeswehr benötigt Personal, doch die Mehrheit der jungen Menschen sieht den Sinn eines klassischen Wehrdienstes nicht. Die Lösung könnte in einem neuen Modell liegen, das auf Auswahl, Motivation, Gleichberechtigung und Verantwortung setzt. Die Wehrpflicht ist kein Tabu mehr, aber wenn sie zurückkehrt, wird sie anders aussehen als 2010. Die „Generation TikTok“ stellt neue Fragen und verdient moderne Antworten.