Experte widerspricht Behörden: Supervulkan in Italien könnte jederzeit gigantisch ausbrechen
Am Supervulkan bei Neapel jagt ein Beben das andere, doch die Behörden sehen keine Ausbruchsgefahr. Ein Experte warnt: Eine Eruption sei jederzeit möglich.
Neapel/Pozzuoli – Die seit zwei Jahren anhaltenden Erdbeben am Supervulkan der Phlegräischen Felder im Süden Italiens sorgen für große Angst in der Bevölkerung. Die Erdstöße werden immer stärker, zuletzt gipfelten sie in ein Beben der Magnitude 4,4. Seitdem rüttelt der Vulkan unablässlich weiter. Immer mehr Häuser werden wegen Einsturzgefahr evakuiert. Verantwortlich dafür ist das Phänomen des Bradyseismos, das das starke ruckartige Heben und Senken der Bucht von Pozzuoli beschreibt, das durch eine unterirdische Magmakammer verursacht wird.

Italien-Behörden warnen vor weiteren Beben an Supervulkan – aber nicht vor einem Vulkanausbruch
Die Hebungsrate ist von einem Zentimeter im Monat im vergangenen Jahr auf drei Zentimeter gestiegen. Das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie INGV warnt vor noch schlimmeren Beben, denen viele Häuser nicht standhalten könnten. Einen bevorstehenden Ausbruch des Supervulkans halten die Experten jedoch für sehr unwahrscheinlich. Sie verwiesen jüngst auf vergangene Bebenkrisen in den 70er und 80er Jahren, nach denen sich die Lage wieder beruhigt hat. Die Gasemissionen seien stabil, der Boden sei in den vergangenen Jahrzehnten schon mal schneller gestiegen, um bis zu 15 Zentimeter im Monat.

Der Vulkanologe Giuseppe Mastrolorenzo, der auch am INGV angestellt ist und dort den Titel „Leitender Forscher“ führt, hat jetzt in einem Interview mit dem Portal napolivillage.it seinen eigenen Kollegen vehement widersprochen: „Diese Krise ist völlig anders als die der Vergangenheit“, sagt er. „Bradyseismos ist wenig erforscht und unberechenbar.“ Die jetzige seit 2005 anhaltende Krise habe sich seit 2012 intensiviert, wobei es zu einem enormen Anstieg der Gase gekommen sei.
Experte hält jetzige Situation für viel brisanter, als die Krisen in vergangenen Jahrzehnten
Der Kohlendioxid-Ausstoß ist von 3000 auf 5000 Tonnen pro Tag gestiegen, der Schwefelwasserstoff-Ausstoß hat sich sogar verfünffacht. Die Erdbeben sind jetzt mit Magnituden von 4,4 viermal so stark, wie damals, das Bodenniveau ist mittlerweile auch höher, die gesamte seismische Energie der vergangenen zwei Jahre liegt um 216 Prozent höher als die der Krise von 1982 bis 1984. „Im vergangenen Jahr kam es bereits zu erheblichen Schäden und 1500 Menschen mussten ihre Heimat verlassen“, berichtet Mastrolorenzo. Ein weiteres Problem sind die mächtigen CO₂-Ausgasungen des Supervulkans, die für Erstickungsgefahr sorgen, was auch in der U-Bahn befürchtet wird. Kürzlich berichtete ein Fischer, dass er regelmäßig tote Fische fange, die von neuen heißen Quellen unter Wasser regelrecht gekocht würden.
„Die jetzige Krise ist völlig anders“, gibt der Forscher zu bedenken. Und dann kommt er auf den Punkt: „Seien Sie vorsichtig, das Vulkanrisiko hängt nicht unbedingt mit Bradyseismos zusammen, denn ein Ausbruch könnte theoretisch in tausend Jahren, in einem Jahrhundert oder sogar – hoffentlich nicht – am nächsten Tag erfolgen, ohne Vorwarnung“. Die Ausbrüche der Phlegräischen Felder ähnelten nicht denen anderer gut erforschter Vulkane, etwa des Ätna oder Hawaiis. „Es sind Ausbrüche, bei denen das Magma sehr schnell aufsteigt. Es könnte uns also leider auch überraschen, wenn vielleicht Ruhe herrscht, kein Bradyseismos und damit keine Deformation auftritt“, so der Forscher. „Wir wissen weder das Ausmaß noch wo sich die Eruptionsquelle öffnen wird und natürlich auch nicht, wann dies geschehen wird.“
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Forscher: Jetzige Beben an Italiens Supervulkan könnten Vorboten einer Supereruption sein
Mastrolorenzo hatte schon voriges Jahr in einem Interview mit pozzuolinews24.it gewarnt, man könne einen großen Ausbruch nicht vorhersagen, da die Menschheit in historischer Zeit noch keinen Ausbruch eines Supervulkans erlebt habe. „Das kann nicht prognostiziert werden, weil wir keine Erfahrungen aus der Vergangenheit haben und das System zu komplex ist, um vorhersehbar zu sein“, betonte der Vulkanologe. „Wir können versuchen zu prognostizieren, ob wir kurz vor einem Ausbruch stehen, aber wir müssen auf das Ereignis mit dem höchsten Risiko vorbereitet sein.“
Im Lokalsender Radio Radicale sagte Mastrolorenzo 2023 sogar: „Die Behörden betonen das seismische Risiko, aber in den Phlegräischen Feldern war die Seismizität noch nie extrem hoch, während das eigentliche Problem darin besteht, dass die aktuellen Erschütterungen möglicherweise bereits die Vorboten der Eruption sind, bei der es sich um eine Supereruption handeln könnte.“
„Ausbruch des Supervulkans könnte zehnmal so massiv sein, wie der des Vesuvs vor knapp 2000 Jahren“
Das wäre eine riesige Katastrophe, die weit über den Golf von Pozzuoli hinaus dramatische Folgen hätte. Die dabei freigesetzte Energie sei dann „zehnmal höher als die von 79 n. Chr. von Pompeji“. Mastrolorenzo meinte damit den Ausbruch des Vesuvs am südlichen Stadtrand des heutige Neapel. Dabei wurden die römischen Städte Pompeji, Herculaneum zerstört. Die Gesamtzahl der Todesopfer wird auf bis zu 5000 geschätzt. Viele Touristen besichtigen heute die Ruinen der damals von Asche verschütteten Städte im Rahmen eines Italien-Urlaubs. Diese Eruption hatte Stufe 5 auf dem Vulkanexplosivitätsindex, das INGV geht in den Phlegräischen Feldern von einer maximal möglichen Eruption der Stufe 4 aus.

Der Ausbruch der Phlegräischen Felder vor 39.000 Jahren vernichtete alles Leben im Umkreis von 80 Kilometern, er hatte die Stufe 7, das ist 70- bis 80-mal stärker als der von Pompeji. Drei weitere Mega-Eruptionen der Phlegräischen Felder vor 109.000 Jahren, 29.000 Jahren und 15.000 Jahren waren ähnlich apokalyptisch. Die nächste Supereruption wäre vom Rhythmus her gesehen überfällig. Mastrolorenzo zufolge sind die jetzigen Evakuierungspläne für einen Vulkanausbruch, die von einer Alarmzeit von 72 Stunden ausgehen, „eine sehr optimistische Hypothese, fast so, als hätten wir einen Vertrag mit dem Vulkan unterzeichnet.“