Bayerns vermutlich ältester Lehrling

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Lernbegierig in der ersten Reihe sitzt der 63-jährige Azubi Klaus Ziegler und lauscht dem Unterricht des Kfz-Technik-Lehrers Bert Engelhard in der Erdinger Berufsschule. © Raffael Scherer

Mit 63 Jahren will der Erdinger Klaus Ziegler Kfz-Mechatroniker werden.

Erding - Klaus Ziegler ist der einzige Schüler in der Klasse von Bert Engelhard, der Kaugummi kauen darf. Der Lehrer für Kfz-Technik sagt dazu: „Ich behandle Leute altersadäquat. Und Klaus traue ich zu, dass der Kaugummi auch im Mund bleibt.“ Denn mit seinen 63 Jahren ist der Erdinger der vermutlich älteste Auszubildende in Bayern.

Gelernt hatte Ziegler ursprünglich Organisationsprogrammierer bei der Bundeswehr. Daraufhin war er in verschiedenen IT-Unternehmen freiberuflich tätig und trägt bis heute die Heimatzeitung aus. Als dann die Corona-Pandemie kam, befürchtete der Erdinger, dass sein Vertrag bei einem seiner Kunden nicht mehr verlängert würde. Und so kam es auch. Also sah er sich um. „Und irgendwann hab ich zu meinem Schatz gesagt: Eigentlich habe ich keine Lust mehr. Ich möchte jetzt was machen, was mir Spaß macht.“ Und das ist die Freude daran, an Autos herumzuschrauben.

Als einziger im Anzug erschienen

Also machte er sich auf die Suche nach einer Ausbildungsstelle als Kfz-Mechatroniker – und wurde 2023 bei Auto Hausmann in Erding fündig. „Da habe ich gleich gemerkt, dass die Chemie passt.“ Bis heute mache ihm die Arbeit Spaß. Trotz seines Alters wechsle er regelmäßig alleine Reifen. „Ich kann das zum Glück körperlich noch. Ich mag nicht einfach nur herumstehen, sondern mache immer was.“ Doch seit seiner Schulzeit hat sich vieles im Bildungsbereich geändert. Das musste er gleich am ersten Tag in der Staatlichen Berufsschule Erding feststellen, als er als einziger im Anzug gekleidet umgeben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen stand.

Auch für Lehrer Engelhard war ein Schüler, der über zehn Jahre älter ist als er, etwas Neues. Deshalb habe er zuvor mit Ziegler das Gespräch gesucht und vorab geklärt: „Ich darf Klaus sagen, und er siezt mich im Gegenzug.“ Nur so konnte man den Schülern auch gleiche Bedingungen für alle demonstrieren. Mit den 16- bis 21-jährigen Mitschülern hatte Ziegler kein Problem: „Egal, ob in der Schule oder bei der Bundeswehr: Ich war schon immer der Älteste“, sagt er und lacht. Die Pausen verbringe er meist mit drei Mitschülern um die 20, zu denen habe er einen ganz guten Draht: „Die machen zwar immer Blödsinn und schwätzen im Unterricht, aber sie sind nicht dumm, sondern recht gut und haben auch gute Noten.“

Zeitzeuge deutscher Nachkriegsgeschichte

Ziegler finde es „wahnsinnig interessant“ zu beobachten, wie sich Lehrer wie Schüler über die Zeit entwickeln und reifen. Im 21. Jahrhundert gehen auch die Lehrer mehr, individueller und positiver auf die Schüler ein: „Bei uns gab es das damals nicht, dass Jugendliche etwas gegen den Lehrer gesagt haben. Ich bin da noch geschlagen worden“, erinnert er sich.

So manchen gleichgültig die Zeit absitzenden Mitschüler habe der Azubi da schon einmal zur Seite genommen: „Ihr macht das hier für eure Zukunft. “ Er sei da eher ein Sonderfall: „Ich mache das, um was zu lernen und für mich selber. Ich will wissen, was die Hintergründe der Dinge sind und ob es überhaupt richtig ist, was ich da mache.“

Und gegenseitig voneinander lernen können Jung und Alt auf jeden Fall, ist man sich sicher. Vor allem bei allen Themen rund um Elektrik habe der 63-Jährige noch seine Schwierigkeiten: Schließlich sind seine Fahrzeuge, an denen er hobbymäßig schraubt, vorwiegend Oldtimer. Bei den alten Gefährten war das Wissen über Strommessungen und die Zusammenhänge der Kabelstränge bisher eher nebensächlich.

Er kenne sich dafür historisch und politisch besser aus und kann als Zeitzeuge etwa von der RAF erzählen und damit den Unterricht bereichern. „Auch Herr Engelhard hat sich verändert und ist mittlerweile gelassener geworden“, sagt der Schüler verschmitzt.

Der Lehrer war zunächst skeptisch. So waren Zieglers Noten am Anfang nicht die besten. Sich das Lernen wieder anzutrainieren, das war Ziegler nicht leicht gefallen, gibt er zu. „Man lernt in meinem Alter anders“, so seine Beobachtung. Oft meine er, etwas aufgeschrieben zu haben, aber beim zweiten Blick sehe er dann, dass etwas fehlt oder mit den falschen Worten ausgedrückt wurde.

Der Traum von der Wohnmobil-Tour

Zu Engelhards Leid nimmt Ziegler zudem kein Blatt vor den Mund und widerspricht den Lehrern auch gern: „Er ist schon der, der mit dem Kaugummi in der Klasse sitzt.“ Doch als irgendein Mitschüler seinen Kaugummi auf dem Filzboden entsorgt hatte und dann der 63-Jährige der einzige war, der sich von sich aus auf die Knie begab, um den Müll zu entfernen, war klar: Im Unterricht von Lehrer Engelhard herrscht Kaugummiverbot – außer für Azubi Ziegler.

Seine dreieinhalb Jahre Ausbildung wird der Erdinger voraussichtlich im Frühjahr 2027 abschließen. „Ob ich dann übernommen werde, weiß ich nicht, aber da mache ich mir jetzt keine Gedanken.“ Denn sein langfristiger Plan steht ohnehin schon fest: Seine derzeit 24 Autos auf Vordermann bringen und schließlich verkaufen. „Und davon kaufe ich mir dann ein Wohnmobil, mit dem ich durch die Weltgeschichte fahre.“

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