„Es ist zum Verzweifeln“: Obdachlose irrt weiter hilflos durch die Loisachstadt

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Das Amtsgericht Wolfratshausen erließ einen Unterbringungsbeschluss für eine Obdachlose: Doch eine Fachklinik sieht keinen Grund für eine geschlossene Unterbringung der 47-Jährigen. © Archiv

Eine Obdachlose (47) irrt weiterhin hilflos durch Wolfratshausen. Zwar erließ das Amtsgericht einen Unterbringungsbeschluss - doch eine Fachklinik sieht die Voraussetzungen für diesen richterlichen Beschluss als nicht gegeben an.

Wolfratshausen – Das Schicksal einer 47-jährigen Obdachlosen, die seit Wochen in der Wolfratshauser Altstadt kauert und selbst bei zweistelligen Minusgraden im Freien übernachtet, berührt viele Menschen. Petra Müller (Name geändert) sollte laut ärztlichem Attest dringend in einer psychiatrischen Einrichtung betreut werden. Doch die Fachklinik Agatharied sieht keinen Unterbringungsgrund (wir berichteten). Der tragische Fall wirft viele Fragen auf. Eine davon: Warum kann die Klinik die Unterbringung ablehnen – obwohl von Seiten des Amtsgerichts Wolfratshausen am 2. Februar ein Unterbringungsbeschluss ergangen ist?

Die Antwort liefert Rosemarie Mamisch, Richterin und Pressesprecherin des Amtsgerichts. Sie schickt voraus: „Betreuungs- und Unterbringungssachen sind nicht öffentliche Verfahren“, weshalb sie sich zu konkreten Fällen nicht äußern könne. Doch ganz allgemein gelte, dass es für einen richterlichen Unterbringungsbeschluss eine Selbst- und/oder Fremdgefährdung infolge einer psychischen Erkrankung brauche. Ob eine solche vorliegt, beurteile ein Arzt im Rahmen eines Zeugnisses oder Gutachtens. Mamisch: „Sofern es sich um ein einstweiliges Verfahren aufgrund einer Akutsituation handelt, ist die Unterbringung für längstens sechs Wochen möglich.“

Die Kliniken prüfen mit ihrem ärztlichen Sachverstand während der Unterbringung stets erneut, ob die Voraussetzungen für den Unterbringungsbeschluss weiterhin vorliegen.

Der Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts ermächtige die Klinik, die betreffende Person in einer geschlossenen Einrichtung unterbringen zu dürfen. „Die Kliniken prüfen jedoch mit ihrem ärztlichen Sachverstand während der Unterbringung stets erneut, ob die Voraussetzungen hierfür weiterhin vorliegen. Sie beurteilen also jeden Tag, ob weiterhin eine Selbst- und/oder Fremdgefährdung aufgrund einer psychischen Erkrankung vorliegt.“ Sofern dies nicht der Fall ist, „müssen sie die betroffene Person entlassen, um eine Freiheitsberaubung zu vermeiden“. In der Regel wird deshalb laut Mamisch der im Beschluss maximal festgelegte Zeitraum nicht ausgeschöpft. „Dies sind die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung. Unabhängig von den strengen Voraussetzungen ist stets eine Unterbringung in einer offenen Einrichtung denkbar.“

Fachklinik: Keine Selbst- und/oder Fremdgefährdung zu erkennen

Eine Selbst- und/oder eine Fremdgefährdung diagnostizierten die Experten im Krankenhaus Agatharied, das zur gemeinnützigen kbo-Lech-Mangfall-Kliniken GmbH gehört, bei Patientin Müller nicht. Ergo gebe es keinen Unterbringungsgrund, das erfuhren die Polizeiinspektion Wolfratshausen, Ines Lobenstein von der örtlichen Caritas-Obdachlosenhilfe sowie der Vater von Petra Müller am 6. Februar. Mit Hinweis auf die Schweigepflicht will sich die Klinik Agatharied gegenüber unserer Zeitung nicht äußern.

In großer Sorge bitte ich Sie, Ihr Urteil noch einmal zu überprüfen. 

Müllers Vater kann die Entscheidung, seine Tochter nach fünf Tagen wieder in die Obdachlosigkeit zu entlassen, nicht nachvollziehen. Der 84-Jährige weist im Gespräch mit unserer Zeitung auf das am 1. Februar von einem Psychiater im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen erstellte fachärztliche Attest hin. Müller „befindet sich im Zustand der Obdachlosigkeit, verbringt den Tag teils umherirrend, teils laut deklamierend“, sie sei „stark unterernährt“ und nicht in der Lage Hilfe anzunehmen. Das Verhalten der 47-Jährigen weise auf „hochgradige psychotische Störungen“ hin. Der Psychiater kommt zu dem Schluss: Die „akute Gefährdungssituation“ könne nur entschärft werden, wenn die Frau „sehr zeitnah“ in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung betreut werde. In seinem Attest betont der Arzt: Dass sich die 47-Jährige, die kaum isst und auch bei Minusgraden im Freien schläft, in einer „lebensbedrohenden“ Lage befinde, vermöge sie selbst „krankheitsbedingt nicht zu erkennen“.

Leiterin der Caritas-Obdachlosenhilfe: „Es ist zum Verzweifeln“

Diese Aussage unterstreicht Müllers Vater, der sich mit einer E-Mail fast flehentlich an die Fachklinik Agatharied gewandt hat. Seine Tochter sei von Wahnvorstellungen beherrscht. „In großer Sorge“, so der 84-Jährige, „bitte ich Sie, Ihr Urteil noch einmal zu überprüfen.“ Trotz der attestierten chronisch paranoiden Schizophrenie halte sich seine Tochter für gesund. „Die drohenden Folgen ihres angeblich freien Willens kann sie nicht realistisch einschätzen.“

Der Status quo ist unverändert, berichtet Caritas-Mitarbeiterin Lobenstein. Am Freitag lief Petra Müller auf Strümpfen ziellos durch die Loisachstadt. Die angebotene Hilfe, darunter ein Schlafplatz für die nächsten Nächte, lehnte sie ab. Lobenstein: „Es ist zum Verzweifeln.“ (cce)

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