„20 Kilometer lange Hölle“ – Putins neue Minenleger versetzen Ukraine in Schrecken
Ein seltener Minenleger wurde in Russland gesichtet und rückt wohl näher an die Ukraine-Front. Es kann in kurzer Zeit riesige Flächen mit Minen bestücken.
Twer – „Das ist eine 20 Kilometer lange Hölle“, sagte Mark Kimmitt dem Business Insider zu Beginn der Gegenoffensive im Ukraine-Krieg vor genau einem Jahr. Der ehemalige US-Brigadegeneral meinte damit die Verteidigungslinien der russischen Invasoren. Er hege keine Zweifel, dass das Überwinden der mit Minen bewehrten Verteidigungsstellungen „wahrscheinlich die härtesten Kämpfe außerhalb der Städte sind“, wie er ausführte.
Die Ukraine sei demnach bemüht, in den Minenfeldern Schwachstellen zu finden und diese zu nutzen. Möglicherweise spürt Russland jetzt auch in Charkiw die Notwendigkeit, sich einzubunkern und auf Verteidigung umzuschalten.
In Russland seltenes Kampffahrzeug gesichtet - es rückt näher an Ukraine-Front
Dazu passt, dass in der russischen Region Twer nordwestlich von Moskau jetzt ein seltenes Kampffahrzeug gesichtet wurde, wie das Magazin Defense Express berichtet – ein UMZ-G: ein kettengetriebenes Minenverlegesystem auf einem T-72-Fahrgestell, das technisch wohl noch die Entwicklungsphase durchlaufe, aber immerhin näher an die Front heranzurücken scheint. „Das russische Ziel war, zumindest auf Artillerie-Reichweite auf Charkiw vorzustoßen, – also nicht die Stadt selber einzunehmen, dazu wären sie logistisch nicht in der Lage, sondern so weit vorzurücken, um die Stadt glaubwürdig bedrohen oder glaubwürdig beschießen zu können“, sagt Marcus Keupp im ZDF. „Allerdings ist der Vormarsch ziemlich stark und ziemlich schnell zum Erliegen gekommen. Sie sind ab der ukrainischen Grenze ungefähr drei oder vier Kilometer vorgedrungen und wurden dann gestoppt“, erläutert Keupp die Situation der Russen.
Minenfelder in der Ukraine für Putin das Mittel der Wahl?
Der Militärökonom der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich spricht im ZDF von den Auseinandersetzungen im Dreieck der Siedlungsräume Charkiw, Lyptsi und Wowtschansk. Sollten die Truppen von Wladimir Putin versuchen, die Ukraine daran zu hindern, sie aus ihrer angestrebten Pufferzone zu drängen, wären Minenfelder das Mittel der Wahl.
2019 hatte Russland auf dem internationalen militärisch-technischen Forum „Army 2019“ eine neue Generation von Minenlegern vorgestellt – zwei davon fahren auf Rädern, das schwerste, das UMZ-G, rollt auf dem Chassis des T-72- beziehungsweise auch des T-90-Panzers und funktioniert als ferngesteuertes Minenlege-System. Das Panzerfahrzeug wiegt mehr als 40 Tonnen und trägt neun Werfer mit jeweils neun Rohren für 270 Minenkassetten. Die Mobilität des Fahrzeugs soll dem der Kampfpanzer gleichkommen, schreibt das Magazin Top War.
Putins neue Waffe: Explosiver Regen gegen Panzer, Soldaten oder gegen beides zusammen
Das Grundmodell, das auf Basis der bestehenden Panzerchassis entwickelt wurde, bezeichnet Top War als multifunktional. Die Frontpanzerung musste weichen, gesteuert wird das System von zwei Soldaten, dem Fahrer und Bediener. Gegen das Feuer schwerer Maschinengewehre soll die Panzerung allerdings bestehen können.
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Ein solches Kettenpanzerfahrzeug würde nicht nur als Raketenwerfer eingesetzt werden. Es könnte ein geschütztes Fahrzeug für Personal, Kommandeure oder Verwundete mitsamt der notwendigen Ausrüstung gebaut werden – von Kommunikationsmitteln bis zu verschiedenen Waffen. „Die relativ hohen Leistungseigenschaften solcher verschiedenen Modelle würden durch die Vorteile einer einheitlichen Plattform ergänzt“, schreibt Top War.
Allerdings hat das russische Magazin davon gesprochen, lediglich Prototypen auf der Messe gesehen zu haben. Ein Termin für die Indienststellung blieb unerwähnt. Das Fahrzeug sei konzipiert für das ferngesteuerte Legen von Panzerabwehr-, Antipersonen- und gemischten Minenfeldern aus einer Minenkassette mit anschließender Aufzeichnung der Minenfeldkoordinaten sowie der Möglichkeit, die Zeit der Minenselbstzerstörung durch die Minensteuerung einzustellen, schreibt Armyrecognition.
Das UMZ-G könne nach Informationen des Magazins autonom operieren oder im Rahmen eines Kampfverbands. Das Anlegen eines Minenfeldes erfolge auf Kommando aus dem Stab heraus und werde digitalisiert zurückgemeldet, wie Armyrecognition schreibt: „Nach Abschluss der Minenmission wird eine Minenfeldkarte erstellt und automatisch elektronisch über das einheitliche taktische Managementsystem an einen Kommandoposten übermittelt.“
Todesfalle Ukraine: Die Angst marschiert mit über mehrere Fußballfelder hinweg
Laut Armyrecognition beträgt die maximale Länge des Minenfelds, das mit einer Grundminenladung vom UMG-Z gelegt wird, mit Antipersonen-Sprengminen – 3.200 Meter; Antipersonen-Splitterminen – 5.000 Meter; Panzerabwehrminen – 600 Meter. Die einzelne Mine könne mit einer maximalen Reichweite von 40 Meter und einer Geschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde ausgelegt werden. Die damit erzeugten Minenfelder seien bis zu 240 Meter tief.
Russlands Armee könnte mit neuem Gerät in kurzer Zeit mehrere Fußballfelder verminen
„Das sind im Grunde Mehrfachraketenwerfer, die also statt Sprengstoff im Sprengkopf eine Ansammlung von Minen haben. Also eine Art Cluster-Munition, die sich dann in der Luft öffnet und dann eben zu Boden fällt. Ja, und so sollen die Russen innerhalb von sehr kurzer Zeit große Flächen – die Rede ist von mehreren Fußballfeldern – verminen können, und das auch natürlich aus sicherer Entfernung“, schreibt Jörg Römer für den Spiegel über die Funktionsweise des gepanzerten Minenlegers.
Ihm zufolge habe die massenhafte Verminung durch die russischen Kräfte und das eigene nur langsame Vorankommen unter ständiger Todesgefahr auch einen psychologischen Effekt auf die ukrainischen Verteidiger: Die Soldaten fürchteten, durch die heimtückischen Minen schwer verletzt oder getötet zu werden, so Römer.
Forbes-Autor David Ax hat die sowjetische Doktrin des Anlegens eines Minenfeldes dahingehend erklärt, dass Pioniere versuchen, Verteidigungsminenfelder kurz vor einem erwarteten feindlichen Angriff zu legen. Die Minenfelder seien eher schmal und lang wie eine Straße im Gegensatz zur Form eines Zauns, also breit und schmal. Die einzelnen Felder würden dann nebeneinander gelegt.
Das jetzt aufgetauchte Fahrzeug könnte eine neue Notwendigkeit von Minenfeldern im Kampfgeschehen bedeuten – zwischen der Vorstellung des Prototypen bis zum jetzigen Stand des Ukraine-Krieges waren kaum Informationen über das System publik geworden. Defense Express deutet die Tatsache, dass die russischen Streitkräfte eines oder mehrere UMZ-G-Systeme innerhalb Russlands verlegt haben, als Hinweis darauf, „dass die Arbeiten an diesem Minenleger angesichts der steigenden Nachfrage nach dieser Art von Ausrüstung an der ukrainischen Front wieder aufgenommen wurden“, wie das Magazin schreibt.
Wunschtraum Minenwerfer: Soldaten der Ukraine könnten Russlands Blutzoll verdoppeln
Auch die Ukraine scheint auf diese Systeme setzen zu wollen, wie Defense Express aktuell berichtet: Ukrainische Soldaten versprächen sich davon, „dass der Einsatz dieser Systeme die Effektivität ukrainischer Verteidigungsoperationen erheblich steigern könne“. Die Russen hätten durch die Art ihrer Angriffe gegen von der Ukraine gelegte Minenfelder wahrscheinlich einen doppelt so hohen Blutzoll zu zahlen. Ukrainischen Quellen zufolge hätten sich ferngesteuerte Minenleger gegen die russischen Invasoren als effektiv erwiesen, vor allem während der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023. Offenbar droht in jetzt in Charkiw ein ähnliches Erstarren der Front und ein Verschanzen der russischen Aggressoren hinter tief gestaffelten Minenfeldern.
Zivilbevölkerung leidet unter Minenwerfern im Ukraine-Krieg – „Gebiete, in die niemand gehen will“
Allerdings leidet auch die Zivilbevölkerung unter dem explosiven Regen aus den Minenwerfern: „Einige Gebiete rund um Charkiw und Dnipro im Osten sowie Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine sind durch Bombardierungen und Verseuchung mit Minen und Blindgängern vom Rest des Landes abgeschnitten“, sagt Eva Maria Fischer laut der Evangelischen Zeitung.
Der Leiterin der politischen Abteilung der Hilfsorganisation Handicap International (HI) Deutschland zufolge lauerten nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine in manchen Gebieten so viele Blindgänger und Minen, dass der Bewegungsradius der Menschen stark beschnitten sei. Besonders Ältere und eingeschränkte Menschen seien in ihrem Zuhause geblieben und könnten jetzt nicht mehr weg – und Helfern droht ebenfalls Lebensgefahr, wie Fischer ergänzt: „Das sind Gebiete, in die niemand gehen will, weil sie zu schwer zu erreichen sind.“