Ukraine darf auf ungeahnte Milliarden-Hilfe aus russischer Hand hoffen
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zeigte sich am Donnerstag ernüchtert über mögliche Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland. Es werde "offensichtlich nicht zu einem Treffen zwischen Präsident Selenskyj und Präsident Putin kommen".
Nach dem vorläufigen Scheitern der von US-Präsident Donald Trump gestarteten Initiative könnte sich der Fokus von Verhandlungen jetzt wieder hin zu mehr Druck auf Russland verschieben. Er steigt möglicherweise, wenn die Europäische Union die eingefrorenen russischen Vermögenswerte stärker als bislang für die Ukraine nutzbar machen würde.
Genau das soll bei einem Außenministertreffen am Samstag in Kopenhagen diskutiert werden, berichtet "Politico". Demnach soll Präsident Wolodymyr Selenskyj künftig noch mehr Geld für den Wiederaufbau des Landes erhalten.
EU kann Zinsen aus 200 Milliarden Euro russischem Vermögen nutzen
Die EU hat fast 200 Milliarden Euro russische Vermögenswerte eingefroren. Der Großteil davon liegt bei dem belgischen Unternehmen Euroclear, das sich auf die Verwaltung von Wertpapieren spezialisiert hat.
Die Gesellschaft ist verpflichtet, das Geld risikoarm bei der belgischen Zentralbank anzulegen – das bedeutet aber eine geringe Rendite. Genau diese Zinseinnahmen sind es aber, die die EU an die Ukraine überweist. Das ist ein Kompromiss, denn eine Beschlagnahmung der Vermögenswerte hat bislang keine Mehrheit gefunden.
Viele Experten sind zu besorgt, dass das Vertrauen in die globale Währungsordnung erschüttert werden könnte, wenn von einer Beschlagnahmung das Signal ausginge, dass ausländische Devisen allgemein plötzlich nicht mehr sicher sind.
Ukraine hat hohen Finanzbedarf für Wiederaufbau
Durch die Auszahlung der Zinsen hat die Ukraine im ersten Halbjahr 2025 etwas mehr als 10 Milliarden Euro erhalten. Würden die russischen Vermögenswerte risikoreicher und damit mit Aussicht auf höhere Renditen angelegt werden, könnte die Summe künftig erheblich steigen.
Das wäre dringend notwendig: Die Ukraine erwartet für 2026 ein Haushaltsdefizit von 8 Milliarden Euro. Der Wiederaufbau wird künftig zudem gigantische Summen verschlingen: Schätzungen zufolge sind rund 850 Milliarden Euro nötig. Die EU hat zwar weitere Zahlungen zugesagt, ist aber eingeschränkt, weil sie keine gemeinsamen Schulden aufnehmen darf.
Viktor Orbáns Veto-Macht könnte beendet werden
Die Gründung einer Zweckgesellschaft, um die Vermögenswerte besser anlegen zu können, hätte zudem einen Nebeneffekt, der den meisten EU-Staaten gelegen kommt.
Bislang kann nämlich ein einzelner Mitgliedsstaat die Finanzsanktionen kippen, so dass Russland sein Geld zurückerhalten würde. Vor allem die russlandfreundliche ungarische Regierung um Viktor Orbán könnte das als Druckmittel ausnutzen. Sie befindet sich unter anderem wegen ukrainischer Pipeline-Angriffe im Streit mit Selenskyj.
Die Übertragung der Vermögenswerte in einen neuen Fonds könnte die ungarische Veto-Macht beenden, schreibt "Politico". Die Verwaltung dieses Topfes könnte so geregelt werden, dass keine einstimmigen Entscheidungen notwendig sind und zum Beispiel eine absolute Mehrheit ausreicht. Damit könnte Orbán alleine keine Entscheidungen mehr blockieren.
Bleiben Europas Steuerzahler auf Verlusten sitzen?
Aber nicht nur Ungarn betrachtet derlei Pläne argwöhnisch. Euroclear-Chefin Valérie Urbain befürchtet laut "Politico", dass eine risikoreichere Investition der russischen Vermögenswerte in Verlusten münden könnten. Dann würde nicht nur der Ukraine Geld fehlen – die europäischen Steuerzahler müssten sie im schlimmsten Fall sogar ausgleichen.
Es ist also ein schmaler Grat zwischen zwei Szenarien: Einerseits, Russland mit seinem eigenen Geld zu schlagen. Andererseits der Schaden, der der EU entstehen könnte, weil sie plötzlich für Verluste beim russischen Vermögen aufkommen muss.