Schwarz-Rot plant Migrationswende - in Wahrheit droht das Vorhaben zu verpuffen

Vom ersten Tag an werde er Zurückweisungen an allen deutschen Grenzen anordnen, hatte Friedrich Merz im Wahlkampf versprochen. Im Koalitionsvertrag heißt es dann schon sehr viel moderater: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ 

Damit ist ein weiter Interpretationsspielraum gegeben. Schließlich ist keineswegs die Rede davon, dass alle illegalen Grenzübertritte zurückgewiesen werden sollen. Die Zahl bleibt unbestimmt. Vor allem aber soll es aus Sicht der SPD nur dann Zurückweisungen geben, wenn die Nachbarn zustimmen. 

Österreich hat bereits unmissverständlich klargemacht, dass es keine Flüchtlinge zurücknehmen wird. Aus Sicht der Union wäre es dagegen schon ausreichend, die Nachbarn zu informieren. Diese Kompromissformel trägt den Streit schon in sich. 

Doch selbst wenn es die „konsequente Zurückweisung aller Versuche illegaler Einreise“ und das „faktische Einreiseverbot für Personen ohne gültige Dokumente“ aus dem 5-Punkte-Plan der CDU in den Koalitionsvertrag geschafft hätten, ist die Frage, ob sich diese markigen Ankündigungen überhaupt hätten umsetzen lassen.

Europäische Dublin-Regeln überlagern deutsches Recht

Denn auch einem deutschen Bundeskanzler bindet das europäische Recht in vielen Fällen die Hände. Ethisch und völkerrechtlich wäre es bedenkenlos möglich, Migranten in unsere Nachbarstaaten zurückzuschicken, da ihnen dort keine Verfolgung droht. Das Refoulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention wäre dadurch nicht verletzt.

Allerdings überlagern die europäischen Dublin-Regeln deutsches Recht und diese verbieten eine Zurückweisung an der Grenze. Zwar ist der Ersteinreise-Staat für das Asylverfahren zuständig, wenn aber jemand an der deutschen Grenze um Asyl bittet, muss dieser Person die Einreise gestattet werden, um dann zu prüfen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist. 

Am Ende geht die Zuständigkeit meistens auf Deutschland über

Anschließend kann das BAMF einen Überstellungsbescheid beantragen, gegen den der Migrant klagen kann. Da viele Länder Dublin-Überstellungen verschleppen oder – wie Italien – gar nicht mehr annehmen, geht die Zuständigkeit am Ende meistens auf Deutschland über.

Nur wenn die öffentliche Ordnung in Gefahr ist, erlaubt eine Ausnahmeklausel die Zurückweisung an der Grenze. Darauf könnte sich Friedrich Merz berufen. Ob ihm der Europäische Gerichtshof damit Recht geben würde, ist offen. Auf Dauer würden die Gerichte jedoch keine Zurückweisungen akzeptieren, ist sich der Konstanzer Migrationsrechtsexperte Daniel Thym bei Focus online: „Entscheidend ist, was man dann macht. Ohne internationale Kooperation wird es nicht gehen.“ 

Dabei könne jedoch eine ganz andere Politik herauskommen, als die SPD wolle, da viele andere Länder eine restriktivere Migrationspolitik wollten. „Dazu könnten die Zurückweisungen eine Brücke sein. Auch wenn sie nur eine temporäre Lösung sind, könnten sie helfen, über den Status quo hinauszukommen.“

Das sehen manche in der Union anders. Im Deutschlandradio Interview der Woche argumentiert die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) durchaus logisch, dass Deutschland ohne weiteres an den Grenzen zurückweisen könne, da die Migranten dort gar nicht sein dürften, wenn andere Länder ihre Pflichten erfüllen würden.

„Politisch kann ich dieses Argument durchaus verstehen“, sagt Daniel Thym, „rechtlich jedoch nicht, denn da gilt nicht das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Neue Regierung braucht Verhandlungsgeschick bei möglichen neuen Migrationsabkommen

Sollten vorübergehende Zurückweisungen tatsächlich einen dauerhaften Effekt haben, dann nur im Zuge eines Dominoeffektes, der letztlich zu einem konsequenteren Außengrenzschutz führt.

Andere Punkte des Koalitionsvertrages sind leichter umzusetzen. Die freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme kann die Regierung jederzeit beenden. Allerdings kamen auf diesem Wege auch bislang nur einige tausend Menschen pro Jahr nach Deutschland.

Über den Gastautor Heiko Rehmann

Heiko Rehmann studierte Philosophie, Germanistik, Vergleichende Religionswissenschaft und Demografie in Tübingen, Berlin und Edinburgh. Heute arbeitet er als freier Journalist und Gymnasiallehrer in Stuttgart, hält Vorträge und macht Podcasts. Er untersucht den Einfluss von ideengeschichtlichen und demografischen Entwicklungen auf unsere heutige Gesellschaft, insbesondere die Themen Freiheit und Verantwortung, Individuum und Gesellschaft, Demografie und Migration.

Auch den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte kann die Bundesregierung aussetzen. Allerdings war dieser auch bisher schon auf 1000 Personen pro Monat gedeckelt.

Einen größeren Effekt könnten weitere Migrationsabkommen haben. Viel wird dabei vom Verhandlungsgeschick der neuen Regierung abhängen. Da sowohl das Innen- wie auch das Außenministerium in den Händen der Union sein werden, sind die Voraussetzungen günstig.

Migranten in sicheren Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union unterbringen?

Noch mehr Wirkung könnte es haben, das Verbindungselement im Konzept der sicheren Drittstaaten zu streichen, das auf Druck der Grünen eingeführt worden war. Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet jeden Unterzeichnerstaat, jedem Verfolgten dieser Erde Schutz zu bieten. Allerdings schreibt sie nicht vor, wo dieser zu gewähren ist. 

Es wäre also durchaus möglich, Migranten in sicheren Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union unterzubringen. Das Verbindungselement verlangt allerdings, dass der Migrant in dem Drittstaat bereits gelebt hat, eine kaum nachzuweisende und zu erfüllende Bedingung.

Aber auch ohne diese Klausel waren Drittstaatenmodelle bisher wenig erfolgreich, weil das Recht hier enge Grenzen setzt. So musste Großbritannien das Ruanda-Modell stoppen, weil ein Gericht zu der Auffassung kam, dass die Sicherheit der Migranten dort nicht garantiert sei. Es wird daher viel davon abhängen, wie entschlossen die neue Bundesregierung das Konzept der sicheren Drittstaaten vorantreibt.

Migrationswende droht Wende um 360 Grad zu werden

Ob es ihr schließlich gelingen wird „umfassende gesetzliche Regelungen zu erarbeiten, um die Zahl der Rückführungen zu steigern“, ist fraglich, da die SPD sicher noch den ein oder anderen Einwand finden wird. Sollte sich die Union mit der Idee durchsetzen können, den Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung abzuschaffen, Bundesausreisezentren einzurichten und Flugunternehmen zur Beförderung bei Rückführungen zu verpflichten, könnten die bislang lächerlich niedrigen Abschiebezahlen zumindest moderat steigen. 

Allzu viele Personen dürften davon jedoch nicht betroffen sein, da abgelehnte aber geduldete Asylbewerber zukünftig schon nach vier Jahren einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten sollen, wenn sie sozialversicherungspflichtig arbeiten.

Ob die Migrationswende zu einer Wende um 180 Grad oder zu einer um 360 Grad wird, dürfte weniger von den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages abhängen, als vielmehr von deren Interpretation und Ausgestaltung durch die handelnden Akteure.

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