Nuklear-Experte spricht über Atomwaffen in Deutschland: „Nicht pauschal ausschließen“
Braucht Deutschland Atomwaffen? Nuklearexperte Fabian Hoffmann möchte das nicht ausschließen, sieht aber aktuell einen anderen Schwerpunkt.
München - Europa rüstet auf, Deutschland rüstet auf: In der EU sollen in den kommen vier Jahren 800 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgegeben werden, mit einer Grundgesetzänderung hat Deutschland am Samstag den Weg frei gemacht für neue Schulden, die in Aufrüstung, Verteidigung und Cybersicherheit investiert werden. Seit die USA unter Präsident Donald Trump Signale aussenden, ihr Schutz für Europas Sicherheit könnte schwinden, blicken die Europäer anders auf eine mögliche weitere Bedrohung durch Russland.
Wie weit wird die Aufrüstung gehen, zu welchem Preis für andere Gesellschaftsbereiche - und wie sieht es mit Atomwaffen aus? Werden auch sie Teil der Aufrüstungsstrategie? Im Rahmen des Formats „Possoch klärt“ auf BR24 sagt der Osloer Nuklearexperte Fabian Hoffmann: „Das kommt ganz auf das Sicherheitsumfeld an, in dem sich Deutschland und Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten befinden. Aber ich würde sagen, dass wir mittlerweile in der Situation sind, wo man es nicht mehr pauschal ausschließen kann und sollte.“
Wäre ein Atomwaffenprogramm für Deutschland realistisch?
Ein schnelles Atomwaffenprogramm für Deutschland sei derzeit unrealistisch, meint Hoffmann: „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in Deutschland die relevante zivile nukleare Infrastruktur abgebaut haben. Das Spaltmaterial, das man für nukleare Sprengköpfe braucht, gewinnt man normalerweise über zivile nukleare Infrastruktur. Wenn wir die politische Entscheidung treffen sollten, müssten wir diese Infrastruktur wieder aufbauen. Das würde mehrere Jahre dauern.“
Über den Experten
Fabian Hoffmann forscht im Rahmen seines Doktorats am Oslo Nuclear Project der Universität Oslo zu Nuklearstrategien und internationaler Sicherheit.
Experte: Wie kann Deutschland den Nuklearwaffenstaat Russland ohne USA abschrecken?
Noch im Oktober 2024 hatte Hoffmann in einem Gastkommentar für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, die russischen Atomdrohungen seien nicht ernst zu nehmen, weil „glaubwürdige Drohungen im nuklearen Bereich“ generell selten seien. Denn auch für das ausführende Land seien die Folgen eines Atomschlags dramatisch.
Zudem habe Wladimir Putin bisher keine realen Schritte für den Einsatz von Nuklearwaffen unternommen. Die deutsche Politik solle auch nicht annehmen, dass Russland irgendwann irrationale Schritte unternehmen würde: „Denn dann würde automatisch der Nuklearkrieg drohen. Deutschland und seine Partner wären quasi gezwungen, Putin nachzugeben. Die deutsche Politik darf sich von seinen nuklearen Drohungen nicht einschüchtern lassen.“
Nach den aus europäischer Sicht teils irrational wirkenden diplomatischen Manövern aus den USA und der Drohung, Europa den Atomwaffenschutzschirm wegzunehmen, ändert sich die Meinung des Nuklear-Experten nun aber offenbar, denn er warnt vor einer Unausgeglichenheit in der Abschreckungslogik.
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Deutsch-französisches Atomwaffenprogramm als Abschreckung gegen Russland?
„Russland hat ein enormes Arsenal an nicht-strategischen Nuklearwaffen. Wenn die Amerikaner weg sind aus Europa, wird es auf dieser taktischen nuklearen Ebene sehr schwierig für die Europäer, alleine klarzukommen. Eine Abschreckungslücke entsteht, und diese Lücke müssen wir füllen“, so Hoffmann.
Das französische Atomwaffenprogramm könne zwar Schutz für Deutschland und etwa Belgien bieten, aber die Abschreckungslogik nicht auf osteuropäische Länder erweitern. Für eine gemeinsame Ausweitung hat der französische Präsident Emanuel Macron dem wohl künftigen deutschen Kanzler Friedrich Merz (CDU) bereits ein Angebot gemacht.
Für Hoffmann steht ein anderer Ansatz aktuell im Vordergrund: „Wir könnten zum Beispiel Russland androhen, sollte es in einem Konflikt zum nicht-strategischen Nuklearwaffeneinsatz greifen, dass wir konventionell reagieren würden – indem wir Hunderte oder Tausende Langstreckenwaffen auf kritische militärische, eventuell auch zivile Infrastruktur schießen. Wir können Nuklearwaffen auch auf konventioneller Ebene abschrecken.“
Wie viele Atomwaffen gibt es bereits in Deutschland?
Noch sind bis zu 20 Atombomben aus den USA in Deutschland stationiert, im Fliegerhörst Büchel in der Eifel. Deutsche Pilotinnen und Piloten werden darauf trainiert, im Ernstfall im Rahmen eines NATO-Einsatzes diese Atombomben über dem Zielort abzuwerfen. Darauf weist die Initiative für atomare Abrüstung, ICAN, hin. Deutschland ist im Rahmen der erweiterten nuklearen Teilhabe der NATO engagiert. Den Befehl für einen Atombombeneinsatz gibt allein der US-amerikanische Präsident. Organisationen wie Greenpeace fordern eine offen geführte Diskussion über Risiken der Standorte in Europa, zumal die USA Modernisierungen planten.
Es gibt auch mahnende Stimmen gegen die Aufrüstung: „Wir steigern uns von Tag zu Tag in eine immer größere Bedrohungsfantasie hinein“, gibt der Philosoph Richard David Precht zu bedenken. Auch sei der langfristige ökonomische Nutzen durch Investitionen in anderen Branchen erheblich größer, etwa in Forschung und Bildung. „Wir haben Angst vor einer dauerhaften Rezession. Stellen wir auf Kriegswirtschaft um, ist das Selbstmord aus Angst vorm Sterben“, sagt Precht. Ob die Welt insgesamt sicherer oder unsicherer für ihre Bewohner wird, sobald es mehr Atomwaffen gibt - das kann auch Nuklearexperte Hoffmann mit Blick auf die Forschungslage nicht beantworten. Einigen bayerischen Firmen fällt eine Schlüsselrolle in der europäischen Aufrüstung zu. (kat)