Russland setzt Nato-Tanker fest – Rache für Sanktionen gegen die Schattenflotte?
Russland hat einen Öltanker aus griechischem Besitz aufgehalten. Estland zeigt sich alarmiert. Dahinter könnte Vergeltung stecken.
Tallinn – Die Ostsee entwickelt sich zunehmend zum Nebenkriegsschauplatz. Nach Berichten der Nachrichtenagentur Reuters hat Russland einen Öltanker aufgehalten, der aus einem estnischen Ostseehafen ausgelaufen war. Der estnische Außenminister Margus Tsahkna geht davon aus, dass es sich um eine schlichte Vergeltung gegen frühere Maßnahmen von Nato-Staaten handele.
„Weiterhin unberechenbar“ – Estland kritisiert Russland-Verhalten zu festgesetztem Tanker
In diesem Fall geht es um den Tanker „Green Admire“, der unter der Flagge Liberias fährt, sich aber in griechischem Besitz befindet. Dieser hatte den Hafen von Sillamäe verlassen und war kurzzeitig durch russische Hoheitsgewässer gefahren – ein Manöver, auf das sich Estland, Finnland und Russland vorher geeinigt hatten, damit Schiffe bestimmte Untiefen in estnischen Gewässern umfahren können. Heißt im Klartext: Aus Rache verletzt Russland auch hier längst getroffene Abkommen.
„Dies zeigt, dass sich Russland weiterhin unberechenbar verhält“, sagte Tsahkna gegenüber dem estnischen Sender ERR. Die Nato-Verbündeten seien informiert.
Die griechische Regierung teilte dazu mit, Russland habe das Schiff abgefangen und wolle eine Geldstrafe verhängen. Ein Grund dafür sei nicht bekannt. Die Webseite Marine Traffic, die Schiffsverkehr verfolgt, zeigt, dass „Green Admire“ sich nahe der russischen Insel Hogland befindet und ankert. „Green Admire“, Baujahr 2022 und bislang ohne technische Zwischenfälle, soll mit einer Ladung Schieferöl aus Estland unterwegs sein.
Vergeltung für Schattenflotte – Nato-Staaten setzen wiederholt Russland-Tanker fest
Auf diese Weise könnte Russland Vergeltung für die Festsetzung des Frachters „Eventin“ oder anderer Schiffe der berüchtigten Schattenflotte nehmen. Diese hatten in den vergangenen Monaten wiederholt für Aufsehen gesorgt. „Eventin“ zum Beispiel, ein unter der Flagge Panamas fahrendes Schiff, trieb im Januar stundenlang mit Motorenschaden vor Rügen in der Ostsee. Mit an Bord: 100.000 Tonnen Öl. Deutsche Behörden hatten das Schiff samt Ladung per Beschluss eingezogen.
Ein weiteres Beispiel ist die „Eagle S“ (Flagge der Cookinseln), das seit Weihnachten in Finnland an der Kette lag. Auch dieser Tanker wird der Schattenflotte zugerechnet. Die Finnen hatten hierbei den Verdacht, dass „Eagle S“ etwas mit Beschädigungen an Unterseekabeln in der Ostsee zu tun hatte. Im März gaben die Behörden den Tanker wieder frei. Ebenso hatte der Tanker „Jazz“ (ebenfalls Panama-Flagge) mit verdächtigem Verhalten Aufmerksamkeit der deutschen Behörden erregt – im Winter meldete das Schiff mehrfach Maschinenschäden und dümpelte nahe wichtiger Unterseekabel durch die Ostsee.
Daneben hatte Estland die „Kiwala“ wegen kritischer Mängel festgesetzt. Auch hierbei soll es sich um einen von Russlands Schattentankern handeln. Nachdem diese behoben waren, gab Estland das Schiff für die Weiterfahrt frei.
Reaktion auf West-Sanktionen – das steckt hinter Putins Schattenflotte
Russland hatte die sogenannte Schattenflotte in Reaktion auf drastische westliche Sanktionen aufgebaut und dafür Millionensummen in die Hand genommen. Konkret geht es um den Ölpreisdeckel: Die G7-Nationen hatten bereits 2022 entschieden, dass russisches Öl nicht mehr kosten dürfe als 60 US-Dollar pro Barrel (159 Liter). Jedes Schiff, das für einen höheren Preis russisches Öl transportiert, dürfe nicht mit westlichen Ländern Handel treiben und die Abnehmer dürften keine westlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen.
Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre das ein Problem, immerhin kommt aus Ölverkäufen ein großer Teil des Haushalts. Um den Preisdeckel zu umgehen, entstand die Schattenflotte: zumeist alte und entsprechend marode Schiffe, unter fremder Flagge fahrend, teils mit abgeschalteter Schiffsortung. So sollen diese Tanker ihre Route oder Transaktionen verschleiern.
„Baltic Sentry“ soll Ostsee bewachen – Nato sucht Lösungen für Schattenflotte
Die Nato hatte in Reaktion auf erstens das und zweitens eben die wiederholten Sabotageakte reagiert und ein Ostsee-Schutzprogramm namens Baltic Sentry aufgesetzt. Seitdem Schweden und Finnland ebenfalls zur Nato gehören, ist es Schiffen kaum mehr möglich, die Ostsee auf einem anderen Weg als durch die Gewässer von Nato-Staaten zu verlassen. Die westlichen Ukraine-Verbündeten suchen derzeit nach effektiven Methoden, um die sanktionierten Schiffe auch an der Durchfahrt durch diese Gewässer zu behindern.
Zuletzt hatten die EU-Außenminister im Vorfeld eines Treffens am Montag (19. Mai) zu solchen Maßnahmen aufgerufen. Allerdings zeigt ein jüngstes Beispiel, dass Russland bereit ist, für die Schattentanker zu eskalieren – als Estland einen weiteren Tanker festsetzen wollte, hatte Russland einen Kampfjet losgeschickt und sogar den estnischen Luftraum verletzt. Die Esten haben daraufhin von der Festsetzung abgesehen.