Paradestück mit Übergewicht: Ukraine nutzt Challenger-Panzer auf besondere Weise
Der Challenger-Panzer kommt im Gelände nur schwer voran. Die Ukraine setzt ihn im Kampf mit Russland deshalb als Geschütz ein - mit Erfolg.
Robotyne – „Fahrzeugbewegung gesichtet“, krächzt eine russische Stimme aus den Kopfhörern. „Was für ein Fahrzeug?“ fragt eine zweite. „Weiß nicht“, antwortet die erste, „auf jeden Fall riesig und laut!“ Mit großem Vergnügen lauscht der ukrainische Funker dem abgehörten Gespräch zweier russischer Aufklärer. Einer der stählernen Gegner der Truppen Wladimir Putins ist der britische Challenger-Panzer, über den die Russen sprechen. Großbritannien war das erste Land, das die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland handfest aus eigenen Beständen unterstützt hat. Das Fahrzeug trommelt gegen ihre Befestigungen – der Erfolg einer weiteren Gegenoffensive hängt mit vom britischen Export ab.
Die britischen „Challenger 2“ sind die ersten Kampfpanzer westlicher Bauart, die in den Ukraine-Krieg gezogen sind. Lediglich Großbritannien und der Oman – letzterer in sehr geringer Stückzahl – setzen dieses Modell ein. Die britische Armee verfügt nach eigenen Angaben über etwa 230 verbleibende „Challenger 2“. Möglicherweise sind weitere Kampfpanzer eingelagert oder die Herstellerunternehmen verfügen noch über Reserveeinheiten. 14 davon sind in die Ukraine gegangen. Das Fahrzeug ist eigenwillig, und die Briten überlegen jetzt, wie sie im Nato-Verbund weiterhin kriegstüchtig bleiben.

Großbritannien liefert Challenger-Panzer in die Ukraine
Großbritannien rühmte sich zu Beginn des vergangenen Jahres an, noch nie einen Challenger-2-Panzer im Kampf verloren zu haben, obwohl dieser zuletzt im Irak eingesetzt wurde. Zuvor wurden sie gegen Ende des Jahrzehnts bei Militäreinsätzen in Bosnien und im Kosovo aufgefahren – aber ein ebenbürtiger Gegner fehlt dem Challenger bis jetzt auch noch. Die Regierung Großbritanniens wollte offenbar Druck aufbauen auf die Nato-Partner und vor allem Deutschland. Zur Zeit der Lieferung wurde in der Bundesregierung noch eifrig diskutiert, inwieweit ein Panzer eine Defensiv- beziehungsweise bereits eine Angriffswaffe sei. Der damalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte gegenüber dem Unterhaus, er werde „meine deutschen Kollegen drängen“, Polen, Finnland und anderen Ländern in den kommenden Tagen zumindest die Erlaubnis zu erteilen, in Deutschland hergestellte Leopard 2 wieder zu exportieren. Was dann auch eingetreten ist.
Der Challenger-Panzer: für die Briten auch im Ukraine-Krieg eine Defensiv-Waffe
Wallace im Guardian: „In Deutschland gibt es derzeit eine Debatte darüber, ob ein Panzer eine Angriffswaffe oder eine Verteidigungswaffe ist. Nun, es kommt darauf an, wofür Sie es verwenden. Wenn Sie es zur Verteidigung Ihres Landes einsetzen, würde ich wetten, dass es sich um ein defensives Waffensystem handelt“, sagte Wallace den Abgeordneten. Ähnlich argumentiert der deutsche Historiker Ralf Raths: „Weder der amerikanische M1 Abrams, der französische Leclerc oder der britische Challenger, noch der deutsche Leopard sind die erhofften ,Gamechanger‘ der ukrainischen Gegenoffensive“, sagt der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster.
Laut Raths eignet sich der Challenger 2 besonders, um Bunkeranlagen zu knacken, wie er gegenüber dem Sender n-tv ausgeführt hat. „Die alten Rohre des Challenger 2 sind perfekt geeignet für Quetschkopfmunition“, erklärt der Panzerexperte. Während panzerbrechende Kinetik-Geschosse ihre Energie auf einen kleinen Punkt konzentrieren und ein kleines Loch hinterlassen, können Quetschkopfgeschosse des Challenger 2 beim Aufprall aufplatzen und im Innenraum großräumig Schaden anrichten. „Damit sind die Challenger 2 perfekt dazu geeignet, bei einer ukrainischen Gegenoffensive Bunker und Gebäude auszuschalten“, so Raths.
Für unseren Boden ist der mehr als 70 Tonnen wiegende britische Panzer einfach zu schwer
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Dazu werden sie auch gerade in der Nähe von Robotyne eingesetzt, im Verwaltungsbezirk Saporischschja, im Süden der Ukraine, wie Forbes jetzt berichtet: Die Challenger 2, von denen 14 zur 82. Brigade der ukrainischen Luftangriffsstreitkräfte gehören, feuern hochexplosive Geschosse aus ihren 120-Millimeter-Glattrohrgeschützen ab und unterstützen damit die Infanterie. Damit kehrt sich der Sinn der Panzer eigentlich um: Ihren Kampfwert erreichen sie aus der Kombination von Feuerkraft, Schutz und Bewegung. Allerdings kommt der Challenger in der Ukraine nur schwerfällig voran – wenn überhaupt.
Forbes gegenüber äußerten ukrainische Panzerfahrer: „Für unseren Boden ist der mehr als 70 Tonnen wiegende britische Panzer einfach zu schwer.“ Mit „Unser Boden“, wie Forbes weiter schreibt, ist die landwirtschaftlich geprägte Verwaltungseinheit Saporischschja im Süden der Ukraine gemeint. Dort schloss sich vergangenen Sommer die 82. Brigade der ukrainischen Gegenoffensive an, gerade rechtzeitig, um die ukrainischen Gewinne in und um Robotyne, zehn Meilen südlich der vorherigen Frontlinie, zu verstärken.
Heftige Kämpfe an der Front des Ukraine-Kriegs
Die Süddeutsche Zeitung schreibt über diesen Frontabschnitt: „Hier steht kein Baum mehr, kein Haus, am Weg liegen gefrorene Leichen. Unterwegs an vorderster Front, wo für ein paar Meter gekämpft und gestorben wird.“ Die Challenger versuchen, dem Stellungskrieg wieder etwas mehr Beine zu machen, indem sie die russischen Stellungen aufzubrechen versuchen. In diesem Sinne wirken die Challenger 2 eher als mobile Geschütze denn als eigentliche Panzer. Wenn überhaupt, führen sie wenige, panzertypisch schnelle Angriffe.
Deren Panzerbesatzungen erzählten Forbes, in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten operierten sie von Waldrändern aus und bekämpften von den Russen kontrollierte Waldränder in ungefähr drei Kilometern Entfernung. Als eine Form der Artillerie versuchten sie deren voll betonierte, eingegrabene Stellungen zu sprengen. Nach Informationen des Institute for the Study of War bemüht sich die ukrainische Armee rund um Saporischschja um eine Verbreiterung der Gasse durch die als „Surowikin Linie“ bekannte dreifach gestaffelte russische Verteidigung; Ziel ist weiterhin, die Truppen von Wladimir Putin vom eigenen Nachschub abzuschneiden und sich selbst einen Weg zum Asowschen Meer zu bahnen.
Die 82. ukrainische Brigade: Speerspitze der Gegenoffensive gegen Russland
Den Ukrainern war Ende des vergangenen Jahres gelungen, eine Bresche in die Hauptverteidigungslinie zwischen Robotyne und Werbowe zu schlagen. Das Ziel war, die Bresche so weit zu vergrößern, dass ein mechanisierter Vorstoß mit westlichen Panzern möglich wird. Daran wird weiter gearbeitet. Die 82. Brigade ist der Haupt- oder sogar einzige Nutzer einiger der besten aus dem Ausland gelieferten Fahrzeuge der Ukraine: die in den USA hergestellten Stryker-Radkampffahrzeuge, Marder-Schützenpanzer aus Deutschland und alle 14 Challenger 2, die das Vereinigte Königreich zur Verfügung gestellt hatte.
Allerdings sieht seine Zukunft düster aus. Der ehemalige Oberstleutnant der britischen Panzerverbände und heutige Sicherheitsberater Stuart Crawford hatte sich vor etlichen Jahren bereits öffentlich im UK Defense Journal über den Challenger ausgelassen und seiner Außerdienststellung 2025 mit Sehnsucht entgegen gesehen – den Veteranen störte die Bewaffnung, beziehungsweise der typisch britische Alleingang. Anders als die übrigen Nato-Panzer schießt der Challenger 2 aus einer 120-mm-Kanone mit gezogenem Lauf. Der Vorteil gegenüber den sonst verwendeten Glattrohrwaffen liegt in einer erheblich höheren Schussweite von etwa 9.000 Metern gegenüber etwa 4.000 Metern beim Leopard 2 A6.
Die Zukunft: Briten wollen ihre Panzerflotte nato-kompatibler aufrüsten
Allerdings erreicht dieses Geschütz eine deutlich niedrigere Mündungsgeschwindigkeit und hat daher Schwierigkeiten, die modernen Schicht- und Reaktivpanzerungen gegnerischer Kampfpanzer zu durchschlagen. Außerdem passt keine Nato-Munition. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die deutsche Firma Rheinmetall an einer Weiterentwicklung des Fahrzeugs zum Challenger 3. Das neue Fahrzeug wird mit bis 2027 einer 120-mm-Hochdruck-Glattrohrkanone ausgestattet sein, die unterkalibrige Pfeil-Wuchtgeschosse und programmierbare Mehrzweckmunition verschießt. Die Kanone verfügt dann außerdem über eine erhöhte Treffgenauigkeit und Durchschlagskraft sowie aktuelle Feuerleittechnologie – die britische Kampfpanzer-Flotte wird dadurch kompatibler mit den Nato-Verbänden.
Crawford schreibt über die Modernisierung der britischen Panzerflotte nach 2030: „Vielleicht schafft es das Vereinigte Königreich endlich, seinen Nationalstolz herunterzuschlucken und sich für die beste Option zu entscheiden, unabhängig vom Herkunftsland.“ Immerhin fürchtet sich die Nato jetzt bereits vor einer modernisierten russischen Streitmacht. Dem Nato-Oberbefehlshaber Christopher Cavoli schwant Böses, wie ihn das Hamburger Abendblatt zitiert: Binnen fünf Jahren nach Kriegsende könne ein aggressives Russland seine Armee nicht nur auf den alten Stand bringen, sondern sogar zu einer größeren und leistungsfähigeren Streitmacht ausbauen. Dazu gehöre ein Modernisierungsprogramm mit neuen Technologien, das dem Westen Sorgen machen müsse – „von der Hyperschallgleitwaffe Avangard, die Atombomben mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit und unberechenbarem Kurs ins Ziel trägt, bis zur atomgetriebenen Unterwasserdrohne Poseidon, die radioaktive Tsunamis auslösen könnte.
Die ukrainischen Soldaten im Umkreis von Robotyne schwören auf das, was der Challenger kann: Angst machen; oder wie die Besatzung gegenüber Forbes erklärt: Von Stellungen am Waldrand aus auf fast drei Kilometer entfernte russische Befestigungen zu schießen, ist selten so langweilig, wie sich das anhört. Russische Raketen, Drohnen und Artillerie sind eine ständige Bedrohung.“ Gegnerische Panzer bleiben auf Distanz.