Bezahlkarte für Asylbewerber kommt: Flüchtlinge sollen in Zukunft ohne Bargeld auskommen

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Asylbewerber sollen künftig nicht mehr Bargeld erhalten, sondern eine Bezahlkarte. Mancherorts wird das bereits getestet. Eines der ausführenden Unternehmen berichtet von den Erfahrungen.

Berlin/München – Seit einigen Monaten wird in Deutschland wieder über die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerbende diskutiert. Bei einem Bund-Länder-Gipfel im Oktober haben sich die Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) darauf verständigt, die Bezahlkarte bundesweit einzuführen und somit Bargeldzahlungen an Asylbewerber zu stoppen. Wie genau das aussehen soll, steht noch nicht fest. Doch auf Landkreis- und Länderebene tut sich da schon länger was. In zwei Landkreisen in Thüringen wurden im Dezember Pilotprojekte gestartet, in Hannover schon einige Monate davor.

Das Unternehmen, das sich um die Bezahlkarten im thüringischen Landkreis Greiz kümmert, ist givve. Im Gespräch mit Ippen.Media haben der Geschäftsführer Patrick Löffler und CMO und CSO Adrian von Nostitz über die bisherigen Erfahrungen aus dem Projekt berichtet. Und darüber, wie sie sich jetzt auf eine Ausschreibung für ganz Bayern bewerben.

Bezahlkarten für Flüchtlinge: Bargeld in Deutschland sehr beliebt

Herr von Nostitz, Sie betreuen seit Anfang Dezember das Pilotprojekt im Landkreis Greiz. Wie ist bisher das Feedback?

Adrian von Nostitz: Ich sage es ganz ehrlich: Greiz war von Beginn an extrem ambitioniert. Innerhalb weniger Tage mussten wir mit der Bezahlkarte an den Start gehen. Jetzt sprechen wir auf Augenhöhe mit dem Landkreis über das Feedback und sind da in einem sehr wohlwollenden Dialog. Der Landkreis ist bisher zufrieden, wie es gestartet ist. Auch in der Verwaltung funktioniert es und kommt nicht zu Beanstandungen.

Und wie kommt es bei den Flüchtlingen an?

Adrian von Nostitz: Unsere Bezahlkarte, mit der an fast allen Akzeptanzstellen gezahlt werden kann, ist nah dran am Bargeld. Das fällt auch den Asylbewerbern positiv auf. Zudem erleichtert die Karte den Aufwand für alle Beteiligten – eben auch für die Geflüchteten, die nun nicht mehr an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit, womöglich noch mit Kleinkindern, in der Behörde erscheinen müssen.

Patrick Löffler: Ich dachte am Anfang, als wir givve 2010 als Anbieter von solchen Bezahlkarten gegründet haben, etwas naiv, dass wir einfach Plastikkarten einkaufen und die dann weiterverkaufen. Aber es ist wesentlich komplexer (lacht). Wir mussten uns mit ganz unterschiedlichen Themen auseinandersetzen: Gespräche mit Mastercard, mit der BaFin [Anm. d. Red. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht], mit den Behörden. Wir mussten auch den Handel sensibilisieren. Und all das mit einem Team von 50 Leuten. Aber mir ist es extrem wichtig, dass wir gerade diese langjährige und umfangreiche Expertise nun bei der Einführung von Bezahlkarten für Leistungsempfänger nutzen – denn wenn diese Bezahlkarten für diesen Zweck einmal in Verruf geraten sind, dann leidet eine komplette Branche.

Es gab ja schon mal Versuche, in Deutschland so eine Karte für Migranten einzuführen. Unter anderem hat damals Wirecard mitgemischt...

Löffler: Oh ja, auch wir hatten unsere Karten seinerzeit bei Wirecard! Das war so krass, ein unglaublicher Stresstest. Als Wirecard pleite gegangen ist, hatten wir 70 Millionen Euro der Kunden auf den Karten. Und es ist nicht ein Euro verloren gegangen. Denn das Geld liegt weder bei uns, noch beim Kartendienstleister - damals Wirecard - sondern auf einem sogenannten Segregated Account, also einem getrennten Konto.

von Nostitz: Diese Erfahrung können wir heute für uns nutzen. Denn es gibt in Deutschland kein anderes Unternehmen, das diesen Beweis bringen kann: Wir haben den größten Stresstest bestanden.

Patrick Löffler (l.) und Adrian von Nostitz von der Firma givve
Patrick Löffler (l.) und Adrian von Nostitz © givve

Warum wollen Sie unbedingt ein solches Projekt betreuen? Sie sagen ja selbst, dass man viel riskiert, wenn die Bezahlkarte in Verruf geraten sollte.

Löffler: Wir wollen das Bargeld digitalisieren, weil es so vieles so viel einfacher machen würde und zum Positiven verändern könnte. Allein der Aufwand, den die Verwaltungen im Moment haben: Sie müssen alle Asylbewerber kontaktieren, die müssen dann in die Behörde kommen und an der Kasse ihr Geld abholen. Und es gibt auch für Geflüchtete Sicherheitsbedenken: Wenn jeder weiß, dass diese Person an jenem Tag aus dem Amt kommt und 400 Euro in der Tasche hat, dann kann das unter Umständen schon gefährlich werden. All das verschwindet mit der Bezahlkarte.

von Nostitz: Genau, für die Verwaltung kann das Auf- und Entladen per Knopfdruck geschehen, ganz unkompliziert. In Greiz wurde entschieden, dass ein Teil des Geldes, den die Asylbewerber erhalten, auf die Karte geladen wird, während ein Teil immer noch vor Ort abgeholt wird. Aber das könnte sich in Zukunft wieder ändern. So war das bei unserem Mutterkonzern in Frankreich: Seit 2016 sind dort die Bezahlkarten für Migranten eingeführt und 2020 wurde das Bargeld komplett abgeschafft. Auch, weil das kontaktlose Bezahlen mittlerweile fast überall möglich ist.

Frankreich ist aber nicht Deutschland. Wir sind ein Bargeld-Land, mit Karte zahlen geht bei uns nicht überall.

von Nostitz: Stimmt, auch wenn Corona dazu geführt hat, dass es auch bei uns viel häufiger möglich ist. Ein Asylbewerber braucht aber auch Bargeld, das ist wichtig zu betonen. Unsere Lösung sieht nicht vor, dass sie das nicht mehr bekommen – nur dass die Verwaltung es nicht mehr ausgeben muss.

Asylbewerber können mit Ihrer Bezahlkarte also auch Geld abheben?

von Nostitz: Ja, aber nicht am Bankautomaten, sondern nur beim Einkaufen an der Supermarktkasse. Denn wir wollen sicherstellen, dass die Karte immer gebührenfrei bleibt. Und Sie kennen das sicher selbst: In Deutschland werden oftmals am Automaten Gebühren verlangt. Das sind Sachen, die wir nicht beeinflussen können, da müssten wir mit den Betreibern aller Bankautomaten sprechen und verhandeln. Deswegen ist das mit unserer Karte nicht möglich.

Löffler: Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es wird immer an verschiedenen Stellen versucht, Gebühren zu erheben. Uns ist es aber wichtig, dass das Produkt für die Kunden funktioniert – deshalb muss unsere Karte immer gebührenfrei bleiben. Das wollen wir garantieren können.

In Greiz hat man sich ja auch noch für eine andere Beschränkung entschieden: Die Karte ist nur innerhalb des Landkreises einsetzbar. Was hat das für einen Hintergrund?

von Nostiz: Man hat sich dafür entschieden, weil man den Wirtschaftsstandort stärken wollte. Also das Geld, das den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt wird, soll auch vor Ort wieder in Umlauf gebracht werden. Bei unseren Karten kann man das einstellen – oder auch anders, zum Beispiel, dass die Bezahlkarte im ganzen Bundesland oder in ganz Deutschland funktioniert. Das geht mit unseren Karten technisch auch.

Die Bundesregierung will ja eine Bezahlkarte für ganz Deutschland einführen. Gleichzeitig preschen da ja einige Bundesländer und Landkreise - wie Bayern oder der Landkreis Greiz - schon vor. Könnte es da später zu Problemen führen?

von Nostitz: Bayern hat von vornherein gesagt, dass es eine eigene Lösung will, unabhängig von der Bundesebene. Mein Wunsch wäre es, dass auf Bundesebene am Ende nur Mindeststandards vorgegeben werden, damit auf regionaler Ebene dann ein Wettbewerb zwischen den Anbietern entstehen kann....

Löffler: ...was die Branche nur besser machen würde!

von Nostitz: Aber danach sieht es im Moment eher nicht aus. Vermutlich will die Bundesregierung eine Ausschreibung für ganz Deutschland ausgeben - das heißt, es würde ein Unternehmen für ganz Deutschland gesucht werden. Das finde ich eher nicht so gut, so ein Monopol birgt Gefahren.

Löffler: Es gibt jetzt auch Trittbrettfahrer, Firmen, die jetzt ganz neu gegründet wurden und politisch vielleicht gut vernetzt sind - aber noch nie eine Bezahlkarte verkauft haben. Das ist ja immer so, wenns auf einmal in einem neuen Bereich Geld zu verdienen gibt. Darin besteht eine Gefahr. Wir hingegen bieten Bezahlkarten aber schon seit 2010 an. Es gibt noch zwei, drei andere Wettbewerber, denen ich das zutraue – und ich hoffe, einer von uns wird am Ende ausgewählt werden.

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